Guten Tag
Ich habe die folgende Fragestellung eines Angestellten aus einem 24h Schichtbetrieb erhalten und wäre sehr dankbar um eine Antwort auf die einzelnen Punkte:
Fragestellung / Erwartungen
Welche gesetzlichen oder ethischen Grundlagen gibt es zu folgenden Fragen:
Wenn man beim Schichtplan nicht eingeteilt ist, darf die Firma dann:
*Erwarten, dass man telefonisch erreichbar ist, oder den Anruf beantwortet
*Erwarten, dass man in Schichtfreien Tagen eine gewisse Distanz zur Firma nicht überschreitet, damit man Notfalls einspringen könnte (zum Beispiel: Aufenthalt im Ausland, bei dem man nicht innerhalb von 12h zurück wäre)
*Erwarten, dass man begründet warum man nun nicht einspringen kann
*Gibt es ein Gesetz welches auch der Firma vorschreibt, dass Mitarbeiter zu gewissen Zeiten nicht gestört, bzw. angerufen werden dürfen?
*Gibt es Richtlinien oder Gesetzte, welche nahe legen, dass Spontaneinsätze finanziell entschädigt werden sollten?
*Kann man Vorgesetzte irgendwie daran hindern, Druck und emotionale Erpressung im Bezug auf den Arbeitsplan auszuüben?
Besten Dank!
Eva Conti, Movis AG
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Sacchi
Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
Ich gehe davon aus, dass der Betrieb den Vorschriften des Arbeitsgesetzes (ArG) untersteht. Das ArG regelt die Fragen des sogenannten Pikettdienstes. Pikettdienst im Sinne des Arbeitsgesetzes liegt vor, wenn sich der Arbeitnehmer neben der normalen Arbeit für allfällige Arbeitseinsätze zur Behebung von Störungen, Hilfeleistungen in Notsituationen oder für ähnliche Sonderereignisse bereithält (Art. 14 Abs. 1 Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz, ArGV 1). Art. 15 ArGV 1 sieht vor, dass die gesamte zur Verfügung gestellte Zeit als Arbeitszeit gilt, wenn der Pikettdienst auf Verlangen des Arbeitgebers im Betrieb geleistet werden muss. Wird der Pikettdienst ausserhalb des Betriebes geleistet, so sind (nur) die effektive Einsatzzeit sowie die Wegzeit zu und von der Arbeit als Arbeitszeit anzurechnen. Für bestimmte Betriebe, unter anderem Kliniken, sind in der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2) weitere, präzisierende Bestimmungen vorgesehen, unter anderem Zeitgutschriften für die inaktive Pikettdienstzeit bei sehr kurzer Interventionszeit. Führt die kurze Interventionszeit gar dazu, dass der Pikettdienst im Betrieb geleistet werden muss, wird der gesamte Pikettdienst als Arbeitszeit gerechnet. In anderen Betrieben als Kliniken ist bei sehr kurzen Interventionszeiten aufgrund aller Umstände des Pikettdienstes die Anrechnung an die Arbeitszeit zu prüfen. Die Frage der Anrechnung an die Arbeitszeit hat Auswirkungen auf die Ruhezeit und Pausenregelungen. Zudem ist die Anzahl der Pikettdienste beschränkt: innerhalb von vier Wochen darf ein einzelner Arbeitnehmer an höchsten sieben Tagen Piketdienst leisten.
Das Arbeitsgesetz schreibt nichts vor zur Frage, ob und wie die Pikettzeit zu entschädigen ist. Klar ist, dass die im Rahmen eines Pikettdienstes dann effektiv gearbeiteten Stunden ganz normal zu entschädigen sind. Auch klar ist nach der Gerichtspraxis, dass Pikettdienstzeit im Sinne der Zeit, in der man "nur" für die Arbeit bereit ist, aber nicht tatsächlich arbeitet, auch entschädigt werden muss, jedoch ist es zulässig, diese Pikettdienst mit einem kleinen Lohn als derjenige für die effektive Arbeit zu entschädigen.
Ob das Verhalten, das von ihrem Klientin erwartet wird, bereits als "Pikettdienst" im Sinne des ArG zu verstehen ist, kann ich aufgrund der vorliegenden knappen Angaben nicht beurteilen. Möglich ist auch, dass hier eine "Rufbereitschaft" vorliegt, die noch nicht eigentlichen Pikettdienst darstellt. Wenn eine solche Rufbereitschaft vertraglich vereinbart ist und wenn der Arbeitnehmer für diese Phasen auch entschädigt wird, ist das zulässig, sofern und soweit diese Rufbereitschaft das Privat- und Familienleben des Arbeitnehmers nicht zu stark belastet. Der Arbeitgeber hat nach Art. 328 OR die Persönlichkeit und die Gesundheit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, dazu gehört auch die Respektierung der dem Arbeitnehmer zustehenden Freizeit. In dieser Bestimmung findet sich auch eine Grundlage, um gegen Druckausübung mit Blick auf Schichtpläne/Rufbereitschaft u.s.w. zu reagieren. Auch im ArG findet sich eine Bestimmung mit vergleichbarem Inhalt (Art. 6 ArG, Pflicht zum GEsunds- und Persönlichkeitsschutz). Die Erhaltung der Gesundheit der Arbeitnehmer ist auch ein öffentliches Interesse. Zuständig für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften des ArG sind die kantonalen Arbeitsinspektorate.
Empfehlung: Konsultieren Sie den Arbeitsvertrag, eine allfällige Betriebsordnung, das Personalreglement sowie ebenfalls einen allenfalls anwendbaren GAV, möglichweise finden Sie dort weitere Angaben zu Regeln, die ergänzend zu dem, was ich oben geschrieben habe, auf den fraglichen Betrieb Anwendung finden.
Auch ist möglich, dass Ihr Klient sich - sollten seine Bemühungen um Lösung der Probleme innerbetrieblich nicht erfolgreich sein - sich beim kantonalen Arbeitsinspektorat meldet und ggf. einen (sofern zutreffend) problematischen Umgang mit Vorschriften des Arbeitsgesetz hinweist. Die kantonalen Arbeitsinspektorate sind zuständig für die Kontrolle der Einhaltung des ArG.
Sehr geehrter Herr Pärli
Herzlicher Dank für ihre ausführliche Antwort auf meine Frage!
Beste Grüsse
Eva Sacchi Conti