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Hat das Klientel bei einer Kündigung mit einem Arbeitsvertrag auf Stundenlohn Anrecht auf (volle) Lohnauszahlung während der Kündigungsfrist, wenn er freigestellt wurde aufgrund fehlender Arbeit?

Veröffentlicht:
25.10.2024
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Guten Tag Herr Pärli

Mein Klient/meine Klientin war seit 01.07.2021 im Stundenlohn angestellt. Gemäss Kündigungsschreiben steht, dass am 26.02.2024 in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt wurde, dass ihm/ihr sein Arbeitsvertrag vom 01.07.2021 unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten auf den 30.04.2024 gekündigt wird. Im Weiteren steht, das ihm/ihr aus dem folgenden Grund gekündigt wurde: Wegfall von Aufträgen für weitere Arbeit und dass die Einsatzdauer im Stundenlohn noch bis 15.03.2024 dauert.

Aufgrund fehlender Arbeit wurde die Person jedoch für 1.5 Monaten vor Ablauf der Kündigungsfrist freigestellt, somit fehlt ihm/ihr den Lohn.

Gemäss eigenständiger Abklärung mit der Schlichtungsbehörde hätte der/die Klient/in Anspruch für eine Lohnzahlung bis und mit 30.04.2024. Das heisst für 1.5 Monate.

Da wir sehr unsicher sind, über die beschriebene Situation und wären froh für Ihre schriftliche Rückmeldung idealerweise mit Artikeln, ob der/die Klient/in wirklich noch Anspruch auf die restlichen Lohnzahlungen hat.

Vielen lieben Dank für Ihre Bemühungen und Rückmeldung.

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Gerne beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

 

Ich gehe in meiner Antwort davon aus, dass ein Arbeitsvertrag nach OR vorliegt und dass kein GAV besteht.

Sie erwähnen, die Anstellung sei «im Stundenlohn» erfolgt. Es kommt nun sehr darauf an, wie die vertragliche Vereinbarung war und wie sich die Vertragspraxis seit dem 1.7.2021 entwickelt hat. Angenommen, Ihr Klient hat in den vergangenen Jahren immer ein mehr oder weniges gleichmässiges Pensum gearbeitet, so entsteht darauf ein Anspruch, dass die Arbeitgeberin ihm während der Vertragsdauer auch das entsprechende Arbeitsvolumen anbietet. Macht die Arbeitgeberin dies nicht und bietet der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft an, so liegt nach Art. 324 OR ein sogenannter Arbeitgeberverzug vor. Rechtsfolge ist die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers auch wenn der Arbeitnehmer gar keine Arbeitsleistung erbringt. Die Höhe des Lohnes für die fragliche Zeitspanne orientiert sich wiederum am zuvor in der Regel erzielten Lohn

Die dargestellten Überlegungen werden in der rechtswissenschaftlichen Literatur auch unter dem Thema «Arbeit auf Abruf» abgehandelt. Siehe dazu exemplatrisch: von Zedtzwitz Clemens/Keller Sarah, in: Etter Boris/Facincani Nicolas/Sutter Reto (Hrsg.), Arbeitsvertrag, Bern 2021, Art. 324 N 21 f.)

Es ist zwischen echter und unechter Arbeit auf Abruf zu unterscheiden. Bei echter Arbeit auf Abruf kann die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer einseitig abrufen, wobei den Arbeitnehmer eine Einsatzpflicht trifft. Bei der unechten Arbeit auf Abruf hat der Arbeitnehmer keine Einsatzpflicht, sondern ein Ablehnungsrecht, denn ein Einsatz kommt jeweils durch gegenseitige Vereinbarung zustande (Urteil des Bundesgerichts 4A_334/2017 vom 4.10.2017, E. 2.2, m.w.H.).  «Bei der echten Arbeit auf Abruf gerät die Arbeitgeberin in Annahmeverzug, wenn sie plötzlich erheblich weniger Arbeit zuweist bzw. ganz auf einen Einsatz des Arbeitnehmers verzichtet. Die Arbeitgeberin soll das unternehmerische Risiko nicht auf den Arbeitnehmer abwälzen können. Da der Arbeitnehmer sich für die Einsätze bei der Arbeitgeberin verpflichtet, soll er auch während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses mit einer bestimmten Einsatzquote rechnen können. Der Arbeitnehmer hat deshalb während der Dauer des Arbeitsverhältnisses (inkl. Kündigungsfrist) Anspruch auf Lohn, berechnet anhand des Durchschnitts des erhaltenen Einkommens während einer angemessenen Periode (Urteil des Bundesgerichts 4A_534/2017 vom 27.8.2018, E. 4.1; Urteil des Bundesgerichts 4A_509/2009 vom 7.1.2010, E. 2.3; BGE 125 III 65, S. 70; Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag 319 N 18 und 324 N 14). Allerdings dürfte die Arbeitgeberin bei echter Arbeit auf Abruf nur dann in Verzug geraten, wenn die Arbeitseinsätze eine gewisse Regelmässigkeit und Dauer angenommen haben (Rehbinder/Stöckli, BK OR 319 N 35; Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag 319 N 18). 

 

Zusammenfassend: Soweit ihr Klient regelmässig gearbeitet hat, hat er zwischen Mitte März und Ende April einen Lohnanspruch.

Guten Tag Herr Pärli

Besten Dank für Ihre ausführliche Auskunft betreffend der Lohnzahlung meines/r Klienten/in.

Gemäss Besprechung mit dem Klientel enstand noch eine weitere Frage diesbezüglich. Jedoch vorab zur Information wurde der Arbeisvertrag im Stundenlohn im Sinne von Art. 319ff. im Obligationenrecht (OR) abgeschlossen. Im Weiteren steht im Arbeitsvertrag unter dem Absatz 10. Arbeitszeit: "Die Arbeitseinsätze erfolgen variabel, bei Bedarf und gemäss gegenseiter Absprache. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf Arbeitseinsätze"

Unsere Frage stellt sich jetzt, ob der obenerwähnte Satz vom Absatz 10.Arbeitszeit im Arbeitsvertrag den Artikel im OR widerspricht und mein Klientel aufgrunddessen keinen Anspruch auf Lohnzahlung hat?

Besten Dank im Voraus für Ihre Rückmeldung und Bemühungen.

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Gerne nehme ich erneut zu Ihrem "Fall" Stellung. Sie fragen, ob und inwieweit der Passus im Arbeitsvertrag "Die Arbeitseinsätze erfolgen variabel, bei Bedarf und gemäss gegenseiter Absprache. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf Arbeitseinsätze" einen Einfluss auf den Lohnzahlungsanspruch hat. Die Antwortet lautet nein, relevant ist die gelebte Vertragspraxis, wenn ihr Klient regelmässige Einsätze hatte, durfte er darauf vertrauen, dass dies weiterhin der Fall sein wird. Bei dieser Ausgangslage bestehten reelle Chancen, dass Ihr Klient seinen Anspruch durchsetzen kann.

Unsere Frage stellt sich jetzt, ob der obenerwähnte Satz vom Absatz 10.Arbeitszeit im Arbeitsvertrag den Artikel im OR widerspricht und mein Klientel aufgrunddessen keinen Anspruch auf Lohnzahlung hat?

Genügen Ihnen diese Auskünfte?

Mit Dank für die Kenntnis- bzw. ggf. Stellungnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli