Guten Tag
Wir führen eine Beistandschaft nach Art. 394 ZGB im Bereich Administration (keine Finanzen). Die Klientin ist seit 2018 verheiratet, der Mann ist nicht verbeiständet. Die Familie lebt von einer IV- und IV-UVG-Rente von ihr sowie Einkommen aus dem 1. Arbeitsmarkt vom Mann. Klientin ist grundsätzlich sehr selbstständig, hat im Vorfeld viele administrative Angelegenheiten selbstständig erledigt oder dann die Beiständin proaktiv um Unterstützung gebeten.
Aufgrund aktueller Abklärungen ob ein Anspruch auf individuelle Prämienverbilligung (IPV) besteht, wurde ersichtlich, dass für die Jahre 2020 und 2021 keine Abklärungen und Anmeldungen vorgenommen wurden (weder von der Klientin noch von der Beiständin). In den Jahren vorher wurde ein Anspruch jeweils durch die damalige Beiständin geprüft und die Klientin über die Ablehnung informiert. Die Steuerdaten waren der Beiständin jeweils bekannt - auch für's 2020 und 2021.
Die Klientin geht davon aus, dass sie 2020 sowie 2021 Anspruch gehabt hätte und wollte klären, ob die Frist zur Nachmeldung rechtlich korrekt sei, da die definitiven Steuerzahlen erst im Nachhinein bekannt seien. Der Anspruch für IPV 2020 verjährte am 31.12.2021; für 2021 am 31.03.2022.
Der beigezogene Rechtsanwalt der Rechtschutzversicherung hat die Fristverjährung bestätigt, ihr aber nun geraten mit der Beiständin einen allfälligen Haftpflichtfall nach Art. 454 ZGB zu prüfen. Dies aufgrund von Beratungsversäumnissen durch die Beiständin.
Für uns stellen sich nun folgende Fragen:
- Inwiefern kann bei einer Beistandschaft nach Art. 394 ZGB ein Haftpflichtfall nach Art. 454 ZGB geltend gemacht werden? Ist dies auch ohne Vermögensverwaltung möglich?
- Die Klientin war in den Vorjahren für IPV angemeldet, hat jedoch keine automatische Aufforderung durch die SVA erhalten. Inwieweit ist es mit einer Beistandschaft Art. 394 Administration Aufgabe der Beiständin sämtliche finanziellen Leistungen sicherzustellen? Wo reicht die Beratung und wo muss die Geltendmachung überprüft werden?
- Der Mann hat keine Beistandschaft, die IPV betrifft das Familienbudget: Inwiefern liegt die Verantwortung beim Mann? Oder muss die Verantwortung immer zwischen Mann und der Beiständin abgesprochen werden bei gemeinsamen Budgetposten / Angelegenheiten?
Herzlichen Dank für Ihre Einschätzung.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Wie ist die genaue Formulierung im KESB-Beschluss betreffend die Administration?
Freundliche Grüsse
Karin Anderer
Besten Dank für die Nachfrage.
Der Wortlaut der Ernennungsurkunde ist:
- Fr. XY beim Erledigen der administrativen Angelegenheiten soweit nötig zu vertreten, insbesondere auch im Verkehr mit Behörden, Ämtern, Banken, Post, (Sozial)Versicherungen, sonstigen Institutionen und Privatpersonen;
- das Helfersystem von Frau XY bzw. die involvierten Fachstellen zu koordinieren;
- soweit notwendig die Vertretung in den laufenden Rechtsverfahren zu übernehmen.
Anm.: beim Rechtsverfahren handelt es sich um ein Haftrechtsfall.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Ob ein Haftungsfall nach Art. 454 ZGB vorliegt, kann konkret nicht beurteilt werden. Eine Staatshaftung nach Art. 454 ZGB kommt immer dann in Frage, wenn ein entstandener Schaden und eine Sorgfaltspflichtverletzung der Beistandsperson vorliegt und dieses Verhalten kausal für die Entstehung des Schadens ist. Eine Haftung kann also auch unabhängig einer allfälligen Kompetenz zur Einkommens- und Vermögensverwaltung entstehen.
Es folgen Hinweise, was im vorliegenden Fall bedeutsam sein könnte.
Ich gehe davon aus, dass das Ehepaar gemeinsam besteuert wird.
