Guten Tag
Ich arbeite in einer Stiftung für beeinträchtigte Menschen. Eine alleinstehende Mutter mit einer minderjährigen Tochter mit Beeinträchtigung, die Zuhause lebt, bezieht Sozialhilfe. Die HE der Tochter wird der Gemeinde direkt ausbezahlt und diese rechnet die HE als Vermögen in die Berechnung für die Sozialhilfe mit ein. Nach meinem Verständnis, dürfte die HE nur als Vermögen mit einberechnet werden, wenn die HE an die Mutter direkt ausbezahlt würde. Leider habe ich diesbezüglich in der Rechtssprechung nichts gefunden. Ist es von der Gemeinde korrekt abgerechnet? Können Sie mir da einen Tipp geben, wo ich das nachschlagen kann um es gegenüber der Gemeinde begründen zu können?
Freundliche Grüsse und vielen Dank
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Estermann
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Die Anrechnung der Hilflosenentschädigung wird weder im Aargauer Sozialhilfe- und Präventionsgesetz (SPG AG) noch in der Sozialhilfe- und Präventionsverordnung (SPV AG) explizit geregelt. Zu finden sind generelle Regelungen zur Anrechnung von eigenen Mitteln (§ 11 SPG AG und § 11 SPV AG). In § 11 SPV AG ist eine nicht abschliessende Aufzählung enthalten. Genannt werden u.a. Versicherungsansprüche und Renten. Das Handbuch Soziales des Kantons Aargau konkretisiert dies unter Ziff. 9.1. Es erwähnt als anrechenbares Einkommen u.a. die Hilflosenentschädigung. Die SKOS-RL, welche im Kanton Aargau in der bis zum 1. Januar 2017 gültigen Fassung gelten (§ 10 SPG AG), führen zur Anrechnung der Hilflosenentschädigung keine Empfehlung auf, was auch unter den neuen SKOS-RL (gültig ab 1. Januar 2021) unverändert so ist.
Insoweit kann das Fazit gezogen werden, dass nach Handbuch, welches als Nachschlagewerk zur korrekten Anwendung der Sozialhilfe dient (vgl. Vorwort zum Handbuch), die Hilflosenentschädigung im Budget anzurechnen ist. Dies erscheint jedoch mit dem zweckorientierten Charakter der Hilflosenentschädigung, nämlich der Finanzierung von Hilfe Dritter aufgrund Hilflosigkeit, nicht ohne weiteres als vereinbar. Letztes Jahr hat die SKOS eine Praxishilfe zu dieser Frage publiziert , die jene aus dem Jahr 2006 präzisiert und relativiert. Dieser lässt sich entnehmen, dass die Hilflosenentschädigung angerechnet werden darf, soweit sie nicht für notwendige Hilfe Dritter verwendet wird. Der übersteigende Teil darf für die Betreuung und Pflege durch die Eltern im Familienbudget angerechnet werden. Findet eine solche Anrechnung im Familienbudget statt, dann kann für die Betreuung und Pflege durch die Eltern eine Integrationszulage geprüft werden. Der erwähnten Praxishilfe kommt keinen verbindlichen Charakter zu.
Meiner Meinung nach ist die Anrechnung der Hilflosenentschädigung im Sozialhilfebudget nicht zu beanstanden, wenn dies im Umfang von der Sozialhilfe bezahlter Hilfeleistungen Dritter geschieht. Wird die Hilflosenentschädigung aber auch an Grundbedarf und Wohnkosten angerechnet (weil nach Anrechnung der Hilfe Dritter ein Überschuss bleibt), entspricht dies zwar einer strengen Handhabung des Subsidiaritätsprinzips, aber nicht der Zweckbestimmung der Hilflosenentschädigung. Das Bundesgericht schützte aber die Rückforderung von wirtschaftlicher Hilfe einer Berner Gemeinde, welche mit der Nachzahlung von Hilflosenentschädigung auch Leistungen für den Grundbedarf verrechnete, weil die unterstützten hilflosen Klienten keine behinderungsbedingten Mehrkosten für den massgebenden Zeitraum geltend machen konnten (Urteil Bundesgericht 8C_707/2015 vom 9. Februar 2016 E. 3.2 siehe Beilage). Aus meiner Sicht wird in dieser Frage das Subsidiaritätsprinzip zu streng gehandhabt. Ich kann dem beipflichten, wenn von der unterstützten Person die Hilflosenentschädigung für Anderes als Hilfe Dritter bzw. behinderungsbedingter Mehrkosten verwendet wird. Aus meiner Sicht wäre somit Zurückhaltung bei der Anrechnung der Hilflosenentschädigung bei der unterstützten hilflosen Person angezeigt, soweit diese Grundbedarf und Wohnkosten betrifft, wobei die Rechtsprechung in eine andere Richtung weist (s.o.).
Davon zu unterscheiden ist die Situation, wo die hilfsbedürftige Person etwa von einem Elternteil betreut wird und dieser mit wirtschaftlicher Hilfe unterstützt wird. In diesem Fall erbringt der mit wirtschaftlicher Hilfe unterstützte Elternteil die Hilfe Dritter, wofür die Hilflosenentschädigung gedacht ist. In diesem Fall ist es aus meiner Sicht gerechtfertigt, diesem Elternteil die Hilfe mit der Hilflosenentschädigung zu vergüten. Dies führt zu einer Anrechnung im Budget des betreffenden Elternteils. Vor der Anrechnung sind jedoch Kosten für Hilfe Dritter (z.B. Spitexkosten, die nicht vom KVG gedeckt sind, Fahrtkosten usw.) abzuziehen. In diesem Sinne hat auch das Bundesgericht (Urteil 8C 708/2018 vom 26. März 2019 E. 5.2 seihe Beilage) entschieden, wie auch das Aargauer Verwaltungsgericht (Urteil WBE.2019.267 vom 5. November 2019 E. 3 siehe Beilage). Wie bereits oben erwähnt, ist aber immerhin zu prüfen, ob dem Elternteil eine Integrationszulage zugestanden werden muss. Aus meiner Sicht kann dies in der Regel bejaht werden, da der Elternteil mehr als Kindererziehung leistet, häufig emotionale und betreuerische schwierige Situationen meistert und eine gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt.
Bezogen auf ihren Fall bedeutet dies Folgendes:
Die Sozialhilfe darf die Hilflosenentschädigung vollkommen anrechnen, wenn sie im gleichen Umfang für die Kosten Hilfe Dritter aufkommt. Bei der Anrechnung an weiteren Kosten, wie Grundbedarf, Wohnkosten der hilflosen Person ist aus meiner Sicht Zurückhaltung angezeigt, wobei in der Rechtsprechung die Tendenz feststellbar ist, das Subsidiaritätsprinzip stärker zu gewichten und ebenfalls eine Anrechnung zuzulassen. In einem Familienbudget darf die Hilflosenentschädigung dem betreuenden Elternteil als Einnahmen angerechnet werden, wenn dieser das hilflose Kind betreut. Vorgängig sind aber die Kosten für Hilfe Dritter in Abzug zu bringen. Auch sollte in der Regel diesem Elternteil eine Integrationszulage angerechnet werden.
Betreut in Ihrem Fall die alleinstehende Mutter ihre Tochter, dann darf die Sozialhilfe die gesamte Hilflosenentschädigung anrechnen, und zwar für Kosten für Hilfe Dritter, welche die Sozialhilfe bezahlen muss, und für die Betreuungsleistungen der Mutter (nachrangig zu den Drittkosten).
D.h. die Frage der Anrechnung hängt nicht davon ab, wer die Hilflosenentschädigung ausbezahlt bekommt. Denn anspruchsberechtigt ist stets die hilfsbedürftige Person, in Ihrem Fall also die minderjährige Tochter. Immerhin möchte ich darauf hinweisen, dass eine Direktzahlung an die Sozialhilfe nach Art. 20 ATSG nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.
Ich hoffe, mit diesen Ausführungen Ihre Frage beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder