Guten Tag
Wir betreuen einen Klienten (Jahrgang 1997), welcher am 20.03.2019 für Leistungen der IV angemeldet wurde.
Nun haben wir gleichzeitig zwei Entscheide erhalten:
a) Vorbescheid: Kein Anspruch auf eine Invalidenrente (inkl. Rechtsmittel)
b) Auflage einer Massnahme als Voraussetzung für allfällige zukünftige Leistungsansprüche (ohne Rechtsmittel)
Da es für uns neu ist, dass die SVA Auflagen erteilt, während kein Verfahren/Anspruch läuft, stellt sich für uns die Frage nach der rechtlichen Grundlage hierfür sowie unserem weiteren Vorgehen.
Situationsbeschrieb:
Eine Rentenleistung der IV wird gemäss Vorbescheid wie folgt abgewiesen:
Der Klient war bei Aufnahme des Verfahrens nicht in fachärztlicher Behandlung und hatte keine Ausbildung resp. war als Hilfsarbeiter tätig. Durch den RAD wurde eine externe psychiatrische und neuropsychologische Untersuchung vorgenommen welche im März 2021 stattgefunden hat. Es wurde festgehalten, dass der Klient seit September 2018 gesundheitlich eingeschränkt sei, jedoch ab Januar 21 eine Arbeitsfähigkeit von 85 - 100% vorliege. Die anschliessenden Eingliederungsmassnahmen (Massnahme für eine Behandlung) hat der Klient nicht erfüllt, da er die Behandlung nicht durchgängig wahrgenommen hat, was aus Sicht der IV jedoch medizinisch zumutbar gewesen wäre.
Die IV gibt an, dass sie gemäss dem Grundsatz "Eingliederung vor Rente" aus diesem Grund keinen Rentenanspruch prüfen. Zudem halten sie fest, dass der Klient im Herbst 2020 an einer Eingliederungsmassnahme teilgenommen habe und demnach Eingliederungspotential vorliege.
Im Schreiben betreffend Auflage einer Massnahme wird folgendes auferlegt:
- ambulante psychotherapeutische Behandlung zur Verbesserung der Schlafhygiene mit dem Ziel der Einhaltung eines regelmässigen Schlaf-Wach-Rhythmus und zur Prävention weiterer depressiver Episoden
- im Falle einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes zusätzlich medikamentöse Behandlung (evt. Im Rahmen einer stationären Behandlung)
- im Falle eines erneuten Alkohol- und/oder Dorgenkonsums Aufgleisung einer stationären Behandlung.
Weiter steht "Wir erwarten, dass Sie Ihre Arbeitsfähigkeit von 85% durch diese Massnahmen aufrechterhalten können.", Kosten werden von der IV keine übernommen. Hinzu kommt die Aussage "Wenn Sie die Massnahme nicht durchgeführt haben, kann dies zur Folge haben, dass wir Ihren Gesundheitszustand so beurteilen, als ob Sie die Massnahme durchgeführt hätten. Dies kann dazu führen, dass wir auf ein zukünftiges Verschlechterungsgesuch nicht eintreten oder das Gesuch abweisen".
Der Klient erachtet sich selber als arbeitsfähig und geht unregelmässig resp. nach Bedarf in eine psychologische Behandlung. Leistungen der IV möchte er nicht. Eine aktuelle Arbeitsfähigkeit wird auch durch die Beistandsperson bestätigt, inwiefern diese jedoch langfristig besteht ist aufgrund der labilen Situation schwer abzuschätzen.
Fragen/Unklarheiten:
Beurteilung der Auflage
- Ist es korrekt, dass die IV Auflagen für Massnahmen erteilen darf für die Zeit in der kein Verfahren/Anspruch läuft? Auf welche gesetzliche Grundlage stützt sich die IV hierbei?
- Ist dieses Verfahren der IV (Auflagen für die Zeit nach Ablehnung von Leistungen) neu? Gibt es schon Gerichts-Entscheide die dieses Vorgehen stützen?
- Der Klient ist 26 Jahre alt. Darf diese Auflage zeitlich unbeschränkt erteilt werden?
- Müsste sich die IV in diesem Fall nicht konsequenterweise auch (subsidiär zur Krankenkasse) an den Kosten beteiligen?
- Was bedeutet dies für die Dokumentation allfälliger gesundheitlicher Beschwerden? Welche Belege werden für eine allfällig spätere Wiederanmeldung notwendig sein?
- Bei diesen weitreichenden Konsequenzen der Auflage stellt sich uns zudem die Frage ob dies nicht per Verfügung erlassen werden müsste?
Vorgehen
- Aufgrund der Selbsteinschätzung des Klienten ist es gut möglich, dass er die momentane punktuelle Therapie nicht durchgängig weiterführen wird. Ist es daher wichtig, dass die Massnahmen gegenüber der IV bereits jetzt abgelehnt werden?
- Falls ja, in welcher Form? Müsste für ein allfälliges Vorgehen gegen die Auflagen vorgängig eine Verfügung mit Rechtsmittel verlangt werden? Oder muss der Vorbescheid beanstandet werden auch wenn Einigkeit besteht, dass der Klient momentan arbeitsfähig ist?
Herzlichen Dank für eine Hilfe in der Beurteilung der Situation.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag!
Formal können seitens der IV keine Auflagen im formellen Sinne auferlegt werden, wenn kein besonderes Rechtsverhältnis mehr besteht. Also für den Fall, dass das IV-Verfahren abgeschlossen ist und keine Abklärungen mehr laufen, bzw. keine Leistungen bezogen werden..
Zu beachten sind aber selbstverständlich die üblichen Voraussetzungen für eine Neuanmeldung bzw. Revision nach einem ablehnenden Entscheid.
Es geht dabei um die Voraussetzung für eine Neuanmeldung, dass im Vergleich zur Situation bei der Ablehnung oder der Einstellung der Leistungen, wesentliche Änderungen eingetreten sein müssen.
Das heisst, dass - wie bei einer Revision - auch bei einer Neuanmeldung glaubhaft zu machen ist, dass der Grad der Invalidität bzw. die entsprechenden Teilaspekte (Gesundheitszustand, Überwindbarkeit, Einhaltung von Mitwirkungspflichten etc.) sich entsprechend wesentlich verändert haben müssen. Vgl. Art. 17 Abs. 2 ATSG; Art. 87 Abs. 2 IVV; vgl. Urteil 8C_6/2022 vom 24. Mai 2022 mit weiteren Hinweisen.
Vor diesem Hintergrund sind die "Anordnungen", die hier seitens der IV erfolgten, als Hinweise beachtlicht, unter denen die IV voraussichtlich auf eine Neuanmeldung eintreten wird. Rechtsmittelmöglichkeiten bestehen dabei (noch) nicht.
Die Frage, ob das in den Anordnungen geforderte Verhalten tatsächlich zulässigerweise verlangt werden kann für ein Eintreten auf eine Neuanmeldung, kann seitens der versicherten Person (erst) aufgeworfen werden bei der Prüfung eines späteren allfälligen Nichteintretensentscheides oder einer Ablehnung.
Es kann aus taktischen Gründen ratsam sein, auf diese Auflage informell mit einem Schreiben zu reagieren, falls der Eindruck besteht, dass die entsprechenden Anforderungen nicht erfüllbar oder nicht zumutbar, bzw. nciht verhältnismässig erscheinen.
Dabei ist darzutun, dass und inwieweit die Auflagen aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar oder erfüllbar sind, und inwieweit die Erfüllung eventuell krankheitsbedingt nicht möglich ist, trotz aller entsprechenden Anstrengungen.
Das ist am besten durch eine fachärztliche Beurteilung zu untermauern.
Beste Grüsse
Peter Mösch Payot
Vielen herzlichen Dank für die Rückmeldung und die Abklärungen. Wir werden der IV ein entsprechendes Schreiben zur Information zukommen lassen.