Grüezi miteinander
Anbei eine Frage aus der betrieblichen Sozialberatung:
Eine Mitarbeiterin arbeitet aus familiären Gründen (geschieden, alleinerziehend, 2 Kinder) teilzeit 50%. Sie erkrankt an einer Krebserkrankung und fällt aufgrund der Behandlung teilweise aus im 2019/2020, kämpft sich aber zurück. IV wurde damals auf Wunsch Mitarbeiterin wieder abgemeldet. Die Mitarbeiterin ist vom Typ her jemand, die eher über die eigene Grenze geht um die Arbeit bewältigen zu können.
Nun wäre die Zeit gekommen, da die Kinder flügge werden, das Pensum zu erhöhen. Nur muss sich die Mitarbeiterin eingestehen, dass sie doch stärkere, gesundheitliche Einschränkungen hat. Das bestehende 50% Pensum kann sie knapp mit div. Anpassungen leisten (Verteilung Arbeit auf 5-7 Arbeitstage (ist beruflich gut möglich für beide Seiten), Reduktion Freizeitbeschäftigung aufs absolute Minimum). Haushalt geht auch sosolala, das eine erwachsene Kind hilft mit (unklar, wie sehr)
Es wurde nun auf Anraten des Ärztesystems eine neue IV Anmeldung im Dezember 2021 eingereicht. Idee: ergänzende Teilrente zur bestehenden 50% Tätigkeit.
Meine Frage ist: wie stehen die Chancen bei dieser Ausgangslage auf Teilrente ergänzend zur 50% Stelle? Gibt es Empfehlungen, wie das Berichtwesen (Arzt/Arbeitgeber) gestaltet werden sollte um die Chancen zu erhöhen?
Vielen Dank für Ihre Einschätzung und freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag!
Gerne beantworte ich Ihre Fragen
1. Entscheidend sind in diesem Fall für eine allfällige Invalidität und die Berechnung des IV-Grades insbesondere folgende Elemente:
a) Die gesundheitliche Beeinträchtigung und ihre Auswirkung auf die medzinisch-theoretisch mögliche Tätigkeit im Arbeitsmarkt, bzw. im Haushalt
b) der Status. Also die Frage, ob die Person OHNE gesundheitliche Einschränkung erwerbstätig wäre oder nichterwerbstätig wäre. Und wenn sie erwerbstätig wäre, in welchem Umfang. Vgl. Art. 24septies IVV und Rz. 3100ff. KSIR (Kreisschreiben über Invalidität und Rente, Stand 1.1.2022).
Warum? Weil für den Bereich der Erwerbstätigkeit der IV-Grad sich bemisst nach der Erwerbseinbusse im Vergleich zum Einkommen, das ohne Handicap erzielt würde.
c) das Valideneinkommen (Einkommen ohne Invalidität) und das Invalideneinkommen. Also was die Person trotz Gesundheitseinschränkung verdienen könnte. (vgl. Art. 16 ATSG und Rz. 3200ff. KSIR (Kreisschreiben über Invalidität und Rente, Stand 1.1.2022).
d) die Einschränkung im Haushalt, die gemessen wird an der konkreten Einschränkung bei der Haushaltseinschränkung. Wenn wie hier eine Haushaltshilfe besteht ist wichtig zu belegen, dass diese WEGEN der Gesundheitseinschränkung tätig wurde. Ansonsten werden die Einschränkungen, die durch die Haushaltshilfe abgedeckt werden, nicht für die Berechnung des IV-Grades berücksichtigt. (vgl. Art. 28a Abs. 2 IVG und Rz. 3600ff. KSIR (Kreisschreiben über Invalidität und Rente, Stand 1.1.2022).
e) Zu beachten ist, dass die IV selbstverständlich vor der Rentenprüfung die Möglichkeiten der Eingliederung oder Behandlung prüft und eventuell entsprechende Massnahmen oder Auflagen vorsieht, soweit diese zumutbar sind und geeignet zur Reduktion der Invalidität.
2. Was kann hier nun mit Blick auf Berichte beachtet werden, damit die IV im Rahmen der Untersuchungsmaxime möglichst die reale Situation erfassen kann und die berechtigten Anliegen und die tatsächliche Einschränkung Berücksichtigung findet:
a) Mit Blick auf die genannte Berechnung des IV-Grades (1a, c und d) und mit Blick darauf, wie die IV die Abklärungen vornimmt und ev. Auflagen macht (1e) ist eine klare spezialärztliche Berichterstattung einzureichen, möglichst schon mit oder kurz nach der IV-Anmeldung. Diese sollte gut hergeleitet Auskunft geben, welche Funktionen wie noch möglich sind trotz der Erkrankung. Welche Diagnose also besteht und wie sie sich auf die Funktionen in der Arbeitswelt (unabhängig vom konkreten Job) und auf die Haushaltsführung dauerhaft auswirkt.
Die IV wird insoweit dann bei weiteren medizinischen Abklärungen diese Berichte auch einbeziehen müssen.
b) Mit Blick auf diese entscheidenden Punkte (1 a, c und d) können auch möglichst genaue Berichte und Beobachtungen des Arbeitgebers (z.B. über Beobachtungen, CM-Versuche, Bestätigungen von Möglichkeiten und Grenzen der Leistungsfähigkeit) die weiteren Abklärungen und deren Ergebnisse beeinflussen.
Wichtig wären vor allem auch Informationen an die IV mit Blick auf den Status. Namentlich Indizien, die der Arbeitgeber kennt (z.B. aus Mitarbeitergesprächen), ob und inwieweit die Person ohne die Gesundheitseinschränkung ihre Erwerbstätigkeit erhöht hätte. Namentlich weil die Kinder nun älter sind. Es ist zu beachten, dass bei einem relativ guten Valideneinkommen im Regelfall die Einschränkung im Erwerbsbereich zu einem höhreren IV-Grad führt als die Haushaltsabklärung.
c) Wenn in diesem Fall ganz oder teilweise der IV-Grad berechnet wird nach der Einschränkung im Haushalt. so sind Berichte aus dem Umfeld (Spitex, Haushaltshilfe etc.) hilfreich, die eventuell als Indizien etwas beitragen zur Frage, inwieweit eine Einschränkung in der Haushaltsführung besteht. Wichtig wäre auch zu belegen, dass die Haushaltshilfe gesundheitsbedingt angestellt wurde. Oder das ev. ihr Pensum gesundheitsbedingt erhöht wurde.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot