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Kann die Sozialhilfe den Antrag der Tochter auf Kostenübernahme des betreuten Wohnens ablehnen, weil die Eltern Verwandtenunterstützung leisten müssen bzw geseigert unterhaltspflichtig sind, weil sich die junge Frau in einer Erstausbildung befindet?

Veröffentlicht:
21.03.2023
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Schnyder

Die Eltern einer volljährigen Tochter, die noch keine Erstausbildung hat und psychisch krank ist, wurden vom Sozialdienst der Klinik gebeten, sich bezüglich eines Sozialhilfeantrages hinsichtlich ihrer Tochter zu erkundigen. Die Tochter ist auf der Suche nach einem betreuten Wohnen. Da die Eltern über ein hohes steuerbares Einkommen und Vermögen in Form einer Liegenschaft verfügen, stellen sie sich die Frage, ob die Sozialhilfe den Antrag der Tochter auf Kostenübernahme im Hinblick auf die Unterhaltspflicht der Eltern, wenn sich die Tochter in einer Ausbildung befinden sollte, bzw. die Verwandtenunterstützungspflicht ablehnen kann. Wenn ja, was wären die Kriterien für eine Ablehnung? Vielen Dank für Ihre Rückmeldung.

Freundliche Grüsse
 

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Ich bedanke mich für Ihre Frage und beantworte diese gerne wie folgt:

Nach § 5 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Aargau (SHG AG) haben diejenigen Personen Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch die Sozialhilfe, deren eigene Mittel nicht genügen und andere Hilfeleistungen nicht rechtzeitig erhältlich sind oder nicht ausreichen. Die Bedarfsberechnung bildet die Eintrittsschwelle für Unterstützungsleistungen. Da nach § 7 SHG AG die Gemeinde das Vorliegen von Ansprüchen aus Unterhalts- und Verwandtenunterstützungspflicht gemäss Art. 131 Abs. 3, Art. 289 Abs. 2 und Art. 329 Abs. 3 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) zu prüfen haben, kann ein Unterhalts- oder ein Verwandtenunterstützungsbeitrag grundsätzlich bereits bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt werden. Ist der Unterhaltsbetrag (geschuldet, während die junge Erwachsene in Ausbildung ist) oder der Verwandtenunterstützungsbeitrag (geschuldet, während die junge Erwachsene nicht in Ausbildung ist) so hoch, dass der Bedarf gedeckt ist, ist die eine Person nicht bedürftig und kann nicht unterstützt werden.

Bei der Anrechnung eines Unterhalts- oder Verwandtenunterstützungsbeitrags gilt es aber Folgendes zu beachten:

Für die Sozialhilfe und alle staatlichen Stellen gilt das Verbot der Rechtsverweigerung und der Rechtsverzögerung. Die Behandlung eines Gesuches darf deshalb nicht verzögert werden (SKOS-RL A.4.2). Sind die finanziellen Verhältnisse der Eltern deshalb nicht zeitnah (d.h. in wenigen Tagen oder maximal wenigsten Wochen) ermittelbar und damit der Unterhals- oder Verwandtenunterstützungsbeitrag nicht sofort ermittelbar, ist die Unterstützung im Sinne einer vorsorglichen Massnahme aufzunehmen (Sozialhilfehandbuch Kanton Aargau, Kapitel 2.3 Bedürftigkeit). Ist der Unterhalts- oder Verwandtenunterstützungsbeitrag ermittelt, weigern sich die Eltern aber, diesen zu bezahlen, kann der Betrag auch nicht ohne Weiteres als Einnahme angerechnet werden, denn das Geld fliesst nicht (SKOS-RL D.1 Erläuterungen lit. a). Vielmehr ist der Unterhalts- oder Verwandtenunterstützungsbeitrag von der anspruchsberechtigten Person bzw. allenfalls ihrem Beistand gerichtlich geltend zu machen (gemäss neuester Bundesgerichtsrechtsprechung fehlt es der Sozialhilfe an der Aktivlegitimation, BGE 5A_382/2021 mit Verweis auf BGE 5A_75/2020). Erst, wenn ein Gerichtsentscheid vorliegt und durchsetzbar ist, kann dann der Unterhalts- oder Verwandtenunterstützungsbeitrag im Budget angerechnet werden.

Ergänzend sei Folgendes ausgeführt: Gemäss § 29a Abs. 4 des Betreuungsgesetzes des Kantons Aargau (BeG) bevorschussen die Gemeinden den Einrichtungen die Beiträge von behinderten Menschen in stationären Einrichtungen und fordern diese bei den erwachsenen Menschen ein. Können diese die Beiträge nicht aufbringen, haben sie der zuständigen Sozialhilfebehörde ein Gesuch um Unterstützung zu stellen. Ich interpretiere diese Bestimmung so, dass auch die Kosten für die stationäre Unterbringung ins Budget aufzunehmen sind, wenn es sich um ein Sachverhalt nach BeG handelt.

Fazit: In die erste Bedarfsrechung zur Ermittlung der Bedürftigkeit dürfen die errechneten Unterhalts- oder Verwandtenunterstützungsbeiträge der Eltern dann einbezogen werden, wenn sich die Höhe der Pflicht zeitnah berechnen lässt und die Eltern bereit sind, den Betrag zu bezahlen. Andernfalls dürfen diese Beiträge in der ersten Bedarfsberechnung (noch) nicht berücksichtigt werden.

Ich hoffe, Sie mit meiner Antwort unterstützen zu können.

Freundliche Grüsse