Situation:
Frau stellt Antrag auf Sozialhilfe. Sie lebt mit ihrem "Noch"-Ehemann in einer 4-Zimmerwohnung zusammen. Sie seien kein Paar. Sie haben einen Eheschutz aus dem Jahr 2011, welcher besagt, dass sie sich gegenseitig keinen Unterhalt schulden. Der Mann hat eine AHV- und BV-Rente sowie Ergänzungsleistungen. Darf von ihm ein Haushaltsführungsbeitrag errechnet werden?
Besten Dank für Ihre Anwort.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrter Herr Felder
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
In Art. 9 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons St. Gallen (SHG, SG 381.1) ist festgehalten, dass derjenige Anspruch auf finanzielle Sozialhilfe hat, der für seinen Lebensunterhalt nicht hinreichend oder rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann (sogenanntes Subsidiaritätsprinzip). In Art. 11 SHG Abs. 1bis SHG ist weiter festgehalten, dass die Bemessung der Sozialhilfe sich nach den Richtlinien der St.Gallischen Konferenz der Sozialhilfe richtet. In den Richtlinien der St. Gallischen Konferenz (KOS) wird das Thema von zusammenlebenden Ehepaaren, die sich aber nicht als Paar sehen, nicht geregelt. Das KOS-Handbuch ist aber seit 1.1.2021 in die SKOS-Richtlinien integriert. Unter Kapitel A.1. steht, dass sie SKOS-Richtlinien im Kanton St. Gallen zwar nicht verbindlich seien, dass sie aber ein taugliches Mittel seien und die KOS den Mitgliedern deshalb empfehle, die SKOS-Richtlinien ergänzend anzuwenden.
Weder das SHG noch die KOS-Richtlinien äussern sich dazu, ob zusammenlebende Ehegatten als Unterstützungseinheit zu betrachten sind und deshalb nur bedürftig sein können, wenn die finanziellen Mittel beider für den Bedarf beider nicht ausreichen. Die SKOS-Richtlinien sehen dagegen in Kapitel C.2 Abs. 2 vor, dass die Höhe der materiellen Grundsicherung sich aus der Anzahl Personen einer Unterstützungseinheit ergibt, die zusammen in einem Haushalt lebt. In lit. b der Erläuterungen dazu wird festgehalten, dass der Begriff der Unterstützungseinheit die mit einer um Unterstützung ersuchenden Person zusammenwohnenden Personen, für die sie unterhaltspflichtig ist, sei dies wegen elterlichem oder ehelichem Unterhaltsrecht oder wegen dem Unterhaltsrecht zwischen eingetragenen Partnern umfasst. In der Lehre werden zusammenlebende Ehepaare deshalb grundsätzlich als Unterstützungseinheit gesehen (Guido Wizent, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen 2020, N 677).
Im Zivilgesetzbuch (ZGB, SR 120) ist in Art. 175 ff. die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geregelt. Demnach ist ein Ehegatte berechtigt, den gemeinsamen Haushalt für solange aufzuheben, als seine Persönlichkeit, seine wirtschaftliche Sicherheit oder das Wohl der Familie durch das Zusammenleben ernstlich gefährdet ist. Im sogenannten Eheschutzverfahren legt das Gericht die Unterhaltsbeiträge, die Benützung der Wohnung und des Hausrates fest und ordnet die Gütertrennung an, wenn es erforderlich ist (Art. 176 ZGB). Nehmen die Ehegatten das Zusammenleben wieder auf, so fallen die für das Getrenntleben angeordneten Massnahmen mit Ausnahme der Gütertrennung und der Kindesschutzmassnahmen dahin (Art. 179 Abs. 2 ZGB).
Vorliegend scheinen die Ehegatten mittels Eheschutzverfahren im Jahre 2011 das Getrenntleben beantragt zu haben und in diesem Verfahren scheint vom Gericht kein (gegenseitiger) Unterhalt festgelegt worden zu sein. Entweder haben die Ehegatten tatsächlich aber den gemeinsamen Haushalt nie aufgehoben oder sind nach 2011 wieder zusammengezogen. Die angeordneten Massnahmen wie der nicht geschuldete Unterhalt sind demnach nach Art. 179 Abs. 2 ZGB dahingefallen, auch wenn das Ehepaar sich nicht als Paar sieht. Das Ehepaar schuldet sich demnach nach Art. 179 Abs. 2 ZGB wieder Beistand und somit Unterhalt.
Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bestätigt die Unterstützungseinheit von Ehepaaren in seinem Entscheid vom 14.12.2017 (b-2016-32) in Ziff. 2.2. Es hält dort fest, dass zusammenlebende Ehepaare nur dann bedürftig sind, wenn die gemeinsamen Einnahmen und das gemeinsame Vermögen den gemeinsamen Bedarf nicht zu decken vermag. Dies ist auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 141 I 153). Ebenfalls bestätigt das Verwaltungsgericht St. Gallen in diesem Entscheid, dass die SKOS-Richtlinien im Kanton St. Gallen zwar nicht verbindlich seien, dass sie aber anzuwenden seien, sofern eine einzelfallgerechte Auslegung möglich ist.
Schlussfolgerung: Daraus folgt abgeleitet aus dem ZGB, den SKOS-Richtlinien, der Lehre und der Rechtsprechung im Kanton St. Gallen, dass das Ehepaar in der aktuellen Situation nur als Unterstützungseinheit unterstützt werden kann. Bei der Berechnung der Bedürftigkeit wäre der Bedarf aber auch die Einnahmen von beiden zu berücksichtigen. Das Ehepaar müsste dazu die finanziellen Verhältnisse beider vollständig offenlegen.
Ist das Ehepaar damit nicht einverstanden, wovon ich ausgehe, empfehle ich eine anfechtbare Verfügung zu erlassen und das Ehepaar darauf hinzuweisen, dass die Situation dann anders aussieht, wenn das Ehepaar separate Wohnungen mietet, sich also auch gegen aussen erkennbar trennt und beim Gericht erneut die Trennung bzw. Eheschutz verlangt.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach