Guten Tag
In letzter Zeit bin ich zweimal auf Fälle gestossen, wo die IV Sozialhilfebzügern zwar eine zweijährige Umschulung bewilligt, aber kein IV-Taggeld zahlen will, da die Personen schon länger ausgesteuert resp. eben nicht mehr erwerbstätig gewesen wären.
KSTI Rz 1003.2 bzw. 1003.3 scheint jetzt einen Ausweg zu kennen, wenn die Personen glaubhaft machen können, dass sie nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten. Das müsse der IV-Stelle glaubhaft gemacht werden können.
Wie ist da die Rechtslage/Gerichtspraxis?
Muss ein konkretes Stellenangebot vorgelegen haben?
Oder kann ich mich darauf abstützen, dass ich ja mit dem Sozialamt intensiv nach Stellen gesucht habe?
Umgekehrt sagt die IV nach einer Umschulung ja auch, dass die Konjunktur und Arbeitsmarktlage sie nichts angeht, wenn trotz Umschulung Arbeitslosigkeit folgt.
Aber entsprechend könnte ich ja auch sagen, wenn ich die Konjunktur beiseite lasse, hätte der Klient auch eine Stelle gefunden… Die eine Hypothese gegen die andere aufgerechnet.
Aber eben, wie schätzen Sie die gültige Rechtslage ein?
Vielen Dank im Voraus
M.Blindow
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Blindow
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage.
Grundsätzlich gilt seit der 5. IV.Revision, dass das Taggeld den Charakter hat einer Ersatzleistung bei Erwerbsausfall durch die Massnahmen, und dass nur Personen Anspruch haben sollen, die im Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit mindestens eine Erwerbsabsicht haben oder hatten. Vgl. dazu das IV-Rundschreiben Nr. 279 vom 20.5.2009.
Im Einzelnen:
a) Für die Frage des Ob und des Wieviel hinsichtlich des Taggeldes während Umschulungsmassnahmen sind normativ die Art. 22 bis 25 IVG von Bedeutung.
Grundsätzlich gilt, dass Versicherte während der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen nach Artikel 8 Absatz 3 Anspruch auf ein Taggeld haben, wenn sie (an wenigstens drei aufeinander folgenden Tagen) wegen der Massnahmen verhindert sind, einer Arbeit nachzugehen, oder in ihrer gewohnten Tätigkeit zu mindestens 50 Prozent arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG2) sind. Versicherte in der erstmaligen beruflichen Ausbildung und Versicherte, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben und noch nicht erwerbstätig gewesen sind, haben Anspruch auf ein Taggeld, wenn sie ihre Erwerbsfähigkeit ganz oder teilweise einbüssen.
Tatsächlich ist also bei Personen, die das 20. Altersjahr erreicht haben, eine der Voraussetzungen für ein Taggeld, dass sie wegen der Massnahme daran gehindert sind, einer Arbeit nachzugehen oder dass, dass eine Arbeitsunfähigkeit zu mindestens 50% in ihrer gewohnten Tätigkeit besteht.
b) Art. 20sexies IVV konkretisiert weiter, wer insoweit als erwerbstätig gilt und ein Taggeld zu Gute hat:
1 Als erwerbstätig gelten Versicherte, die:
a.unmittelbar vor Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG) eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben; oder
b. .glaubhaft machen, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten.
Gemäss Abs. 2 sind den erwerbstätigen Versicherten gleichgestellt arbeitslose Versicherte, die Anspruch auf eine Leistung der Arbeitslosenversicherung haben oder mindestens bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hatten sowie Versicherte, die nach krankheits- oder unfallbedingter Aufgabe der Erwerbstätigkeit Taggelder als Ersatzeinkommen beziehen.
c) Noch etwas konkreter besagen Rz. 1003.2 und Rz. 1003.4 der KSTI (Kreisschreiben über die Taggelder der Invalidenversicherung (KSTI), Stand 1.1.2018 ), dass als erwerbstätig gelten und zu einem Taggeldbezug berechtigt sind: aa) Personen, die unmittelbar vor der Arbeitsunfähigkeit ein Erwerbseinkommen erzielt haben oder bbb) die glaubhaft machen können, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten (wäre die AUF nicht eingetreten). Ebenso cc) Personen, die bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitslos sind und Leistungen der Schweizerischen ALV haben und dd) Personen, die ihre Erwerbstätigkeit einzig aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mussten.
d) Vor dem Hintergrund dieser Normen und des Kreisschreibens ist die von Ihnen geschilderte Praxis zu bewerten. Sie kann zulässig sein, wenn es um Personen geht, bei denen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie auch ohne die Eingliederungsmassnahmen nicht erwerbstätig wären bzw. einer Arbeit nachgingen UND bei denen keine gesundheitlichen Gründe die Aufgabe der Arbeitstätigkeit bewirken und bewirkten.
Hingegen ist unter Verweis auf Art. 20sexies IVV und Rz. 1003.4 KSTI ein Taggeld auszurichten, wenn mittels Unterlagen und medizinischen Zeugnissen gezeigt werden kann, dass eine frühere Tätigkeit aufgegeben werden musste aus gesundheitlichen Gründen und diese nach wie vor die Erwerbstätigkeit verunmöglichen.
Gleiches gilt im von Ihnen genannten Fall, wenn auch ohne Erwerbstätigkeit vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit glaubhaft gemacht werden kann, dass eine Erwerbstätigkeit aufgenommen worden wäre ohne Arbeitsunfähigkeit.
Hier hat die IV-Stelle einen gewissen Spielraum in der Beweiswürdigung. Eine klare Rechtsprechung besteht nicht.
Aus Sicht der Sozialberatung ist es sicherlich ratsam, wenn entsprechende Pläne oder konkrete Bemühungen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit möglichst dokumentiert und bei der IV-Stelle vorgelegt werden können. Dazu können gehören konkrete Stellenbemühungen, Auszüge aus Protokollen und Befragungen, Zielvereinbarungen im Rahmen von sozialen und beruflichen Massnahmen etc.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot