Zum Inhalt oder zum Footer

IV Anmeldung

Veröffentlicht:
21.09.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

Ich habe eine Klientin welche an MS erkrankt ist. Sie hatte schon längere Zeit Symptome, hatte diese aber dahingehend interpretiert das sie evtl. nicht im richtigen Job arbeitet und deswegen müde und erschöpft ist. Sie hat dann in Folge deswegen selbst ihr Pensum reduziert. Als die Beschwerden anhielten hat sie div. Ärzte aufgesucht und es wurde MS diagnostiziert. Die Diagnose besteht nun seit einem Jahr.  Ihr momentanes Pensum kann sie ohne Krankschreibung (50 %) absolvieren, jedoch ist sie nicht in der Lage wieder aufzustocken und sie macht sich grosse Sorgen bzgl. ihrer weiteren Zukunft. Ich habe ihr nun geraten dringend eine IV Anmeldung zu machen. Sie hat diese bislang nicht getätigt,  da sie niemand darauf hingewiesen hatte und weil sie sich primär alternativ-medizinisch behandeln lässt und im November auch noch eine ayurvedische Behandlung in Indien geplant hat. Sie hat grosse Angst das die IV Druck machen könnte sich nur noch schulmedizinsch behandeln zu lassen und zieht in Erwägung eine Anmeldung erst nach ihrem Indien Aufenthalt zu tätigen.

Meine Frage ist ob die IV die Möglichkeit hat sie dazu zu verpflichten sich primär nur noch schulmedizinisch behandeln zu lassen und es ihr zum Nachteil gereicht, wenn sie nun zu einer Behandlung nach Indien fährt?

Da die Klientin früher eine 100 % Anstellung hatte, wollte ich des Weiteren noch anfragen, wie dies wie dies z.B. für den Fall eines Teilrenten Anspruchs Seitens IV bewertet wird, da sie ihr Pensum aufgrund von gesundheitlichen Beschwerden reduziert hat?

Herzlichen Dank für Ihre Einschätzung

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Liebe Frau N.

Tatsächlich ist es so, dass bezüglich eines laufenden IV-Verfahrens eine strenge Schadenminderunspflicht besteht (Art. 7 und Art. 7a IVG). Die Betroffene muss alles Zumutbare unternehmen, um die Dauer und das Ausmass der Arbeitsunfähigkeit zu verringern und den Eintritt der Invalidität zu verhindern. 

Dazu gehört sicherlich auch, sich den ärztlich oder spezialärztlich verordneten, schulmedizinisch anerkannten Behandlungen zu unterziehen. Nach einem Mahn- und Bedenkzeitverfahren könnte die Weigerung hierzu zu einer Kürzung oder einer Einstellung von Eingliederungs- und Rentenleistungen führen. Diesbezüglich sind die gesamten Umstände zu berücksichtigen. Zum Beispiel insb. auch die medizinisch ausgewiesene Nützlichkeit und Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolges und mögliche medizinische Gründe, dass Behandlungen nicht angezeigt sind oder besondere Nebenwirkungen zu erwarten wären (vgl. Art. 7b Abs. 1 und 3 IVG i.V.m. Art. 21 ATSG). 

Vor diesem Hintergrund ist es möglich, dass nach einer Anmeldung, aber auch bereits nach einer Meldung zur Frühintervention, entsprechende Massnahmen verlangt werden könnten und die Verweigerung besonders nachteilig sein könnte.

Auf der anderen Seite führt das weitere Aufschieben der Meldung bzw. Anmeldung dazu, dass aufgrund der Regel, dass Rentenleistungen frühestens sechs Monate nach Anmeldung bezahlt werden können (Art. 29 Abs. 1 IVG), eine weitere Verzögerung der Anmeldung zu einer entsprechenden späteren Berechtigung zur Rente führen wird, zumal das Wartejahr  ja bereits abgelaufen ist, wenn die erkennbare Arbeitsunfähigkeit von mindestens 40% bereits abgelaufen ist (vgl. hierzu Art. 28 IVG).

Diese Güterabwägung ist im Einzelfall zu fällen. Möglich wäre etwa die Absprache, dass eine IV-Anmeldung nach dem Auslandaufenthalt gewählt wird, wenn dieser keine entscheidene Besserung bringen sollte. Denkbar wäre aber auch, dass eine IV-Anmeldung erfolgt, und dass gegenüber der IV transparent dargelegt wird, dass in einem ersten Schritt eine ärztlich empfohlene alternativmedizinische Heilbehandlung versucht werden soll. Und danach selbstverständlich auch weitere Heilbehandlungen nach ärztlichem Rat in Betracht gezogen werden.

Unabhängig davon ist entscheidend, wann der Gesundheitsschaden sinnfällig wurde und zu einer erheblichen und im Wesentlichen ununterbrochenen Einschränkung führte. Im IVG ist dies entscheidend für die Frage des relevanten Valideneinkommens. Für Leistungen nach BVG entscheidend für die Frage, OB und von welcher PK welche Leistungen geschuldet sind (vgl. Art. 23 BVG).

Gerade, wenn dieser Zeitpunkt mehr als ein Jahr VOR einer IV-Anmeldung liegen soll, liegt die Beweislast für das entsprechende höhere Pensum und Valideneinkommen bei der versicherten Person.

Es ist also von zentraler Bedeutung, dass unabhängig davon, ob die IV-Anmeldung nun trotz allem sofort gemacht wird, sehr gut dokumentiert und ärztlich ausgewiesen ist, wann die Symptome begonnen haben, und dass sie kausal zur Reduktion des Pensums geführt haben wegen der entsprechenden medizinisch ausgewiesenen Teilarbeitsunfähigkeit. Dies ist unbedingt ärztlich und ev. auch über den Arbeitgeber (Protokolle der Absprachen über entsprechende Pensenreduktionen und deren Gründe) zu dokumentieren - und am besten auch direkt ins IV-Verfahren einzubringen. Auch die entsprechende PK wird am besten mit der IV-Anmeldung entsprechend dokumentiert. 

 Ich hoffe, das dient Ihnen.

Prof. Peter Mösch Payot