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Hilflosentschädigung und die Rolle der Angehörigen

Veröffentlicht:
16.08.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Lieber Peter
ich gelange mit folgender Anfrage an Dich:
In einem laufenden Verfahren für IV-Leistungen wurde eine Anmeldung für Hilflosenentschädigung gemacht. Für die HE kam eine Ablehnung. Das IV-Verfahren ist noch am Laufen.
Gemäss KSHI muss bei einer Erstameldung für HE eine Abklärung vor Ort durchgeführt werden. Dies erfolgte nicht. Man hat sich auf die MEDAS Gutachten abgestützt. Ist dies zulässig?
Es wurde nun ein Einwand verfasst und die Einschränkungen ausführlich dokumentiert. Die Unterstützung für die Klientin wird ausschliesslich über das private Umfeld abgedeckt. Wird von Angehörigen erwartet, dass sie in einem deutlich erhöhten Umfang Support auf allen Ebenen leisten? Hat es einen Einfluss auf die Beurteilung, ob die Unterstützung durch Angehörige oder durch die Spitex geleistet wird?
Besten Dank für Deine Bemühungen.
Beste Grüsse
Sabine Bauer

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Liebe Sabine
Gerne beantworte ich Deine beiden Fragen:
a) Für die Abklärung der Leistungen der IV, auch der Hilflosenentschädigung, sind die notwendigen Abklärungen im Sinne von Art. 43 ATSG vorzunehmen.
Bei einer Erstabklärung konkretisiert das Kreisschreiben über das Verfahren der Invalidenversicherung (KSVI; Stand 1.1.2018 ) in Rz. 2114 und ff. explizit, dass Abklärungen an Ort und Stelle bei einer Erstanmeldung immer durchzuführen sind.
In anderen Fällen ist entscheidend, ob die relevanten persönlichen Verhältnisse der versicherten Person bereits genügend bekannt und aktenmässig belegt sind.
Entscheidend ist hier also, ob es sich tatsächlich um eine Erstanmeldung handelt. Wenn nein, ob das MEDAS-Gutachten bereits über die Art und die Gründe der Hilflosigkeit und vor allem über den Umfang der Hilfebedürftigkeit genügend Auskunft gibt.
Im Regelfall ist hier (unter Verweis auf die entsprechende Randzimmer in der KSVI) einzuwenden, dass der Entscheid ohne genaue Abklärung vor Ort eine ungenügende und unvollständige Sachverhaltsabklärung darstellt. Dies ist ein Verfahrensfehler, der dann von der IV-Stelle zu korrigieren ist.
b) Ob eine Hilflosigkeit vorliegt und somit eine Dritthilfe notwendig ist, ist objektiv, nach dem Zustand der versicherten Person, zu beurteilen. Es ist also im Prinzip nicht von Bedeutung, ob Spitex eingerichtet ist, und in welcher Umgebung der/die Betroffene lebt (vgl. z.B. Urteil 8C912/2008 vom 5. März 2009, E. 3.2.3 mit weiteren Hinweisen). Es darf hinsichtlich der Bemessung der Hilflosigkeit auch bei der lebenspraktischen Begleitung (vgl. Art. 38 Abs.1 lit. a IVV) also nicht primär darauf ankommen, ob eine versicherte Person allein in der Familie, in einem Spital / Heim oder sonstwie lebt. Massgebend ist allein, ob der Versicherte, wäre er auf sich allein gestellt, erhebliche Dritthilfe benötigen würde. (Urteil des Bundesgerichts 9C410/2009 vom 1.4.2010 mit weiteren Hinweisen; BGE 133 V 504).
Die Frage der Schadenminderungspflicht und insoweit auch die Mithilfe von Familienmitgliedern sind eine Frage der Schadenminderungspflicht, die aber im Rahmen des Zumutbaren ebenfalls eine Rolle spielen können.
So sind gemäss Bundesgericht zu berücksichtigen, dass ev. Kurse oder Hilfsmittel die alltäglichen Verrichtungen und die selbständige Lebensführung erleichtern können und somit die diesbezügliche Hilflosigkeit vermindern.
Auch die Mithilfe von Angehörigen darf erwartet werden, insbesondere auch wenn und soweit die Hilflosigkeit sich aus der Notwendigkeit von lebenspraktischer Begleitung ergibt.
Dabei ist entscheidend, wie sich eine vernünftige Familiengemeinschaft einstellen würde, wenn keine Versicherungsleistungen zu erwarten wären ((BGE 133 V 504).
Das kann dann auch weitergehen als die Unterstützung, die ohne Gesundheitsschaden üblicherweise zu erwarten ist. Es ist aber eine übermässige Belastung zu vermeiden. (Urteil des Bundesgerichts 9C410/2009 vom 1.4.2010, insb. auch E. 5.5 mit weiteren Hinweisen). Wenn Angehörige mit der Betroffenen im gleichen Haushalt leben, kann von diesen Hilfe im Haushalt berücksichtigt werden, auch von Kindern, entsprechend des jeweiligen Alters. Hingegen dürfen dabei übermässige Belastungen nicht angenommen und berücksichtigt werden. (siehe dazu KSIH (Stand 1.1.2018 ), Rz. 8085; Insb. Urteil des Bundesgerichts 9C410/2009 vom 1.4.2010, insb. auch E. 5.5 mit weiteren Hinweisen).
Ein Abklärungsbericht hat sich detailliert zur Frage der zumutbaren Hilfe zu äussern (9C_410/2009 vom 1.4.2010, E. 5.5; siehe auch Urteil I 446/05 vom 6. Oktober 2005, mit Hinweis auf I 300/04 vom 19.Oktober 2004, E. 6.2.2).
Ich hoffe, diese Angaben dienen Euch.
Beste Grüsse
Peter Mösch Payot

Lieber Peter
danke für diese ausführliche Antwort.
Wünsche Dir einen schönene Tag.
Gruss
Sabine