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IV-Beraterin fragt KL nach Familienplanung

Veröffentlicht:
04.02.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

Eine IV-Beraterin ist mir bereits in verschiedenen Fällen aufgrund ihrer mehr oder weniger despektierlichen Äusserungen aufgefallen. Bei der hier betroffenen Klientin hat sie mir gegenüber im inoffiziellen Vorgespräch mit vielsagendem Unterton geäussert, dass diese Frau "mit Kopftuch herumlaufe". Die Klientin ist arbeitslos nach einem Burnout und befindet sich in einem Aufbautraining. Sie wird von mir in einem Jobcoaching betreut. Zurzeit werden die beruflichen Perspektiven sondiert und Arbeitsbemühungen erbracht, ein IV-Arbeitsversuch wird angestrebt.

Die Klientin plant, entsprechend ihrer religiösen Konventionen, ihren jetzigen Freund demnächst zu heiraten, um mit ihm zusammen zu wohnen. Dies hat sie in einem Gespräch mit der IV-Beraterin erzählt. Die IV-Beraterin hat sie daraufhin gefragt, ob sie dann auch gleich Kinder hätte. Sie hat keine ausdrückliche Begründung für die Frage angegeben, aber vage geäussert, dass der jetzige Aufwand ja doch beträchtlich sei. Die Klientin hat geantwortet, dass wisse sie jetzt noch nicht.

Ich habe meine Klientin informiert, dass ihre Familienplanung meines Erachtens keinen Einfluss auf das Verhalten der IV haben dürfe und diese Frage unzulässig sei. Liege ich da falsch? Kann ich die IV-Beraterin auf das Gleichstellungsgesetz verweisen?

Danke für Ihre Einschätzung und freundliche Grüsse

Sarah Studer

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Frau Studer

Es ist selbstverständlich, dass staatliche Stellen und ihre Mitarbeitenden bei Ihrer Tätigkeit die Grundrechte der versicherten Personen sowie Treu und Glauben zu achten haben. Falls insoweit Verfehlungen vorkommen, kann die betreffende Beratungsperson, oder auch deren Vorgesetzte/r informiert werden, ev. auch die Aufsichtsinstanz (BSV).

Die Frage der Betreuung von Kindern kann für die Bemessung des Rentenanspruchs bei der Invalidenversicherung bedeutsam sein.

Wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit im Falle ohne Gesundheitsschaden davon auszugehen wäre, dass die versicherte Person Betreuungsaufgaben wahrnehmen würde, so wird die entsprechende Invalidität nicht nach dem Einkommensvergleich, sondern mit einer Haushaltsabklärung nach der Einschränkung im Aufgabenbereich bemessen.

Dabei gilt gemäss Urteil 9C_565/2015 vom 29.01.2016 E. 3.2 Folgendes:

Ob und gegebenenfalls in welchem zeitlichen Umfang eine in einem Aufgabenbereich tätige versicherte Person (Art. 5 Abs. 1 IVG) in Verbindung mit Art. 8 Abs. 3 ATSG ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre, ergibt sich aus der Prüfung, was sie bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde.

Entscheidend ist in welchem Pensum sie hypothetisch erwerbstätig wäre (BGE 133 V 504 E. 3.3 S. 507 f), wenn sie keine Gesundheitsbeeinträchtigung hätte.

Bei im Haushalt tätigen Versicherten im Besonderen (vgl. Art. 27 IVV) sind die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse ebenso wie allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu berücksichtigen.

Massgebend sind die Verhältnisse, wie sie sich bis zum Erlass der Verfügung entwickelt haben, wobei für die hypothetische Annahme einer im Gesundheitsfall ausgeübten (Teil-) Erwerbstätigkeit der im Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich ist.

Ein erhebliches Indiz ist dabei die Tätigkeit, welche bei Eintritt der invalidisierenden gesundheitlichen Beeinträchtigung tatsächlich - und unter Umständen seit längerer Zeit - ausgeübt wurde, vor allem bei sonst im Wesentlichen unveränderten Verhältnissen bis zur Entstehung des Rentenanspruches.

Selbstverständlich dürfte aber der blosse Wunsch, einmal Kinder zu haben, nicht für die Annahme von hypothetischer Nichterwerbstätigkeit angenommen werden.

Für den konkreten Fall muss aber offen bleiben, ob und inwieweit die IV-Beraterin auf diese Sachverhaltsabklärung abzielte.

 

Ich hoffe, das dient Ihnen.

 

Peter Mösch Payot