Guten Tag
Ich arbeite im sozialpsychiatrischen Bereich als Sozialarbeiterin. Nun habe ich eine Pat., die seit 2017 in der Schweiz lebt. Sie arbeitet als selbstständige Sexarbeiterin und schafft es nicht ihr Einkommen zu generieren. Der Arzt hat mich gebeten die Pat. bei der IV anzumelden. Er möchte gern, dass sie beruflich unterstützt wird und evtl. eine Teilrente bekommt. Er sieht sie nicht als 100% erwerbsfähig.
Ich habe selten mit Pat. zu tun, die selbststänig sind. Können Sie mir sagen, welche Möglichkeiten die IV bei einer Selbstsändigkeit bieten kann? In Bezug auf berufliche Eingliederung habe ich nur die Erfahrung gemacht, dass man von der v.P. verlangt hat, die Selbstständigkeit aufzugeben.
Im Rentenfall ist es für mich fraglich, wie man einen Einkommensvergelich machen würde.
Hinzu kommt, dass Pat. seit Jahren keine AHV - Beiträge für Selbstständige zahlt.
Vielen Dank im Voraus!
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag.
Gerne beantworte ich Ihre Fragen zu selbständig Erwerbenden.
1. Zunächst zur Beitragspflicht: Selbständige müssen Beiträge bezahlen nach Massgabe des Einkommens. Es ist mit Blick auf mögliche Leistungen bei Invalidität ratsam hier die Beitragspflicht zu erfüllen. Und die Tätigkeit der Ausgleichskasse zu melden. Die Beitragspflicht wird bis fünf Jahre rückwirkend (mit Verzugszinsen) berechnet.
2. MIt Blick auf die berufliche Eingliederung ist tatsächlich anzunehmen, dass primär Massnahmen mit Blick auf eine unselbständige Erwerbstätigkeit im Vordergrund stehen würden.
Gemäss Art. 18d IVG und Art. 7 IVV bestehen unter bestimmten Voraussetzungen auch Massnahmen der Kapitalhilfe für Selbständige (siehe Kreisschreiben über berufliche Eingliederungsmassnahmen KSBEM, Stand 1.1.2022, Rz. 2301ff.)
Konkret: Eingliederungsfähigen invaliden versicherten Personen wird die Aufnahme, die Wiederaufnahme oder der Ausbau einer selbständigen Erwerbstätigkeit ermöglicht und/oder die aufgrund der Invalidität notwendigen betrieblichen Umstellungen finanziert. Darunter fällt auch die leihweise Abgabe von Betriebseinrichtungen.
Zielgruppe dafür sind unter anderem selbständig erwerbende Personen, die invaliditätsbedingt ihre Erwerbstätigkeit nicht weiterführen können und für die eine unselbständige Erwerbstätigkeit unzumutbar ist. Es müsste der Betroffenen als unzumutbar sein, eine unselbständige Erwerbstätigkeit wahrzunehmen.
Die Kapitalhilfe umfasst folgende Leistungen (LC 552):
- Geldleistungen ohne Rückzahlungspflicht
- Zinsloses und verzinsliches Darlehen
- Betriebseinrichtungen
- Garantieleistungen (Abgrenzung Abgabe von Hilfsmitteln)
Eine Kapitalhilfe kann für die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit gewährt werden, sofern die versicherte Person - bereits vor Eintritt der Invalidität selbständig erwerbstätig war.
Eine Kapitalhilfe kann nicht gewährt werden, wenn die versicherte Person - nach abgeschlossenen beruflichen Eingliederungsmassnahmen der IV eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnehmen möchte, obwohl eine Beschäftigung in einem Anstellungsverhältnis zumutbar ist;
Damit eine Kapitalhilfe gewährt werden kann, müssen folgende Bedingungen kumulativ erfüllt sein: - Wohnsitzpflicht in der Schweiz: Die versicherte Person hat ihren Wohnsitz in der Schweiz (vgl. Art. 13 Abs. 1 ATSG); Notwendigkeit der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit: Kann die versicherte Person eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben oder sind andere Eingliederungsmassnahmen der IV besser geeignet, die versicherte Person einzugliedern, wird keine Kapitalhilfe gewährt. Die Invalidität muss der versicherten Person verunmöglichen, eine unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder weiterzuführen
Eine Kapitalhilfe wird gewährt, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine längerdauernde existenzsichernde Tätigkeit gegeben sindxxviii, und der Gesundheitszustand der versicherten Person angesichts der gesamten zu erwartenden Arbeitsdauer eine erfolgreiche berufliche Eingliederung nicht behindert. Die Voraussetzung einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit ist erfüllt, wenn die Kapitalhilfe der versicherten Person ermöglicht, während einer längeren Zeitspanne ein Bruttoeinkommen zu erzielen, das mindestens dem mittleren Betrag zwischen dem Minimum und dem Maximum der ordentlichen Altersrente entspricht.
Gesicherte Finanzierung: Es muss eine nachhaltige Finanzierung der selbständigen Erwerbstätigkeit gewährleistet sein, d.h. neben der Kapitalhilfe muss eine ausreichende und angemessene Finanzierung längerfristig gesichert sein
Es besteht dabei kein Anspruch auf eine Kapitalhilfe.
3. Mit Blick auf die IV-Rente kommt bei Selbständigen der Einkommensvergleich analos zu unselbständig Erwerbstätigen zur Anwendung.
Die Bemessung des Invaliditätsgrades von Personen, die eine Erwerbstätigkeit ausüben, hat nämlich grundsätzlich durch die allgemeine Methode des Einkommensvergleichs zu erfolgen (BGer 9C_812/2015).
Wo jedoch eine zuverlässige Ermittlung der beiden Vergleichseinkommen (Validen- und Invalideneinkommen) direkt nicht möglich ist, wird der Invaliditätsgrad nach dem ausserordentlichen Bemessungsverfahren ermittelt (BGE 128 V 29). Die Bemessung des Invaliditätsgrades erfolgt dann gemäss der ausserordentlichen Methode nach einem Betätigungsvergleich. Es muss ermittelt werden, welche Tätigkeiten in welchem zeitlichen Umfang die versicherte Person ohne und mit gesundheitlicher Beeinträchtigung ausüben könnte. Wobei auch zu prüfen ist, in welchem Umfang sich die Erwerbseinbusse durch eine Verlagerung einzelner Tätigkeiten auf andere, dem Gebrechen besser angepasste Beschäftigungen, verringern liesse.
Anschliessend sind die Tätigkeiten erwerblich zu gewichten, indem für jede Tätigkeit ein branchenspezifischer Lohnansatz unter Berücksichtigung der einzelfallbezogenen Kriterien (Betriebsgrösse, Branche, Erfahrung des Betriebsinhabers, etc.) angewandt wird (BGE 128 V 29).
Hierfür können etwa die im Betrieb bezahlten Löhne für eine entsprechende Tätigkeit angerechnet werden oder statistische Werte beim betreffenden Berufsverband nachgefragt werden. Wo keine solchen Werte ermittelt werden können, kann behelfsweise auf statistische Werte der LSE abgestellt werden (8C_645/2010). B
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot