Guten Tag
Ich begleite einen schwerer betroffenen Patienten während der Rehabilitation in einer stationären Rehaklinik. Der Patient hat Jahrgang 1957, ist frühpensionierter Lehrer, wohnt im Kanton AG und bezieht eine PK-Rente (jedoch keine Leistungen der 1. Säule).
Aufgrund seiner Situation wird er Anspruch auf IV-Hilfsmittel haben.
Macht es Sinn, ihn auch bezüglich eines IV-Rentenbegehrens bei der IV anzumelden? Ist das überhaupt möglich? Falls ja, würde ein Betätigungsvergleich durchgeführt, da der Einkommensvergleich nicht mehr möglich ist?
Der Patient wird vorübergehend in ein Pflegeheim austreten, da er vorerst nicht mehr alleine leben kann. Hätte er, falls die Bedingungen erfüllt sind, Anspruch auf EL und HE?
Und zum Schluss: Wäre eine IV-Anmeldung sinnvoll hinsichtlich eines allfälligen späteren Austritts nach Hause und der Möglichkeit, Assistenzbeiträge in Anspruch zu nehmen?
Herzlichen Dank im Voraus für die Bemühungen und freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
1. Für die Frage des Besitzstandes in der ersten Säule (also zwischen IV-Rente und Altersrente der AHV, bzw bzgl. HE, Assistenzbeiträgen und/oder Hilfsmitteln von IV und AHV) spielt hingegen auf jeden Fall die Frage des Bezuges von BVG-Leistungen keine Rolle.
2. Der Besitzstand des Leistungsniveaus der IV bei Erreichen des ordentlichen Rentenalters oder bei einem Vorbezug der AHV-Rente wird also gewährt, wenn jene Ansprüche schon vorher bestehen, vgl. Art. 43bis Abs. 4 AHVG (HE); Art. 43ter AHVG (Assistenzbeitrag); Art. Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung, HVA (Hilfsmittel); Art. 33bis AHVG (Rentenhöhe)
3. Die entsprechenden Ansprüche sollten also in Ihrem Fall unbedingt vor einem vorzeitigen Rentenbezug bzw. dem ordentlichen Rentenalter geltend gemacht werden.
4. Für die Hilflosenentschädigung und den Assistenzbeitrag bedeutet der Besitzstand beispielsweise, dass unter der Voraussetzung, dass die bisherige Hilflosen- entschädigung der IV in eine solche der AHV in gleicher Höhe umgewandelt bei Vorbezug oder bei Erreichen des Rentenalters. Aber nur, wenn die Hilflosigkeit, bzw. der Assistenzbedarf im gleichen Ausmass weiter bestehen beim ordentlichen Rentenalter, und wenn der Bezüger weiterhin zu Hause wohnt.
Dasselbe gilt für Personen, die eine Entschädigung für eine Hilflosigkeit leichten Grades beziehen und sich im Heim aufhalten.
Für Bezüger einer Hilflosenentschädigung mittleren oder schweren Grades, die sich im Heim aufhalten, wird die Hilflosenentschädigung der IV an die in der AHV gemäss Art. 43bis Abs. 3 AHVG geltenden Beträge angepasst (KSIH (Stand 1.1.2020), Rz. 8123ff.)
Diese Besitzstandsgarantie gilt auch, wenn eine Hilflosenentschädigung der IV im Rahmen der Verjährungsvorschrift von Artikel 48 Absatz 2 IVG nachzuzahlen ist oder wegen Verjährung erst im Rentenalter beginnen kann (vgl. ZAK 1980 S. 57).
Tritt eine Person mit einer Entschädigung für eine Hilflosigkeit leichten Grades nach Erreichen des Rentenalters in ein Heim ein, erlischt der Anspruch auf eine Entschädigung. (Vgl. KSIH Rz. 8123 (Stand 1.1.2018)
5. Zur Bestimmung der IV-Rente: Der Status für die Berechnungsmethode wird hypothetisch bestimmt. Also danach, ob der Betroffene erwerbstätig wäre, wenn die Gesundheitsbeeinträchtigung nicht eingetreten wäre. Dafür wird bedeutsam sein, ob seine BVG-Frühpensionierung schon in einem belegbaren Zusammenhang stand mit der aktuellen Gesundheitssbeeinträchtigung oder nicht. Wenn nein, so wird in diesem Fall tatsächlich die Methode des Betätigungsvergleichs Anwendung finden.
6. Ein Anspruch auf HE kann auch bei einem Heimaufenthalt (von mehr als 15 Tagen pro Monat) bestehen, wenn die entsprechende Hilflosigkeit ausgewiesen ist. Sie beträgt dort allerdings nur ¼ des Betrages der HE zu Hause. Vgl. zur Übersicht: https://www.ahv-iv.ch/p/4.13.d. Siehe auch Art. 42ter Abs. 1 und 2 IVG.
7. Der Anspruch auf Assistenzbeiträge bei einem Zu Hause-Wohnen ist insbesondere auch von der Voraussetzung abhängig, dass eine Hilflosenentschädigung ausgerichtet wird und die Person zu Hause wohnt (vgl. Art. 42quater IVG). Art. 39c IVV bestimmt die Bereiche, in denen Hilfebedarf anerkannt werden kann.
Ich rate dazu, einen allfällige Assistenzbeitrag, unter Beratung einer Fachorganisation, Procap, Pro Infirmis etc., geltend zu machen.
8. Ein Anspruch auf EL kann sowohl ergänzend zu einer allfälligen HE als auch zu einer allfälligen IV-Rente bestehen. Zu beachten ist, dass insoweit das BVG-Einkommen (und andere allfällige Einkommen) angerechnet werden, weil sie den Bedarf schmälern. Hingegen wird der vorläufige Verzicht auf einen AHV-Vorbezug nicht als hypothetisches Einkommen angerechnet.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot