Lieber Peter
Ich gelange mit folgender Anfrage an Dich.
Es geht um eine Haushaltsabklärung bei einem laufenden IV-Verfahren. Gemäss dem Abklärungsbericht wurde das SKOS-Budget angewendet, um zu berechnen, was die Klientin im Jahr an Einkommen erzielen müsste, um ihren Lebensbedarf selber decken zu können. Dies wurde abgeglichen mit der Lohnstrukturerhebungstabelle. Daraufhin wurde festgelegt, dass sie 40% einer ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit nachgehen müsste. Auf den Haushalt entfielen somit 60%. Ist dieser Vergleich mit einem SKOS-Budget bei der Berechnung korrekt?
Beste Grüsse
Sabine Bauer
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Liebe Sabine
a) Rechtlich geht es bei Deiner Frage darum, wie die Bemessungsmethode (Einkommensvergleich, Betätigungsvergleich, gemischte Methode etc.) bestimmt wird. Beziehungsweise wie bei Anwendung der gemischten Methode das Verhältnis von Erwerbsteil und Haushaltsteil festgelegt wird. Diese Frage ist durchaus von Bedeutung, weil je nach Methode durchaus unterschiedliche IV-Grade resultieren können.
Entscheidend ist, was die Person hypothetisch bzw. mutmasslich tun würde wäre sie nicht eingeschränkt (Art. 27bis Abs. 1 und Abs. 3 IVV).
Im vorliegenden Fall geht man davon aus, dass die versicherte Person Teilerwerbstätig wäre. Für den Umfang dieser Teilerwerbstätigkeit ist der Prozentsatz der Erwerbstätigkeit zu ermitteln, der angenommen werden kann, wenn die Person KEINE gesundheitlich invalidisierende Einschränkung hätte.
Die Differenz zwischen diesem Prozentsatz und 100% ergibt dann den Anteil der Tätigkeit im Aufgabenbereich (BGE 141 V 15 E.4.5; siehe auch Kreisschreiben über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (Stand 1.1.2018 ), Rz 3006).
Danach wird die Invalidität in jedem der beiden Bereiche nach der jeweiligen Bemessungsmethode separat ermittelt, gewichtet und zusammengezählt. Seit dem 1. Januar 2018 wird das zumutbare Invalideneinkommen nicht mehr mit dem hypothetischen Erwerbseinkommen aus der Teilerwerbstätigkeit verglichen, sondern mit dem auf eine 100%-ige Tätigkeit hochgerechneten Erwerbseinkommen. Danach wird der sich daraus ergebende Invaliditätsgrad mit dem Prozentsatz der Teilerwerbstätigkeit gewichtet.
b) Nach welchen Kriterien muss nun dieser «Erwerbsanteil» festgelegt werden?: Es gilt, dass nach den Umständen und Begebenheiten des konkreten Falles zu prüfen ist, was und in welchem Umfang die versicherte Tätigkeit tun würde, wenn sie nicht gesundheitlich beeinträchtigt wäre (Erwerbstätigkeit, Teilerwerbstätigkeit, Tätigkeit im Haushalt etc.). Die gesamten Aspekte des Einzelfalles sind von Bedeutung, etwa auch ein allfälliger Umfang der Tätigkeit, bevor die Beeinträchtigung eintrat.
Wichtig sind gemäss der Rechtsprechung (BGE 117 V 194) auch das Alter, die Berufsfähigkeiten, die Ausbildung, die persönlichen Neigungen und Begabungen, Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten, die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen der versicherten Person.
Starre Rollenzuweisungen sind dabei nicht zulässig, weil der soziale Wandel der Aufgabenverteilung von Frau und Mann zu beachten ist (vgl. KSIH (Stand 1.1.2018 ), Rz 3006).
Zeitlich geht es um die Situation beim Erlass der Verfügung. Der Entscheid muss die bis dahin bestehende Situation berücksichtigen.
Es gilt der Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit und der ist zu messen nach objektiven Kriterien, namentlich an der allgemeinen Lebenserfahrung. Wichtig ist, was die Person wahrscheinlich subjektiv entschieden hätte, nicht was objektiv am vernünftigsten erscheint (Vgl. Bundesgerichtsentscheide 8C319/2010 und 8C731/2010).
c) Im vorliegenden Fall ging die IV davon aus, dass die Person nur gerade zur Deckung des Bedarfs nach den SKoS-Richtlinien erwerbstätig wäre, wäre sie nicht invalid. Das ist zwar nicht in allen Fällen geradezu unzulässig, es ist aber zu prüfen, ob die Beschränkung der Erwerbstätigkeit auf dieses Mass auch realistisch ist für die Person, wäre sie nicht invalid. Objektiv versuchen die meisten Personen ein höheres Einkommen zu erzielen als bloss dasjenige, das knapp von der Sozialhilfe abhält. Dies spricht gegen die hier angewendete Praxis.
Es ist also mittels Akteneinsicht zu prüfen, ob die IV konkret aufgrund der Lebensgeschichte und der bisherigen Tätigkeiten/Begebenheiten, ev. auch aufgrund einer Befragung des Betroffenen geprüft hat, was und wieviel die Person an Erwerbstätigkeit vollziehen würde, wenn sie NICHT invalid wäre. Und ob sie diese Ergebnisse auch objektiv gewürdigt hat.
Die hier angenommene Annahme dürfte nur korrekt sein, wenn es überwiegende Hinweise gibt, dass die Person auch ohne Invalidität ihre Erwerbstätigkeit auf das absolute Minimum zur Bedarfsdeckung reduzieren würde.
Namentlich dann, wenn der Erwerbsvergleich (für die mutmassliche Erwerbstätigkeit) einen höheren IV-Grad ergibt als der Betätigungsvergleich (für die mutmassliche Betätigung im Haushalt) ist hier also – je nach Ergebnis der Aktenprüfung – ein Einwand zu prüfen. Damit wäre zu verlangen, dass die gesetzlichen Leistungen gewährt werden, und dass der IV-Grad korrekt festgelegt wird. In der Begründung sind alle Hinweise zu nennen, dass die Person im normalen Umfang (bis hin zu 100%) oder höher als von der IV angenommen erwerbstätig wäre. Insoweit können auch schriftliche Erklärungen oder das Verhalten vor der Invalidität eingegeben werden.
Ev. sollten auch Ausführungen zur Höhe des wahrscheinlichen Lohnes ohne Invalidität (Valideneinkommen) angefügt werden.
Falls die IV ev. begründet, dass die Person ja Sozialhilfe bezogen habe vor der Anmeldung bei der IV, ist zu prüfen, ob nicht die Gesundheitsbeeinträchtigung dafür schon von Bedeutung war. Und ob andere Indizien bestehen, dass OHNE Beeinträchtigung (wann immer diese entstanden) ist, ein höherer Grad an Erwerbstätigkeit anzunehmen wäre als die IV annimmt.
Zu beachten sind die Fristen für den Einwand. Ev. ist fristgemäss der Einwand einzureichen und auf eine später nachzureichende ausführlichere Begründung zu verweisen. Je nach Akten ist hier auch eine Beratung durch eine spezialisierte Stelle (Inclusion Handicap, Procap etc.) ratsam.
Ich hoffe, das dient Dir.
Prof. Peter Mösch Payot
Lieber Peter
danke für die ausführliche Antwort.
Beste Grüsse
Sabine Bauer