KL ist knapp 40jährig, suchtmittelabhängig von illegalen Drogen und im Methadonprogramm. Sie mehrfach vorbestraft und verbüsste in Vergangenheit bereits mehrere, auch lange Haftstrafen.
Es besteht eine Beistandschaft nach Art. 394 i. V. m 395 ZGB mit Aufträgen zur
- Finanzverwaltung und Erledigung der Administration
- Vertretung vor Behörden
- Für gesundheitliches Wohl zu besorgt und medizinische Betreuung besorgt zu sein sowie Kl zu vertreten
- Für eine geeignete Wohnsituation besorgt zu sein und Kl zu vertreten
KL verursachte in Vergangenheit wiederholt Bussen durch Schwarzfahren. Die Beiständin vereinbarte mit der KL, dass Rückstellungen für die Finanzierung eines zukünftigen GAs getätigt werden. Zudem steht eine Neuanschaffung eines Smartphones an. Aktueller Vermögensstand Fr. 1300.
Aktuell verbüsst KL eine unbedingte Haftstrafe von 2 Monaten. Nun hat die Staatsanwaltschaft entschieden, dass KL noch weitere bedingte Strafen in Haft verbüssen muss (Fr. 600), was zu einer Haftverlängerung von 1 Monat führt. KL wird so ihren 40. Geburtstag in Haft verbringen.
KL macht nun bei der Beiständin Druck, dass sie KL aus der Haft "freikaufe", in dem sie die Rückstellungen für die Bussen verwende und vom geplanten GA und Phone Kauf absehe.
Muss die Beiständin die persönliche Freiheit von KL höher gewichten, das Ersparte für die Bussen verwenden und vom Finanzplan abweichen?
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Frau Salzmann
Ich gehe davon aus, dass Sie sich beim zuständigen Amt erkundigt haben, ob die Bezahlung der Bussen oder Geldstrafen, die zur Haftverlängerung führen, überhaupt (noch) bezahlt werden können.
Wenn ich den Sachverhalt richtig verstehe, kassiert die Klientin regelmässig Ersatzstrafen wegen Schwarzfahrens. In einem Handlungsplan haben Sie mit der Klientin u.a. die Anschaffung eines GA vereinbart. Ich nehme an, dass damit das Schwarzfahren unterbrochen werden soll. Auch nehme ich an, dass die Klientin kaum oder nicht in der Lage ist, ihr Verhalten bezüglich Schwarzfahrens zu ändern.
Nach Art. 409 ZGB stellt der Beistand oder die Beiständin der betroffenen Person aus deren Vermögen angemessene Beträge zur freien Verfügung. Und nach Art. 406 Abs. 1 ZGB erfüllt der Beistand oder die Beiständin die Aufgaben im Interesse der betroffenen Person und nimmt, soweit tunlich, auf deren Meinung Rücksicht und achtet deren Willen, das Leben entsprechend ihren Fähigkeiten nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.
Ein Festhalten am Finanzplan muss gegenüber der Haftstrafe abgewogen werden, es ist eine Verhältnismässigkeitsprüfung vorzunehmen. Das kann nur anhand detaillierter Fallkenntnisse geschehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klientin nicht zum „Zwangssparen“ angehalten werden kann und es steht ihr auch frei, von einem einmal getroffenen Handlungsplan abzukehren. Die Freiheit ist ein besonders geschütztes Rechtsgut. Selbstbestimmung bedeutet, dass die Klientin die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen hat, sie hat also bei einer Bezahlung der Bussen kaum Geld für Zusatzanschaffungen wie z.B. das gewünschte Handy und sie wird zukünftig wohl weitere Haftstrafen riskieren. Das ist mit ihr zu diskutieren.
Auch wenn Sie am Finanzplan festhalten, ändert sich in der unmittelbaren Zukunft etwas? Mit Fr. 1‘300 Erspartem lässt sich noch lange keine GA kaufen und die Klientin wird wahrscheinlich weiterhin Bussen bekommen. Sie wird solange „Absitzen“ bis das Geld fürs GA vorhanden ist.
Deshalb eine Anregung: Könnten Sie das GA über Fonds und Stiftungen finanzieren lassen und/oder zinslose Darlehen auftreiben? Da sich das Schwarzfahren wohl kaum in den Griff bringen lassen dürfte, wäre das wohl die beste Lösung.
Wenn die Verhältnismässigkeitsprüfung zum Resultat führt, dass das Festhalten am Finanzplan vertretbar erscheint, können Sie das tun. Der Klientin haben Sie den Entscheid nachvollziehbar zu begründen und sie darüber zu informieren, dass sie die KESB nach Art. 419 ZGB anrufen darf, wenn sie mit Ihrem Entscheid nicht einverstanden ist.
Gehen Sie, wenn möglich, mit dieser Frage in eine Teamsitzung oder führen Sie eine kollegiale Fallbesprechung durch.
Ich hoffe, die Angaben helfen Ihnen weiter.
Luzern, 19.7.2020
Karin Anderer