Liebes Expertenteam
Es handelt sich um einen Klienten, welcher an einer seltenen Krankheit der sogenannten Morbus Behcet leidet. Vom 01.11.1997 bis 31.08.2013 erhielt er eine IV Rente von 100%. Aufgrund der IV Revision wurde diese aberkannt. Nach einem gescheiterten Belastungstraining wurde eine neue Überprüfung der gesundheitlichen Situation bei der IV-Stelle beantragt. Gemäss Hausarzt war der Klient zu keinem Zeitpunkt arbeitsfähig. Nun liegt der Vorbescheid vor, in welchem die IV zu folgendem Entscheid kommt:
Ab 01.09.2013 Anspruch auf eine Viertelsrente
Ab 01.04.2015 Anspruch auf eine halbe Rente
Ab 01.04.2016 Anspruch auf eine ganze Rente
Die IV ist der Meinung, wenn gegen den Vorbescheid einen Einwand erhoben wird, muss alles geprüft werden. Ist das korrekt? Gibt es eine Möglichkeit einen separaten Vorbescheid/Verfügung für die jeweiligen Renten zu verlangen, da der Klient mit der ganzen Rente einverstanden ist und gegen die halbe Rente und Viertelsrente einen Einwand machen will?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüsse
S. Berchtold
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Liebe Frau Berchtold
Tatsächlich kann die IV bei Einwänden verfahrensmässig den ganzen Vorbescheid prüfen. Es gibt beim Vorbescheid keine Bindung an allfällige Vorbringen der betroffenen Person.
Das hat schon damit zu tun, dass ein Vorbescheid ja nur Ausdruck des rechtlichen Gehörs ist und ein Einwand KEIN eigentliches Rechtsmittel.
Die IV kann selbst bei einem Verzicht auf einen Einwand, z.B. bei neuen Erkenntnissen aus laufenden Abklärungen, noch Abänderungen vornehmen. Ebenso ist zu beachten, dass ev. auch Dritten Möglichkeiten für einen Einwand offen stehen. Namentlich der Vorsorgeeinrichtungen (Pensionskassen), welche unter Umständen an die IV-Entscheid gebunden sein können (vgl. Art. 23 BVG).
Will die IV von sich aus zu Ungunsten des Versicherten wesentliche Änderungen vom Vorbescheid vornehmen, so muss sie dies vor einer Verfügung nochmals in einem neuen Vorbescheid der versicherten Person eröffnen.
Der Grundsatz der fehlenden Bindung an Parteibegehren in Sozialverischerungsverfahren hat zu tun mit dem öffentlichrechtlichen Charakter der Verfahren. Er gilt übrigens sogar, wenn später gegen eine Verfügung einer IV-Stelle Beschwerde geführt wird an die Gerichtsinstanz (Verwaltungsgericht/Sozialversicherungsgericht). Auch hier gilt der Grundsatz der Möglichkeit zur reformatio in peius: Es ist also möglich, dass ein Entscheid der IV-Stelle zu Ungunsten der Person abgeändert wird, obwohl z.B. eine Verbesserung (z.B. ein höherer IV-Grad) verlangt wird. Die Gerichtspraxis verlangt aber, dass der Betroffene vor dem entsprechenden Gerichtsentscheid über die geplante Verschlechterung in Kenntnis gesetzt wird, und dass ihm die Möglichkeit eröffnet wird, das Rechtsmittel zurückzuziehen. Allerdings bleibt auch dann der verfügenden IV-Stelle offen ihren im Rahmen des laufenden Verfahrens ja noch nicht rechtskräftigen Entscheid in Wiederwägung zu ziehen.
Ich hoffe, das dient Euch.
Prof. Peter Mösch Payot