Der Klient wurde bereits von Mai 2011 bis Oktober 2018 mit Sozialhilfe unterstützt. Bei der Anspruchsprüfung im Jahr 2011 wurde vereinbart, dass die Miete bis zum nächst möglichen Kündigungstermin ganz, CHF 1'100.00, und anschliessend gemäss Richtlinien, CHF 850.00, durch die Sozialhilfe übernommen wird. Da dem Klienten die Wohnung wichtig sei, werde die Familie den Fehlbetrag übernehmen. Zu keinem Zeitpunkt wurden die Zuwendungen der Familie als Einnahme eingerechnet.
Als ich das Dossier 2015 übernommen habe, bestätigte der Klient den fehlenden Mietbetrag aus dem GBL zu bestreiten. Aus den Kontoauszügen gingen keine Zuwendungen durch Familienmitglieder hervor.
Die Ablösung von der Sozialhilfe erfolgte aufgrund von TG-Leistungen, sechs Monate, der IV. Aktuell erfolgt die IV-Rentenprüfung.
Per 01. Mai 2019 stellt der Klient erneut Anspruch auf Sozialhilfe. Für mich stellt sich nun die Frage welche Miete ich beantrage. Die volle Miete über den Betrag von CHF 1'100.00 mit der Auflage zur Wohnungssuche oder aber gemäss den Richtlinien CHF 850.00. Der Klient ist in einer sehr schlechten psychischen Verfassung. Es ist für mich unklar, ob eine Auflage zur Wohnungssuche zumutbar ist.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag Frau Kamm
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Ich wäre Ihnen in einem ersten Schritt dankbar, wenn Sie mir mitteilen könnten, in welchem Kanton die Unterstützung erfolgt. Falls kommunale Richtlinien zur Mietfrage vorliegen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir diese auf ruth.schnyder@hslu.ch zukommen lassen würden.
Besten Dank.
Ruth Schnyder
Guten Tag Frau Schnyder
Entschuldigen Sie mein Versäumnis, dies ist meine erste Anfrage und mir fehlt noch die Routine. Ich arbeite auf dem Sozialdienst Nidwalden. Die kantonalen Richtlinien zu den Mietzinsen sende ich Ihnen wie gewünscht per E-Mail.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag Frau Kamm
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage, die den Kanton Nidwalden betrifft. Für die Frage der Bemessung u.a. der Wohnkosten kommen nach § 8 SHV NW die SKOS-Richtlinien zur Anwendung, wobei die kantonale Sozialkommission verbindliche Richtwerte festgelegt hat (Anhang 2 zur SHV), welche im Handbuch einsehbar sind, von dem Sie mir verdankenswerterweise den einschlägigen Auszug (Kap. B.3) mit separater E-Mail zugestellt haben. In Ihrem Fall stellt sich nun die Frage, ob der verbindliche Richtwert für möblierte Wohnungen übernommen oder dem Klienten überhöhte Wohnkosten zugestanden werden sollen. Für den Umgang mit überhöhten Wohnkosten enthalten die SKOS-RL in Kap. B.3 konkrete Empfehlungen:
Überhöhte Wohnkosten
Überhöhte Wohnkosten sind so lange zu übernehmen, bis eine zumutbare günstigere Lösung zur Verfügung steht. Übliche Kündigungsbedingungen sind in der Regel zu berücksichtigen.
Bevor ein Umzug verlangt wird, ist die Situation im Einzelfall zu prüfen. Insbesondere ist zu berücksichtigen: Die Grösse und Zusammensetzung der Familie, allfällige Verwurzelung an einem bestimmten Ort, Alter und Gesundheit der betroffenen Personen sowie der Grad ihrer sozialen Integration. […].
Daran hat sich offenbar auch das Handbuch in Kap. B.3 orientiert, das diese Empfehlungen übernommen hat.
Diese Regelung entspricht dem Individualisierungsprinzip das auch in Art. 5 SHG NW geregelt ist. Bei der Gewährung der Sozialhilfe ist danach den Besonderheiten und den berechtigten Ansprüchen der hilfeempfangenden Person angemessen Rechnung zu tragen (Abs. 1), wobei die Rechtsgleichheit nicht ausser Acht gelassen werden (Abs. 3) und der Bedarf objektiv ausgewiesen sein muss (Art. 19 SHG).
Insoweit kann es aufgrund der dargelegten Rechtslage und der von Ihnen geschilderten Sachlage, wonach dem Klienten aus gesundheitlichen Gründen aktuell ein Umzug nicht zumutbar erscheint, durchaus gerechtfertigt sein, die überhöhten bzw. effektiven Wohnkosten einstweilen zu übernehmen, dies ohne Auflage, eine günstigere Wohnung zu suchen. Die Gründe müssen jedoch in objektiver Weise gegenüber der Behörde dargelegt und unter Umständen mit einem ärztlichen Zeugnis untermauert werden.
Drängt sich aktuell ein Abweichen vom Richtwert auf, kann auch grundsätzlich an einem in der Vergangenheit verfügten Richtwert nicht mehr festgehalten werden. Denn die wirtschaftliche Hilfe ist stets an der gegenwärtigen, konkreten Sachlage auszurichten, eine Anforderung, die aus dem Bedarfsdeckungs- und Individualisierungsprinzip fliesst (vgl. Kap. A.4 SKOS-RL Grundprinzipien der Sozialhilfe).
Dagegen können zwei Überlegungen ins Feld geführt werden:
- Unterlassene zumutbare Selbsthilfe in der Vergangenheit im Sinne der tatsächlichen Reduktion der Wohnkosten durch Umzug in eine günstigere Wohnung
- Rechtskraft der früheren Verfügung zur Übernahme von Wohnkosten
Bereits aufgrund des Unterbruchs der Unterstützung während eines halben Jahres, treten diese Überlegungen meiner Meinung nach in den Hintergrund. Zudem muss die Rechtskraft einer Verfügung aufgrund des Charakters der wiederkehrenden Leistungen im Bereich der Sozialhilfe, welche sich überdies am Bedarfsdeckungsprinzip orientieren, relativiert werden. Demnach muss das rechtskräftig verfügte Unterstützungsbudget revisionsähnlichen Gründen im Sinne der Änderung der Sachlage (aber auch Rechtslage) zugänglich sein und abgeändert werden können (siehe dazu auch Guido Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Ein Handbuch, Dike 2014, S. 556). Soweit das Verhalten des Klienten nicht als treuwidrig erscheint, kann auch die in der Vergangenheit unterlassene zumutbare Selbsthilfe nicht Grund für das Festhalten an der früheren Wohnkostenverfügung sein.
Nach dem Gesagten können die Voraussetzungen als grundsätzlich gegeben betrachtet werden, für die Zukunft die effektiven Wohnkosten zu übernehmen, aktuell ohne Auflage, eine günstigere Wohnung zu suchen. Erforderllich ist insbesondere, dass die Gründe ausgewiesen sind. Auf diesen Entscheid kann selbstredend wieder zurückgekommen werden, wenn die Sachlage sich wieder ändert, was im betreffenden Entscheid festgehalten werden sollte.
Ich hoffe, damit Ihre Frage beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder