Sehr geehrte Damen und Herren
Ich bin als Beiständin (Vertretungsbeistandschaft mit Einkommens- und Vermögensverwaltung
i.S.v. Art. 394 ZGB i.V.m. Art. 395 ZGB in den Bereichen Wohnen,
gesundheitliches Wohl, soziales Wohl, Administration und Finanzen) für meinen 20jährigen Klienten tätig, dessen Handlungsfähigkeit in Bezug auf Vertragsabschlüsse mit wiederkehrenden Kostenfolgen sowie Einkommens- & Vermögensverwaltun gemäss Artikel 394 Absatz 2 ZGB eingeschränkt ist. Ohne meine Zustimmung hat er einen Mobilfunkvertrag bei Salt abgeschlossen. Nachdem ich Salt über die Handlungsunfähigkeit informiert habe, wurde der Mobilfunkvertrag daraufhin storniert.
Jedoch hat mein Klient gleichzeitig ein Handy auf Raten gekauft. Salt verlangt nun, dass mein Klient die Gerätekosten in Höhe von CHF 1'155 begleichen muss. Das Unternehmen beruft sich hierbei auf Artikel 19b Absätze 1 und 2 ZGB und argumentiert, dass der Klient durch die Nutzung des Handys einen direkten Nutzen habe und der Vertrag daher gültig sei. Er hafte für den schaden, den er durch diesen Irrtum verursacht hat.
Ich bitte um Ihre rechtliche Einschätzung zu folgenden Fragen:
1. Ist der Ratenkauf des Handys trotz der bestehenden Handlungsunfähigkeit meines Klienten ohne meine Zustimmung gültig?
2. Ist Salt rechtlich verpflichtet, auch die Gerätekosten zu stornieren, da der Vertrag ohne Zustimmung des Beistandes abgeschlossen wurde?
3. Falls der Betrag nicht abgeschrieben wird, gibt es eine Möglichkeit, den Kaufvertrag rechtlich anzufechten?
4. Darf das Handy beahlten werden?
5. Wie lautet das korrekte Vorgehen?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Unterstützung.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Ich habe Rückfragen:
Schätzen Sie den Klienten in Bezug auf den Kauf des Natels als urteilsfähig ein?
Hat er den Kauf im Geschäft oder online abgewickelt?
Weiss er um seine beschränkte Handlungsfähigkeit Bescheid?
Durfte er davon ausgehen, dass Sie ihm den Kauf bewilligen?
Ging der Kauf mutmasslich vom Klienten aus oder wurde ihm das Natel "aufgeschwatzt"?
Hat er bereits ein Handy oder hätten Sie ihm ohnehin einen Natelkauf bewilligt? Wenn ja, in welcher Höhe etwa? Könnte er sich ein Natel über CHF 1000 leisten?
Besten Dank und freundliche Grüsse
Karin Anderer
Sehr geehrte Frau Anderer
Der Klient ist urteilsunfähig ein Handy zu kaufen, da er die Handlungen sowie Folgen nicht vernunftgemäss zu beurteilen vermag. Deshalb besteht auch eine Handlungsunfähigkeit in Bezug auf Vertragsabschlüsse mit wiederkehrenden Kostenfolgen, was meiner Meinung nach eine Ratenzahlung auch ist. Der Klient konsumiert regelmässig Drogen und ist bereits verschuldetet.
Der Kauf wurde im Geschäft abgewickelt.
Ja der Klient ist über die Handlungsunfähigkeit bei Verträgen mit wiederkehrenden Kostenfolgen informiert.
Nein, aber der Klient versucht es einfach.
Der Klient hat das alte Handy kaputt gemacht und wollte ein neues kaufen.
Nein ich habe kein neues Handy bewilligt. Er konnte von einem Freund ein altes Handy ausleihen. Ich habe ihm gesagt, es müssen zuerst die offenen Rechnungen abbezahlt werden, dann muss gespart werden und es kann ein Occasion Handy gekauft werden. Nein ein Kauf eines neues Handys ist in der Sozialhilfe nicht möglich, das Budget liegt bei ihm monatlich bei CHF 579.90 zum Leben.
Vielen Dank im Voraus für Ihre Unterstützung.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Dankeschön für die Rückmeldungen.
Wer handlungsfähig ist, hat die Fähigkeit, durch seine Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen (Art. 12 ZGB). Die Handlungsfähigkeit besitzt, wer volljährig und urteilsfähig ist (Art. 14 ZGB). Fehlt die Urteilsfähigkeit kann die Person durch ihr Handeln keine rechtlichen Wirkungen herbeiführen (Art. 18 ZGB).
War der Klient also nicht urteilsfähig in Bezug auf den Handykauf, so war er geschäftsunfähig und er konnte den Vertrag nicht abschliessen. Der Vertrag ist nichtig. Die Urteilsfähigkeit wird bei Erwachsenen vermutet. Wer behauptet, eine volljährige Person sei urteilsunfähig, hat dies zu beweisen. Hingegen findet eine Umkehr der Vermutung statt, wenn die Urteilsunfähigkeit offensichtlich ist. Im ersten Fall muss der Klient bzw. Sie als gesetzlicher Vertreter die Urteilunfähigkeit beweisen, im zweiten Fall muss Salt das Vorliegen der Urteilsfähigkeit beweisen (vgl. zum Ganzen BK-Aebi-Müller, Art. 16 N 158).
Die Art. 19-19c ZGB beziehen sich auf die Genehmigung seitens des Vertreters für urteilsfähige handlungsunfähige Personen. Ihrem Klienten ist die Handlungsfähigkeit in Bezug auf Vertragsabschlüsse mit wiederkehrenden Kostenfolgen sowie auf die Einkommens- und Vermögensverwaltung nach Artikel 394 Absatz 2 ZGB eingeschränkt. Nur wenn ihr Klient in Bezug auf einen Vertragsabschluss mit wiederkehrenden Kostenfolgen urteilsfähig ist, können Sie als gesetzlicher Vertreter, nach Art. 19a Abs. 1 ZGB, die Zustimmung ausdrücklich oder stillschweigend im Voraus geben oder das Geschäft nachträglich genehmigen.
Bei Urteilsunfähigkeit kann sich Salt also nicht auf Artikel 19b Abs. 1 und 2 ZGB berufen, da dieser Artikel auf urteilsfähige handlungsunfähige Personen anwendbar ist. Das ergibt sich bereits aus der Regelung von Art. 18 ZGB, wonach eine urteilsunfähige Person durch ihr Handeln keine rechtlichen Wirkungen herbeiführen kann.
Unter der Voraussetzung, dass der Klient in Bezug auf den Handykauf urteilsunfähig war, lassen sich ihre Fragen folgendermassen beantworten:
- Das Ratenkaufgeschäft ist nichtig.
- Es sind keine Gerätekosten geschuldet.
- Das Handy ist Salt zurückzugeben und bereits geleistete Ratenzahlungen sind zurückzuerstatten.
Und noch ein Lektüre-Tipp:
Kurt Affolter-Fringeli, Vertragsabschlüsse unter Missachtung der Handlungsunfähigkeit des Verbeiständeten und deren Folgen, in: ZKE 2021, S. 518-522, abrufbar auf https://www.affolter-lexproject.ch/Downloads/Affolter%20Vertragsabschl%C3%BCsse%20Urteilsunf%C3%A4higer%20%20ZKE%206-2021.pdf.
Ich hoffe, die Angaben helfen Ihnen weiter und ich wünsche Ihnen schöne Ostertage.
Luzern, 19.4.2025
Karin Anderer