Guten Tag
Ich berate derzeit den ambulanten Patienten Herrn A., der seit wenigen Wochen 3x/Woche zur Hämodialyse zu uns ins Spital kommt.
Gemäss dem Nephrologen ist eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit von ca. 50% zu erwarten bei Dialysepflicht. Herr A. ist selbstständig erwerbend im eigenen Sanitärgeschäft und arbeitete vor der Dialysenpflicht zu 100%. Er kommt dienstags, donnerstags und samstags jeweils am Vormittag zur Dialyse, weshalb er am Dienstag und am Donnerstag je einen Halbtag nicht arbeiten kann. Er arbeitet gemäss eigenen Angaben trotz der Dialyse zu mind. 80% weiter, meist auch mehr, wenn das Geschäft gerade gut laufe.
Es gilt für uns abzuklären, ob Herr A. Anrecht auf IV-Leistungen hätte (sind IV-Taggelder zwingend an Abklärungs- und Eingliederungsmassnahmen gekoppelt? Oder evtl. auch eine IV-Teilrente?). Allerdings kenne ich mich leider gar noch nicht aus, wenn die Betroffenen selbstständig erwerbend sind. Herr A. befürchtet, dass er keine IV-Teilrente erhält, da er mehr als die vom Arzt konstatierten 50% weiterarbeitet.
Können Sie mir raten, welches Vorgehen für Herrn A. sinnvoll ist?
Besten Dank und freundliche Grüsse,
Helene Graber
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Graber
Bei versicherten Personen, die bei ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit wohl über längere Zeit gesundheitlich eingeschränkt sei könnten, sollten sich möglichst schnell bei der IV-Stelle Ihres Wohnsitzkantons zur Früherfassung melden.
a) Die IV-Stelle wird in der Folge abklären, ob Ihre Erwerbsfähigkeit durch die Anpassung oder Umstrukturierung des Betriebs erhöht werden kann. Lässt sich die gesundheitliche Einschränkung dadurch nicht verringern, mutet die IV-Stelle der selbständig erwerbstätigen Person auch zu, sich beruflich neu zu orientieren und kann Eingliederungsmassnahmen vorsehen. Der Anspruch auf eine Rente wird erst geprüft, wenn keine Aussichten mehr auf die Erhöhung der Erwerbsfähigkeit im bisherigen Beruf oder einer anderen zumutbaren Tätigkeit bestehen. Möglich sind Eingliederungsmassnahmen (Berufsberatung, Umschulung etc.)
b) Ein IV-Taggeld wird für unselbständige oder unselbständige Erwerbstätige gewährt bei solchen Eingliederungsmassnahmen, aber gemäss Art. 17 IVV auch bei zur Abklärung der Eingliederungsfähigkeit oder der Rentenberechtigung an mindestens zwei aufeinanderfol-genden ganzen Tagen von der IV-Stelle vorgängig angeordneten Untersuchung. Ebenso für Untersuchungen, die Teil von nachher angeordneten Eingliederungsmassnahmen sind oder von Abklärungen, die für die Prüfung der Zusprechung von Leistungen unerlässlich sind (Art. 78 Abs. 3 IVV).
Bei den hier bestehenden direkt aus medizinischen Gründen notwendigen Massnahmen dürfte wohl von Vornherein kein Anspruch auf ein IV-Taggeld bestehen.
Zu prüfen wäre, ob der Selbständige freiwillig eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat und entsprechende Leistungen zu Gute hat.
c) Eine IV-Rente wird geprüft, wenn Eingliederungsmassnahmen nicht erfolgversprechend sind und insoweit die Gesundheitsbeeinträchtigung in ihren Auswirkungen stabil erscheint. Bei Selbständigen kommt im Normalfall zur Bestimmung der Erwerbsunfähigkeit auch der Erwerbsvergleich zur Anwendung. Man vergleicht also das Einkommen, das trotz Gesundheitsbeeinträchtigung erreichbar ist (Invalideneinkommen) mit dem Einkommen, das erzielt würde ohne Gesundheitsbeeinträchtigung (Valideneinkommen).
Dabei spielen die realen Verhältnisse eine Rolle. Es wird also das tatsächliche Einkommen herangezogen und insoweit das Einkommen, dass der Betroffene tatsächlich erreicht.
Soweit sich die fraglichen Einkommen nicht ohne Weiteres ermitteln lassen, werden sie geschätzt auf der Basis der konkreten bekannten Indizien.
Beim Invalideneinkommen werden Einkommen, die unter offensichtlich unzumutbarer Tätigkeit, erzielt werden, in Abzug gebracht. Das könnte in Ihrem Fall von Relevanz sein. Wichtig sind dabei eine entsprechende medizinische Bestätigung (vgl. Rz. 3054 Kreisschreiben über Invalidität und Hilflosigkeit (KSIH, Stand 1.1.2018).
Nur wenn es geradezu unmöglich ist, so das Validen- und Invalideneinkommen zu ermitteln (was selten sein dürfte), kommt die ausserordentliche Bemessungsmethode zur Anwendung: Also ein Betätigungsvergleich aufgrund einer Betriebsüberprüfung, für den die jeweiligen Tätigkeiten gewichtet werden und denen pro Tätigkeit ein jeweiliger Lohn zugewiesen wird (aus Branchenzahlen oder gemäss der LSE-Statistik. (BGE 128 V 29).
Vgl. zu weiteren Aspekten der Bestimmung des IV-Grades Rz. 3029.1ff. und Rz 3070 des entsprechenden Kreisschreibens KSIH, https://sozialversicherungen.admin.ch/de/d/6415/download.
Insgesamt ist in Ihrem Fall anzunehmen, dass mit Blick auf eine IV-Leistung die tatsächlich möglichen Einkommen trotz Gesundheitseinschränkung herangezogen werden und aus dem Einkommensverlust sich der IV-Grad ergibt.
Besonders wichtig dürfte es sein, eine allfällige medizinische Überforderung bei der aktuellen vom Arztzeugnis abweichenden Tätigkeit des Klienten gut im Auge zu behalten und medizinische entsprechend zu dokumentieren.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Peter Mösch Payot