Nach § 6 Abs. 1 lit. a des Einführungsgesetzes zum Krankenversicherungsgesetz des Kantons Zürich (EG KVG), LS 832.01, wird die Höhe der Prämienverbilligung für gemeinsam besteuerte Erwachsene gemeinsam bestimmt. Nach § 23 Abs. 2 der Verordnung zum EG KVG des Kantons Zürich (VEG KVG), LS 832.1, stellt die SVA Personengruppen, deren Prämienverbilligung gemeinsam zu bestimmen ist, nur ein Antragsformular zu. «Es gibt jedoch verschiedene Gründe, weshalb man den Antrag nicht automatisch erhalten hat», vgl. die Website der SVA Zürich.
Ist eine verheiratete Person verbeiständet, muss die zur Vertretung berechtigte Beistandsperson mit dem*der Klient*in und dem*der anderen Ehepartner*in die zu erledigenden Aufgaben der ehelichen Vertretung (Art. 166 ZGB) im Rahmen über die Vertretung der Beistandschaft absprechen. Eine Absprache mit dem Ehemann, wer den IPV-Anspruch prüft, wäre hier notwendig gewesen, zumal die Beiständin in den Jahren vor 2020 das für die Ehefrau getan hat. Unklar ist, ob und wem das Formular auf IPV zugestellt wurde. Hat der Ehemann die Formulare für die Jahre 2020 und 2021 erhalten, so hätte er sie wenigstens der Beiständin weiterleiten müssen; in diesem Fall träfe ihn zumindest ein Mitverschulden.
Die Vertretung in den administrativen Angelegenheiten beinhaltet auch die Geltendmachung von Sozialversicherungsleistungen, «beim Erledigen der administrativen Angelegenheiten soweit nötig zu vertreten, insbesondere auch im Verkehr mit (Sozial)Versicherungen». Gut wäre es, und der Qualitätssicherung und der Rechts- und Verkehrssicherheit dienlich, wenn die KESB die Geltendmachung finanzieller Ansprüche explizit im Beschluss erwähnt. Mösch bemängelt zu Recht, dass diese Formulierung («Vertretung in administrativen Angelegenheiten») «zu unpräzise ist, als dass Dritte ohne Verletzung eigener Sorgfaltspflichten ohne Weiteres ein Vertretungsrecht des Beistandes annehmen können» (vgl. Mösch, Rosch/Fountoulakis/Heck, Handbuch Kindes- und Erwachsenenschutz, 3. Auflage 2022, N 453). Dieses Vertretungsrecht besteht unabhängig von einer Einkommens- und Vermögensverwaltung, d.h. es muss, wo nötig, auch ohne Einkommens- und Vermögensverwaltung ausgeübt werden. Möglich ist, dass im gemeinsam erstellten Handlungsplan mit der Klientin oder allenfalls in den Akten Aufgaben festgelegt wurden, die die Klientin selbst regelt, allenfalls zusammen mit ihrem Ehemann. Wenn das bei der IPV der Fall war, ist es denkbar, dass sich die Ehefrau, im Sinne ihrer und Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit, die Schadenverursachung selbst zurechnen muss.
Lehnt man bei der Vertretung in den administrativen Angelegenheiten die Kompetenz zur Geltendmachung von Sozialversicherungsleistungen ab, bestünde immerhin eine Beratungs- und Unterstützungsaufgabe, die sicherstellt, dass die Klientin ihre Administration selber erledigen kann. Auch hier käme es darauf an, ob und wie die Beistandsperson mit dem Ehemann die Aufgaben abgesprochen hat und wie die Aufgaben, nach dem Handlungsplan, vom wem zu erledigen sind.
Das bisherige Verhalten der Beiständin lässt jedenfalls vermuten, dass sie bisher die notwendigen Abklärungen hinsichtlich eines Anspruchs auf IPV vorgenommen hat, worauf sich die Klientin und ihr Ehemann verlassen haben.
Kann man einen Haftungsfall bejahen, ist der Klientin ein Schaden in Höhe der entgangenen IPV für die Jahre 2020 und 2021 entstanden. Da die Prämienverbilligung bei Ehepaaren gemeinsam bestimmt wird, ist der ganze Schaden anzurechnen.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 25.1.2023
Karin Anderer