Zum Inhalt oder zum Footer

Kann man die Schenkung der Söhne an die (Enkel)Kinder unterbinden? Wenn ja auf welcher Grundlage und wenn nein, kann man die (Enkel)Kinder haftbar machen?

Veröffentlicht:
09.09.2020
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Eine heute 94 Jährige Frau hat vor 8 Jahren ca. 2'400'000 Fr. an Ihre 2 Söhne verschenkt. 650'000 in bar und der Rest in Immobilien. Nun musste die Frau in ein Altersheim und hat nur ca 30'000Fr.- flüssige Mittel. Deshalb möchte einer der Söhne, sie vorsorglich bei der SH anmelden. Bei der Prüfung ist nun herausgekommen, das die Söhne die Barschaften in den letzten 8 Jahren aufgebraucht haben und das sie nun die Immobilien an Ihre Kinder verschenken möchten. Wenn bei der Verwandtenunterstützung herauskäme das die Söhnen einen Teil der Ausgaben ihrer Mutter mitfinanzieren müssten, diese aber nun die Immoblien verschenken möchten, kann man da nun die Enkelkinder in die Pflicht nehmen? Dürfen die Söhne unter diesen Umständen die Immobilien überhaupt an ihre Kinder verschenken? Ist dieses Prozedere der Söhne legal/illegal?

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Herr Koch

In Art. 9 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (SHG BE) ist festgehalten, dass in der Sozialhilfe das Prinzip der Subsidiarität gilt. Dies bedeutet, dass Hilfe nur gewährt wird, wenn und soweit eine bedürftige Person sich nicht selbst helfen kann oder wenn Hilfe von dritter Seite nicht rechtzeitig erhältlich ist. Aus diesem Grund ist der Sozialdienst nach Art. 37 Abs. 1 SHG BE verpflichtet, familienrechtliche Unterstützungsansprüche geltend zu machen. Die gegenseitige Unterstützung nach Art. 328ff. des Zivilgesetzbuches (ZGB) besteht in auf- und absteigender Linie (Kinder-Eltern-Grosseltern). Nicht unterstützungspflichtig sind Geschwister und Stiefeltern. Voraussetzungen sind, dass die berechtigte Person sich in einer Notlage befindet und der Pflichtige/die Pflichtigen leistungsfähig ist/sind. Die Leistungsfähigkeit prüft der Sozialdienst anhand von Steueranfragen. Die Berechnung erfolgt anhand der SKOS-Richtlinien. Ergibt sich nach der Berechnung eine Pflichtigkeit, hat der Sozialdienst mit den Verwandten Kontakt aufzunehmen (dieser besteht vorliegend bereits). Ergibt sich keine Einigung, ist nach Art. 328ff ZGB für die Sozialhilfebehörde der Klageweg offen (Art. 38 SHG BE und Handbuch Sozialhilfe der Berner Konferenz für Sozialhilfe, Kindes- und Erwachsenenschutz). Die SKOS, deren Richtlinien im Kanton Bern vorbehältlich abweichenden Regeln als verbindlich erklärt werden (Art. 8 Abs. 1 der Sozialhilfeverordnung des Kantons Bern, SHV BE), vertritt die Meinung, dass alleine aufgrund des Erbvorbezugs die Nachkommen nicht verwandtenunterstützungspflichtig werden, dass sie aber dann verwandtenunterstützungspflichtig sind, wenn sie unter Berücksichtigung des Erbvorbezugs in günstigen Verhältnissen leben (ZESO 2/16). Im Kanton Bern sind keine von den SKOS abweichenden Regelungen vorhanden.

Zwischenfazit: Die Söhne sind als direkte Nachkommen nach Art. 328ff ZGB grundsätzlich verwandtenunterstützungspflichtig. 

Es ist von der Sozialhilfebehörde deshalb abzuklären, ob sie unter Anrechnung der sich nach wie vor in ihrem Vermögen befindlichen Liegenschaften als leistungsfähig gelten dürfen). Dazu sind die Steuerbehörden zu kontaktieren und eine Berechnung nach SKOS-Richtlinien betreffend Leistungefähigkeit zu machen. Es sind die gemäss Steuerveranlagung vorhandenen Vermögenswerte zu berücksichtigen. Falls die Söhne aufgrund der Berechnung als leistungsfähig erscheinen, hat die Sozialhilfebehörde mit ihnen einen Verwandtenunterstützungsbeitrag auf einvernehmlicher Basis anzustreben. Gelingt dies nicht – diese Tendenz scheint hier zu bestehen – ist der Gerichtsweg einzuschlagen (in einem ersten Schritt: ein Schlichtungsverfahren).

Verschenken bzw. veräussern die Söhne die Vermögenswerte an ihre Kinder, so können sie rechtlich davon nicht abgehalten werden. Es ist dann in einem ersten Schritt zu prüfen, ob sie auch ohne die von ihrer Mutter erhaltenen Liegenschaften verwandtenunterstützungspflichtig sind. Falls ihre finanziellen Verhältnisse dies ohne die von der Mutter erhaltenen Liegenschaften nicht mehr zulassen, ist zu prüfen, ob die Kinder der Söhne (die Enkelkinder der bedürftigen Person) verwandtenunterstützungspflichtig sind, denn diese fallen nach Art. 328ff. ZGB ebenfalls in die Kategorie von Verwandtenunterstützungspflichtigen. Dies kann den Söhnen im Zuge der Verhandlungen betreffend ihre Verwandtenunterstützungspflicht bereits angekündigt werden.

Sollten weder die Söhne noch die Enkelkinder unterstützungspflichtig sein, bleibt die moralische Unzufriedenheit, dass die Söhne von der Mutter Vermögen in erheblichem Umfang annehmen und dann nicht bereit sind, ihre Mutter finanziell zu unterstützen,sondern versuchen, das Vermögen zu sichern, indem sie es an ihre Kinder weitergeben,  wenn sie bedürftig wird. Dieses Problem lässt sich rechtlich jedoch nicht lösen. Die Söhne können ausschliesslich auf ihre moralische Verpflichtung hingewiesen werden.

Schlussfazit: Bei gegebener Leistungsfähigkeit sind sowohl die Söhne wie auch die Enkelkinder verwandtenunterstützungspflichtig. Die Enkelkinder sind allerdings nur dann zu kontaktieren, wenn ihre Väter den Bedarf der Mutter mittels Verwandtenunterstützung (und weiteren Drittleistungen) nicht vollumfänglich decken können.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach