Guten Tag
Einer Klientin wurde ein erstes IV-Gesuch vom Jahr 2015 im Jahr 2016 abgelehnt. Im Jahr 2017 hat die Klientin ein erneutes Gesuch gestellt. Auf dieses Gesuch wurde eingetreten und die Klientin hat bei einem dreimonatigen Arbeitsversuch teilgenommen. Nun werden seitens IV keine Taggelder bezahlt, da die Klientin vorgängig Sozialhilfe bezogen habe (telefonische Auskunft IV-Stelle), bzw. bereits vor der Arbeitsunfähigkeit als Nichterwerbstätige im Sinne der AHVG gelte und zwischen Arbeitsunfähigkeit und Eingliederungsmassnahmen mehrere Jahre liegen (IV-Rundschreiben Nr. 279 vom 20.05.2009). Vor dem ersten Gesuch sowie zwischen dem ersten und dem zweiten IV-Gesuch hat die Klientin an Integrationsmassnahmen der Sozialhilfe teilgenommen. Ist die Auslegung der IV korrekt? Wenn ja; welche Bestimmungen sind zu berücksichtigen, z.B. konkret was bedeutet "mehrere Jahre"?
Besten Dank für Ihre Unterstützung.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau König
Tatsächlich haben seit ca. 10 Jahren nichterwerbstätige Personen keinen Anspruch mehr auf ein IV-Taggeld. Sofern sie allerdings wegen der Eingliederungsmassnahme Mehrkosten in der Betreuung von im gleichen Haushalt lebenden Kindern oder pflegebedürftigen Verwandten haben, können sie eine Entschädigung für Betreuungskosten geltend machen (Art. 11a IVG).
Hintergrund ist der Sinn des Taggeldes, einen ohne IV-Massnahme (hypothetischen) möglichen Erwerb zu ersetzen, also der Erwerbsersatzcharakter das Taggeldes. Diese Voraussetzung für ein Taggeld ist bei Nichterwerbstätigen ja nicht gegeben, weil diese ja auch ohne Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit nicht erwerbstätig wären.
Die Abgrenzung zwischen erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Personen hinsichtlich des IV Taggeldes kann Schwierigkeiten bereiten. Artikel 20sexies IVV Abs. 1 und Abs. 2 nehmen Bezug auf den Zeitpunkt der IV-relevanten Arbeitsunfähigkeit. Grundsätzlich dürfte das die Arbeitsunfähigkeit sein, die im Sinne von Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG nach einem Wartejahr einen IV-Renten-Anspruch begründen kann.
Gemäss Art. 20sexies Abs. 1 lit. a und b IVV gelten als Erwerbstätige jene Personen, die unmittelbar vor Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben. Ebenso jene, die glaubhaft machen können, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten, wenn ihnen die Arbeitsunfähigkeit nicht in die Quere gekommen wäre. Das muss die IV im Sinne der Untersuchugnsmaxime abklären. Die Aussagen der Person sind insoweit (nur, aber immerhin) ein Indiz.
Das Kreisschreiben über die Taggelder der Invalidenversicherung (KSTI), Stand: 1.1.2019, verweist in Rz. 1003 N 4 und 5 darauf, dass die vP, die bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitslos ist und
Anspruch auf Leistungen der schweizerischen Arbeitslosenversicherung hat, als erwerbstätig gilt. Gleiches gilt für Personen, die ihre Erwerbstätigkeit einzig aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Ebenso gelten Personen als erwerstätig, die vor der AUF in der erstmaligen Ausbildung waren und solche, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben und noch nicht erwerbstätig gewesen sind, als sie ihre Erwerbsfähigkeit ganz oder teilweise einbüssten (Art. 22 Abs. 1bis IVG),
Dieser Nachweis kann nur gelingen, wenn die Aufgabe der Erwerbstätigkeit wegen der Gesundheitsbeeinträchtigung gut dokumentiert ist. Je länger dies vom Beginn der AUF, die dann zur Anmeldung bei der IV geführt hat, her ist, desto wichtiger wird es, auch den Zusammenhang von Gesundheitsschaden – AUF – und Nichterwerbstätigkeit belegen zu können, namentlich mit ärztlichen Attesten.
In Ihrem Fall würde ich prüfen, ob sich mit diesen Argumenten, unter Beigabe der Beweismittel zum Zusammenhang von AUF und Erwerbsaufgabe, und unter Verweis auf die genannte Regelung im Kreisschreiben und in Gesetz und Verordnung ,ein Einwand gegen den IV-Vorbescheid lohnen könnte.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot