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Hat man Anspruch auf Krankentaggelder/Lohnzahlung, wenn man bei einem Temporärbüro für 3 Monaten einen Vertrag erhalten hat, jedoch beim ersten Arbeitstag krankgeschrieben wurde und somit die Arbeit nicht antreten konnte?

Veröffentlicht:
12.12.2024
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Sehr geehrter Herr Pärli

In unserem Fall handelt es sich um eine Person die einen L-Ausweis, berechtigt auf Arbeit besitzt und aus einem EU/EFTA-Land ist. Die Person hat immer temporär über Temporärbüros gearbeitet.

Bei seiner letzten Anstellung, die 3 Monate gegangen wäre, wurde er per 1. Arbeitstag krank und krankgeschrieben. Das heisst er hat die Stelle gar nicht angetreten. Der Einsatzvertrag wurde mit der Firma und dem Temporärbüro zusammen abgeschlossen. Über das Temporärbüro hat die Person auch einen Rahmenvertrag.

In diesem Rahmenvertrag steht folgendes, was in dem Fall der Person wichtig sein könnte:

2. Pflichten des Arbeitnehmers

2.1. Antritt und Erfüllung des Arbeitseinsatzes.

Nimmt der Arbeitnehmer einen Arbeitseinsatz an, ist er verpflichtet, den Arbeitseinsatz pünktlich anzutreten und diesen nicht ohne wichtigen Grund zu verlassen. Arbeitsunterbrüche jeglicher Art sind sofort zu melden. Der Arbeitnehmer hat den Arbeitseinsatz ordentlich und zufriedenstellend zu Ende zu führen. Bei ungerechtfertigtem Nichtantritt oder Verlassen des Arbeitseinsatzes hat der Arbeitgeber Anspruch auf eine Entschädigung in der Höhe eines Viertels des Monatssalärs; ausserdem kann der Arbeitgeber Schadenersatz fordern (Art. 337d OR)

 

2.7. Meldung und Folgen bei Arbeitsverhinderung

Kann der Arbeitnehmer den Arbeitseinsatz infolge Krankheit, Unfall oder andere zwingende Gründe nicht aufnehmen, oder muss er den Arbeitseinsatz unterbrechen, so ist er verpflichtet, den Arbeitgeber und den Einsatzbetrieb hierüber unverzüglich telefonisch zu orientieren oder orientieren zu lassen. Bei gesundheitsbedingter Arbeitsverhinderung von mehr als zwei Tagen hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unaufgefordert und innerhalb von drei Tagen ein Arztzeugnis vorzulegen. Ausser bei Grenzgängern werden nur Arztzeugnisse eines in der Schweiz praktizierenden Arztes akzeptiert. Hält sich der Arbeitnehmer nicht daran, so muss er mit Leistungskürzung oder gar Leistungsverweigerung durch Versicherung und Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsverhinderung rechnen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, interne und externe Spezialisten mit dem Ziel beizuziehen, den Arbeitnehmer durch Besuche und andere Massnahmen bestmöglich zu betreuen und dessen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess zu fördern. Der Arbeitnehmer entbindet seinen behandelnden Arzt insoweit vom Berufsgeheimnis, dass dieser befähigt wird, über das tatsächliche Vorliegen einer Arbeitsverhinderung gegenüber dem Arbeitgeber Auskunft zu geben. Der Arbeitgeber behält sich vor, eine vertrauensärztliche Untersuchung anzuordnen.

Unsere Frage stellt sich jetzt, ob er Anspruch auf Krankentaggeld oder Lohnzahlung hat, obwohl er die Stelle nicht angetreten ist. 

Besten Dank für Ihre Rückmeldung.

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrte(r) Fragesteller/in

Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:

Ich gehe davon aus, dass für die involvierte Unternehmung dem GAV Personalverleih untersteht. Diesfalls sind die Regelungen des GAV Personalverleihs anwendbar.

Art. 28 GAV-Personalverleih (Ausgabe 2024-2027) hält fest:

1 Erkrankt ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin während eines Einsatzes, so hat er oder sie Anspruch auf Lohnausfallentschädigung. Alle Arbeitnehmenden, die keine AHV- Rente beziehen, sind obligatorisch für ein Krankentaggeld bei einer anerkannten Krankenkasse oder einer schweizerischen Versicherungsgesellschaft versichert. Die Bedingungen und Leistungen sind in Art. 29 dieses Vertrages geregelt. Die Leistungen dieser Versicherungen gelten als Lohnfortzahlung im Sinne von Art. 324a OR. AHV-berechtigte Arbeitnehmer werden gemäss Art. 324a OR entschädigt. Der Versicherungsschutzbeginnt am Tag des vertraglich vereinbarten Arbeitsantritts.

2 Die Leistungen betragen mindestens 80% des durchschnittlichen Lohns, sofern die

Arbeitsverhinderung mindestens 25% beträgt.

3 Nach Ablauf einer Wartefrist von höchstens 2 Kalendertagen entsteht folgender

Anspruch:

· für Arbeitnehmende, die in Einsatzbetrieben tätig sind, wo ein ave GAV gültig ist, Geld-

wertleistungen von 720 Tagen innerhalb von 900 Tagen,

· für Arbeitnehmende, die gemäss diesem GAV Personalverleih BVG-pflichtig sind, Geld-

wertleistungen von 720 Tagen innerhalb von 900 Tagen,

· für Arbeitnehmende, die weder in einem Einsatzbetrieb mit ave GAV tätig noch gemäss

diesem GAV Personalverleih BVG-pflichtig sind, Geldwertleistungen von 60 Tagen inner-

halb von 360 Tagen.

4 Bei Vorbehalten bezüglich vorbestehender Krankheiten sind die allgemeinen Bedingungen der Versicherungsgesellschaften massgebend. Der Arbeitnehmende ist über den Leistungsumfang, den Leistungsträger und die Prämien mit dem Rahmenarbeitsvertrag oder dem Einsatzvertrag schriftlich zu informieren. Bei Erkrankung muss der Arbeitnehmende sofort den Arbeitgeber, und nicht nur die Einsatzfirma, benachrichtigen.

5 Für alle Leistungen, die durch die Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmenden im Verleihbetrieb definiert sind, werden Einsätze, die innerhalb von 12 Monaten bei demselben Verleihbetrieb geleistet werden, zusammengezählt.

Art. 29

Krankentaggeld-Versicherung

1 Lohnfortzahlung durch Kollektivversicherung: Der Betrieb ist verpflichtet, die dem GAV

Personalverleih unterstellten Arbeitnehmenden kollektiv für ein Taggeld von 80% des

wegen Krankheit ausfallenden, der normalen vertraglichen Arbeitszeit entsprechenden

zuletzt bezahlten Lohnes zu versichern. Mit den Taggeldleistungen des Kollektivversi-

cherers und mit der hälftigen Prämienbeteiligung des Arbeitgebers ist die Lohnfortzah-

lungspflicht des Arbeitgebers nach Art. 324a und 324b OR vollumfänglich abgegolten.

2 Prämien:

a) Prämientragung: Der Prämienanteil für die Arbeitnehmenden beträgt maximal 50% der effektiven Prämie, höchstens jedoch 3,5% des Lohns. Allfällige Prämienüberschüsse sind jährlich zur Verbilligung der Prämien zu verwenden.

b) Aufgeschobenes Krankentaggeld: Schliesst der Betrieb eine Kollektivtaggeldversicherung mit einem Leistungsaufschub und unter Einhaltung von zwei Karenztagen ab, so hat er während der Aufschubzeit 80% des wegen Krankheit ausfallenden Lohnes selbst zu entrichten.

3 Minimale Versicherungsbedingungen: Die Versicherungsbedingungen haben mindestens vorzusehen:

a) Der Versicherungsschutz beginnt am Tag des vertraglich vereinbarten Arbeitsantritts.

b) Entschädigung analog zu den Kriterien der Suva nach höchstens zwei Karenztagen zulasten der Arbeitnehmenden. Während einer aufgeschobenen Leistungspflicht ist der Lohnausfall zu gleichen Bedingungen vom Arbeitgeber zu entrichten,

c) die Bezugsberechtigung ist gemäss Art. 28 zu definieren,

d) Entrichtung des Taggeldes bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit entsprechend dem Grad der Arbeitsunfähigkeit, sofern die Arbeitsunfähigkeit mindestens 25% beträgt,

e) Ausschluss der Bezugsberechtigung während eines Aufenthaltes ausserhalb der Schweiz von mehr als drei Monaten unter Vorbehalt von Arbeitseinsätzen im Ausland, anderslautenden gesetzlichen Bestimmungen oder Aufenthalt in einer Heilanstalt und wenn zudem die Rückreise in die Schweiz aus medizinischen Gründen nicht zu verantworten ist,

f) Prämienbefreiung während der Krankheitszeit,

g) Möglichkeit für die Arbeitnehmenden, nach Ausscheiden aus der Kollektivversicherung innert 90 Tagen gemäss Art. 71 Abs. 2 KVG und Art. 109 KVV in die Einzelversicherung überzutreten, wobei die Prämie der Einzelversicherung aufgrund des Alters bei Eintritt in die Kollektivversicherung berücksichtigt wird. Ist eine Kollektivversicherung mit aufgeschobenem Krankentaggeld abgeschlossen worden, sind die Versicherungsbedingungen so zu gestalten, dass die aus der Kollektivversicherung ausscheidenden Arbeitnehmenden nicht schlechter gestellt werden als im Fall einer Kollektivversicherung ohne Aufschub, das heisst, die Wartefrist kann auf Wunsch des ausscheidenden Arbeitnehmenden ohne Gesundheitsprüfung bis auf zwei Tage reduziert werden.

4 Den Personalverleihbetrieben wird eine Kollektiv-Krankentaggeldversicherung durch die Sozialpartner angeboten.

*****

Aufgrund des GAV Personalvererleih wird klar: das Personalverleihunternehmen muss eine Krankentaggeldversicherung abschliessen, es steht ihm frei, ob es sich hierbei um eine Taggeldversicherung nach KVG oder VVG handelt. Welche Versicherungslösung das Personalverleihunternehmen ihres Klienten gewählt hat, steht im Sachverhalt nicht. Sie müssen die entsprechenden Unterlagen beschaffen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden Sie in den entsprechenden Versicherungsvertragsdokumenten eine Bestimmung finden, wonach die Krankentaggeld keine Leistungen erbringen muss, wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits bei Vertragsbeginn bestanden hatte.

Sie erwähnen, dass Ihr Klient immer Temporär gearbeitet habe. Es fragt sich jetzt, ob er vor dem letzten geplanten Einsatz beim gleichen Temporärbüro angestellt und während dieser Zeit auch krankentaggeldversichert war, diesfalls wäre er allenfalls noch über diesen Einsatz versichert (ggf. Nachdeckungsfrist in den allgemeinen Versicherungsbedingungen).

Sie sehen, es führt kein Weg daran vorbei, die Versicherungsunterlagen des Temporärunternehmens in Erfahrung zu erbringen. Sie können sich dabei auch Art. 28 Abs. 4 des GAV Personalverleih berufen.

Genügen Ihnen diese Antworten vorläufig? Bei Bedarf könnten Sie gerne erneut ans Forum gelangen. Mit freundlichen Grüssen

Kurt Pärli

 

P.S. Weitere Informationen zum GAV Personaverleih finden Sie hier: https://www.swissstaffing.ch/docs/de/GAV_Personalverleih/gav-personalverleih-2024-27-de.pdf

Guten Tag Herr Pärli

Besten Dank für Ihre Rückmeldung der Anfrage.

Gemäss Ihrer Rückmeldung hätte die Person wahrscheinlich Anspruch auf Taggelder, da sie/er ca. über 30 Einsätze bei diesem Temporärbüro/Arbeitgeber hatte, schon länger bei diesem angestellt ist und es wurde bei jeder Lohnabrechnung für das KK-Taggeld einen Teil vom Lohn abgezogen.

Wir haben leider trotzdem noch offene Fragen.

Die Person ist per 24.10.2024 krankgeschrieben worden und per 24.10.2024 hätte die Person die Stelle antreten müssen. Sie/er hat sich aber erst am 26.10.2024 aufgrund der Nachfrage vom Arbeitgeber bei ihm gemeldet, dass sie/er nicht bei der Arbeit sei und krankgemeldet ist.

Eine weitere Frage stellte sich, bezügliche der Vorerkrankung. Da es sich um eine Vorerkrankung der Person handelt und der Arbeitgeber davon bereits wusste und die Person auch andere Male aufgrund dessen einige Tage bei einem Einsatz gefehlt hat, wurde zwischen den beiden vereinbart, dass sie/er keine Arztzeugnisse abgibt, keine Taggelder erhält aber somit später wieder arbeiten gehen kann und weiterhin Einsätze erhält. Es besteht sozusagen zwischen den beiden ein «offenes Geheimnis».

Hätten die zwei oben beschriebenen Gründe einen Einfluss auf das Anrecht auf KK-Taggeld.

P.S. Ich kann Ihnen mitteilen, dass das Unternehmen dem GAV Personalverleih untersteht.

Besten Dank für Ihre Rückmeldung.

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Gerne nehme ich erneut Stellung zur Ihren Fragen. Ihr Klient hat seine Pflichten verletzt (Meldung der Krankheit), diesbezüglich kann die Arbeitgeber oder die Taggeldversicherung ihre Leistungen entsprechend kürzen (24.10. bis 26.10).

Etwas anders gestaltet sich die Ausgangslage bezüglich der Vereinbarung «keine Arztzeugnisse mehr einreichen und keine Taggelder beziehen». Eine solche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist nichtig. Wenn ihr Klient ohne Gesundheitsvorbehalte in die KTG aufgenommen wurde,  dann spielt der Vorzustand grundsätzlich keine Rolle. Sie müssen aber unbedingt die Allgemeinen Bedingungen der Taggeldversicherung in Erfahrung bringen. Allenfalls finden sich dort Bestimmungen, die einem Anspruch auf Krankentaggeld entgegenstehen. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, den Anspruch auf Krankentaggeld geltend zu machen.

Bei Unklarheiten können sie sich auch an die Vollzugskommission des GAV Personalverleih wenden. https://www.tempservice.ch/de/tempcontrol/kontakt.php 

 

Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli