Guten Tag
Eine minderjährige/jugendliche Klientin von mir ist in einer betreuten Wohnform platziert. Da die Mutter Sozialhilfe bezieht und der Vater nicht auffindbar ist, kommt die Gemeinde für die Elternbeiträge und Nebenkosten auf. Die Jugendliche kooperiert derzeit gar nicht mehr mit der Institution, weshalb sie ihren Platz nun verlassen muss. Nun meldet die Institution, dass das Zimmer total verwüstet sei und man viele Renovationen machen muss.
Ich ging davon aus, dass man den Schaden der Haftpflichtversicherung angeben kann. Habe nun aber erfahren, dass die Mutter die Tochter aus ihrer Police ausgeschlossen hat, weil sie nicht mehr bei ihr wohnt. Die Tochter ist also aktuell nicht mehr versichert.
Die Mutter hat niemanden darüber informiert. Es gingen alle davon aus, dass die Tochter weiterhin in der Versicherung eingeschlossen ist.
Auch der Beistand der Tochter wusste nicht Bescheid. Es besteht eine Beistandschaft gem.Art. 308 Abs.1 und 2 ZGB, mit der Aufgabe die Wohnsituation zu begleiten und deren Finanzierung sicherzustellen.
Es stellt sich nun die Frage, wer für die Renovationskosten aufkommt:
- kann der Beistand haftbar gemacht werden, weil er schon bei Eintritt der Jugendlichen in die Institution eine eigene Police für sie hätte beantragen sollen?- ist es seine Aufgabe, für diese Versicherung zu sorgen?
- Wäre es Aufgabe der Gemeinde/resp. Sozialhilfe gewesen, die eigene Police für die Jugendliche zu organisieren?
- Ist es überhaupt möglich, dass die Jugendliche alleine versichert wird, wenn sie noch nicht volljährig ist?
- Muss die Sozialhilfe für die Kosten (bevorschussend) aufkommen? Oder können wir uns da ganz rausnehmen?
Vielen Dank im Voraus.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Liebe Frau Jakob
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Entschuldigen Sie vielmals die arbeits- und feiertagsbedingte Verzögerung bei der Beantwortung.
Für die Frage der Haftung ist zunächst der Vertrag, welche mit der Institution über das betreute Wohnen vereinbart wurde, massgebend (Art. 97 OR). Haftbar für Schäden ist die Partei, welche den Vertrag mit der Institution, welche das betreute Wohnen anbietet, abgeschlossen hat. Soweit der Vertrag im Namen des minderjährigen Kindes abgeschlossen wurde, vertreten durch die Beiständin oder die Mutter, haftet es primär selber für den Schaden, den es verursacht hat. Der Vertrag könnte jedoch den Kreis der Haftpflichtigen auch weiterziehen und eine solidarische Haftung zum Beispiel der Mutter vorsehen. Dies muss sich aber aus dem Vertragstext ergeben. Steht dazu nichts im Vertrag, ist alleine das Kind aus dem Vertrag haftpflichtig gegenüber der Institution. Eine solidarische Haftung einer Drittperson oder einer staatlichen Stelle bedingt jedenfalls, dass diese den Vertrag mitunterzeichnet und sich dadurch explizit verpflichtet hat. Eine automatische Haftung aus Gesetz ergibt sich nicht, auch nicht aus Art. 333 ZGB, da diese Bestimmung, wenn überhaupt, die Haftung der Institution selber regelt, welche das betreute Wohnen durchführt.
Damit der Sozialdienst bzw. die Sozialhilfe aus Vertrag haftet, müsste sich demnach direkt aus den Vertragsbestimmungen ergeben, wozu sich die Gemeinde durch (Mit-)Unterzeichnung des Vertrages einverstanden erklärt hat.
Hat sich die Sozialhilfe nicht durch Vertrag verpflichtet, stellt sich die Frage, ob sich aus dem Sozialhilferecht selber eine Verpflichtung ergibt. Die Übernahme von Haftungs- bzw. Schadenersatzforderungen ist nicht Teil der Existenzsicherung (vgl. § 4 SPG/AG in Verbindung mit § 3 SPV/AG) und weder im SPG/AG, in der SPV/AG noch in den SKOS-Richtlinien (Stand 2017) vorgesehen mit Ausnahme des minimalen Selbstbehaltes in Schadensfällen (Kap. C.I.5 SKOS-Richtlinien).
Insoweit gestaltet sich das Verhältnis der Sozialhilfe zur Institution des betreuten Wohnens wie bei gewöhnlichen Vermietern (sofern keine anderslautende vertragliche Abmachung vorliegt wie oben erwähnt). Die Sozialhilfe kann nicht direkt von einer Vermieterin belangt werden, wenn der sozialhilfebeziehende Klient der gemieteten Wohnung einen Sachschaden zugefügt hat. Vielmehr ist es Sache der Vermieterin dafür zu sorgen, dass sie im Schadensfall nicht leer ausgeht. Das kann sie mittels Mietkaution machen, einer entsprechenden Kautionsversicherung oder Vorweisen einer Haftpflichtversicherung. Letztere kann aber natürlich vom Klienten stets gekündigt werden. Die Vermieterin trägt in dieser Hinsicht ein gewisses Risiko. Sie könnte sich aber theoretisch regelmässig bestätigen lassen, dass die Haftpflichtversicherung noch besteht. Wenn ein Mieter wirtschaftliche Hilfe bezieht, kann die Vermieterin nicht einfach darauf vertrauen, dass die Haftpflichtversicherung besteht. Gleich verhält es sich meiner Meinung nach bei Institution des betreuten Wohnens. Die Einrichtung muss in erster Linie selber vorsorgen, dass sie im Schadensfall Ersatz erhält. Dies insbesondere, wenn es sich um minderjährige Bewohner handelt, bei welchen unter Umständen ein höheres Risiko für einen Schaden besteht. Auch könnte sie dafür einen Anteil im Tarif vorsehen, soweit nicht kantonale Vorgaben dies untersagen.
Aber auch wenn eine Haftpflichtversicherung besteht, ist nicht garantiert, dass diese für den Schaden aufkommt. Allmähliche, selbstverursachte Schäden (z.B. Rauchbelag und/oder -geruch an den Wänden, selbstverschuldeter Schimmel, selber vorgenommene Veränderungen, z.B. grüne Wand) sind häufig ausgeschlossen. Im geschilderten Fall scheint ohnehin fraglich zu sein, ob das Kind bei der Mutter noch eingeschlossen bleiben konnte. Im gleichen Haushalt wohnende Personen sind gewöhnlich eingeschlossen. Aber wenn das Kind auf Dauer nicht mehr im gleichen Haushalt wohnt, könnte ich mir vorstellen, dass ohnehin eine separate Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden muss. Um diese Fragen beantworten zu können, müsste man die damals bestehende Haftpflichtversicherungspolice und die Allgemeinden Versicherungsbedingungen konsultieren. Dass das Kind eine eigene Haftpflichtversicherung abschliesst, spricht aus rechtlicher Sicht nichts dagegen, ausser dass die Eltern ihre Zustimmung geben müssen, da es sich meiner Meinung nach nicht um eine zustimmungsfreie Rechtshandlung im Sinne einer geringfügigen Angelegenheit des täglichen Lebens handelt (Art. 19 Abs. 2 ZGB).
Eine Haftung käme unter Umständen in Frage, wenn die Sozialhilfe das Bestehen der Haftpflichtversicherung bestätigt hat. Insoweit könnte ich mir vorstellen, dass die Sozialhilfe eine Haftung trifft, wenn dem nicht so ist. Dabei müssten meiner Meinung nach die Voraussetzungen nach § 6 des Haftungsgesetzes des Kantons Aargau (HG) erfüllt sein. Dass die Sozialhilfe dann die Pflicht trifft, das Weiterbestehen der Versicherung zu überwachen, scheint mir schon weniger klar zu sein.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Sozialhilfe nur haftet, falls sie sich dazu vertraglich verpflichtet hat. Aus dem Sozialhilferecht ergibt sich keine Haftung. Die Sozialhilfe könnte der minderjährigen Klientin (via Beiständin oder direkt an die Institution) immerhin im Umfang des theoretischen minimalen Selbstbehaltes einen Betrag an den Schaden zukommen lassen. Andere Haftungsgrundlagen müssten aufgrund der konkreten Umstände untersucht werden. Dazu könnte allenfalls die zuständige kantonale Stelle beigezogen werden. Jedenfalls trifft in erster Linie die Institution selber die Pflicht, für den Ersatz allfälliger Schäden vorzusorgen. Inwieweit der Kanton für die Beiständin gestützt auf Art. 454 ZGB (gilt auch im Bereich Kindesschutz) haftet, kann ich vorliegend nicht beurteilen.
Ich hoffe, Ihnen mit der vorliegenden Antwort die wesentlichen Aspekte der Haftung beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder