Guten Tag liebes Expertenteam
Der Klient ist am 28.02.1995 geboren. Es besteht seit Geburt ein Anspruch auf eine volle IV-Rente. Ab dem 18. Altersjahr wurde eine Verfügung für einen EL-Anspruch erlassen. Irrtümlich wurden bei der Berechnung der EL Kinder/Familienzulagen in der Höhe von 3'240/J zu den Einnahmen gezählt. Das ist nicht korrekt, da keine Familienzulagen vergütet worden sind. Der Beistand des Klienten hat dies bei der Durchsicht der Berechnung nicht realisiert. Somit wurde diese Tatsache erst anlässlich einer Rechnungsprüfung (April 2017) durch die KESB festgestellt. Der Beistand des Klienten hat dies unverzüglich bei der Ausgleichkasse gemeldet. Es wurde eine neue Verfügung erstellt, gültig ab 1.4.2017, ohne Kizu-Einnahmen. Somit ist der EL-Anspruch ab diesem Datum um CHF 270 höher pro Monat.
Auf die Rückfrage bei der Ausgleichskasse, was mit dem rückwirkenden Anspruch sei (ab März 2013), lautete die telefonische Auskunft, dass es in der Verantwortung des Bezügers läge zu prüfen, ob die Einnahmen/Ausgaben korrekt seien. Sämtliche Infos seien eine Bringschuld des Bezügers. Auf ein Widererwägungsgesuch würde nicht eingetreten.
Ist es in der Tat so, dass kein Anspruch des Bezügers besteht, diesen Fehler der EL rückwirkend zu korrigieren? Die Summe der Nachzahlung beläuft sich ja immerhin auf rund CHF 13'000.
In einem Kreisschreiben des BSV über die Rechtspflege bei der EL (3.Teil), Ziffer 3008 ist zu lesen, dass "..können unter bestimmten Voraussetzungen auf Grund einer im Zeitpunkt ihres Erlasses bereits bestehenden, damals aber nicht bekannten und daher unrichtig oder gewürdigten Tatsachen- oder Rechtslage auf dem Wege der Wiedererwägung überprüft werden."
Besteht eine Chance auf Wiedererwägung oder ist es gar ein Revisionsgrund?
Besten Dank für Ihre Einschätzung.
Freundliche Grüsse
Renate Schlotterbeck
Frage beantwortet am
Daniel Schilliger
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag Frau Schlotterbeck
Es gibt verschiedene Möglichkeiten eine rechtskräftige Verfügung „anzupassen“. Am häufigsten ist wohl die Revision nach Art. 17 ATSG. Hier geht es darum Dauerleistungen wie Renten oder Hilflosenentschädigungen für die Zukunft anzupassen (also zu erhöhen, senken oder aufzuheben). Grund einer solchen Revision ist eine nachträgliche Veränderung des Sachverhaltes (z.B. gesundheitliche Verbesserung). In diesen Fällen ist die ursprüngliche Verfügung korrekt, die Leistung wird aber mit einer neuen Verfügung den geänderten Gegebenheiten für die Zukunft angepasst.
Wenn hingegen - wie in ihrem Fall - die ursprüngliche Verfügung falsch ist und die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist, stehen nur noch ausserordentliche Rechtsmittel zur Verfügung. Diese finden sich in Art. 53 ATSG. Hier wird unterschieden zwischen der prozessualen Revision (Abs. 1) und der Widererwägung (Abs. 2).
Prozessuale Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG):
Formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide müssen in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war.
Das Bundesgericht führt im Entscheid 8C540/2015 dazu aus: Die Revision dient nicht dazu, Fehler und Unterlassungen der Prozessparteien nachträglich korrigieren zu können (…). Es obliegt den Prozessparteien, rechtzeitig und prozesskonform zur Klärung des Sachverhalts entsprechend ihrer Beweispflicht beizutragen. Dass es ihnen unmöglich war, Tatsachen und Beweismittel bereits im früheren Verfahren beizubringen, ist nur mit Zurückhaltung anzunehmen.
Als "neu" gelten Tatsachen, welche sich zwar vor Erlass der formell rechtskräftigen Verfügung oder des Einspracheentscheids verwirklicht haben, dem Gesuchsteller trotz hinreichender Sorgfalt jedoch nicht bekannt waren (BGer-Urteil 8C659/2009).
Fraglich ist also, ob dem EL-Bezüger damals nicht bekannt war, dass er keine KIZU (mehr) bezieht und ihm dies auch trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt sein konnte. Das ist wohl nicht anzunehmen, weil diese Tatsache auf jeder Lohnabrechnung ersichtlich war und er den Wegfall der KIZU durch die Veränderung bei den monatlichen Auszahlungen hätte bemerken müssen.
Wahrscheinlicher ist, dass die Tatsachen (KIZU-Wegfall) damals bekannt waren, aber einfach falsch gewürdigt wurden. Das ist kein Fall einer prozessualen Revision.
Widererwägung (Art. 53 Abs. ATSG)
Der Versicherungsträger kann auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist.
Diese Voraussetzungen sind ohne weiteres erfüllt, da die Anrechnung von KIZU zweifellos falsch war und eine Berichtigung bereits bei wenigen hundert Franken erheblich ist. Ob eine Verwaltung auf ein Widererwägungsgesuch eintritt, liegt jedoch in ihrem Ermessen (vgl. Gesetzestext „kann“). Auch ein Gericht kann die Verwaltung nicht dazu zwingen.
Die Verwaltung macht Widererwägungen in der Regel dann, wenn sie selber ein Interesse daran hat, also sparen kann oder der damalige Fehler klar bei der Verwaltung liegt. Schwieriger wird’s dann, wenn die Verwaltung dem Gesuchsteller mangelnde Sorgfalt bei der Überprüfung vorwerfen kann, was sie in Ihrem Fall auch macht. Das Problem ist, dass das Wissen des damaligen Beistandes massgebend ist. Dieser hätte wohl den Fehler erkennen können.
Wenn die Verwaltung sich weigert auf ein Widererwägungsgesuch einzutreten, wird es nicht möglich sein, sie dazu zu zwingen. Wenn sie hingegen eintritt (das Gesuch also prüft), danach aber abweist, gibt es die Möglichkeit einer Anfechtung.
Sie haben einen Anspruch darauf, dass auf ein schriftliches Gesuch hin die Widererwägung geprüft und in einem schriftlichen Entscheid mitgeteilt wird.
Zusammenfassend empfehle ich ein schriftliches Widererwägungsgesuch. Ein Nichteintretensentscheid ist zu akzeptieren, eine Abweisung kann hingegen genauer geprüft werden.
Allenfalls kann eine Haftung des damaligen Beistandes geprüft werden.
Freundlicher Gruss
Daniel Schilliger