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Haftet eine Beistandsperson für einen Mieterschaden einer Klientin, wenn er den Vermieter nicht über die Aufhebung bzw. Kündigung der Haftpflichtversicherung während des Mietverhältnisses informiert hat?

Veröffentlicht:
16.10.2023
Kanton:
St. Gallen
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Wir führen für eine Klient eine Beistandschaft nach Art. 394 Abs. 1 i.V.m. Art. 395 Abs. 1 ZGB. Die Beistandsperson hat den Auftrag die Klientin in allen Bereichen der Personensorge zu begleiten, nötigenfalls zu vertreten, das gesamte Einkommen und Vermögen sowie alle administrativen Angelegenheiten zu erledigen und sie im Rechtsverkehr zu vertreten. Unsere Klientin ist in der Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt und urteilsfähig.

Vom 01.04.2021 bis 28.02.2023 lebte sie selbständig in einer Wohnung. Bedingung für das Zustandekommen des Mietvertrags war damals das Vorweisen einer Haftpflichtversicherungs-Police. 

Am 29.10.2021 hat die Haftpflichtversicherung die Police aufgrund mehrer Schadensfälle in den vergangenen Jahren gekündigt. Die Klientin hat die Vermieterin nicht darüber informiert. Nach Errichtung der Beistandschaft im März 2022 hat die Beistandsperson mit Ausdauer versucht eine neue Haftpflichtversicherung abzuschliessen, aufgrund der vorhergehenden Schadensfälle jedoch erfolglos.

Beim Auszug aus der Wohnung wurde ein Mieterschaden von mehreren Tauschen CHF seitens der Vermieterin geltend gemacht. Dieser wurde von unserer Klientin nicht angefochten. Aufgrund Sozialhilfeabhängigkeit konnte diese Rechnung bis heute nicht beglichen werden. Ob eine Haftpflichtversicherung die Schäden übernommen hätte, ist ebenfalls anzuzweifeln.

Die Vermieterin versucht nun mit der Begründung einer vorstehehenden pflichtwidrigen Unterlassung und Nichtmitteilung der Beistandsperson einen Schadenersatz bzw. Haftpflichtanspruch  gegenüber der Berufsbeistandschaft geltend zu machen.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Nach Art. 254 OR kann im Mietvertag eine Privathaftpflichtversicherung für den Abschluss oder die Weiterführung des Mietvertrags vereinbart werden. Ein solches Koppelungsgeschäft ist zulässig, da die Privathaftpflichtversicherung auch für Mieterschäden aufkommt und somit unmittelbar mit dem Gebrauch der Mietsache zusammenhängt.

Die Klientin hat gemäss den Angaben die von der Vermieterin geltend gemachten Schäden nicht angefochten. Was damit gemeint ist, ist unklar.

Es gibt keine Pflicht, ein Abnahmeprotokoll zu unterschreiben. Es liegt an der Vermieterin, anhand des Anfangsprotokolls und des Abnahmeprotokolls und mit Fotos oder anderen Belegen die Schäden zu beweisen; eine gewöhnliche Abnutzung wird mit der Bezahlung der Mietzinse entschädigt und bei übermässiger Nutzung hat die Mieterin lediglich für den Zeitwert aufzukommen. Liegt keine Unterschrift der Klientin auf dem Abnahmeprotokoll vor, müssten Sie sich zunächst Klarheit verschaffen, ob überhaupt von der Klientin zu vertretende Schäden vorliegen. Allenfalls ist ein Gang vor die Schlichtungsbehörde notwendig. Es ist ratsam, ein Abnahmeprotokoll nicht zu unterschreiben, wenn man mit dem Inhalt nicht einverstanden ist.

Wurden im Abnahmeprotokoll die Beschädigungen und Mängel in der Wohnung festgehalten und hat die Klientin mit ihrer Unterschrift die Schäden akzeptiert, dann muss sie diese grundsätzlich bezahlen. Allenfalls könnte man es auf eine Streitigkeit ankommen lassen und im Verfahren vor der Schlichtungsbehörde vorbringen, dass man sich zur Unterschrift auf das Abgabeprotokoll habe drängen lassen und sich im Irrtum befunden habe. Darauf könnte sich die Klientin berufen, die Beistandsperson wohl kaum. Ob man damit durchkommt, ist schwer zu sagen. Es ist ratsam, beanstandete Punkte frühzeitig zu bestreiten. Aber auch wenn die Klientin das Abnahmeprotokoll unterschrieben hat und es sich um Schäden handelt, welche sich aus dem normalen Gebrauch ergeben oder die Bauteile gemäss Lebensdauertabelle bereits abgeschrieben sind, kann sie durch das unterzeichnete Abnahmeprotokoll nicht haftbar gemacht werden; die Schlichtungsbehörde und auch das Gericht, dürften in diesen Fällen die Mieterin aus der Haftung befreien.

Das Versicherungsverhältnis wurde, gemäss den Angaben, bereits vor Errichtung der Beistandschaft gekündigt und der später eingesetzten Beistandsperson ist es nicht gelungen, eine neue Privathaftpflichtversicherung abzuschliessen. Dass kein neues Versicherungsverhältnis zustande kam, kann weder der betroffenen Person noch der Beistandsperson angelastet werden, es liegt im VVG begründet: Nach Art. 42 Abs. 1 VVG besteht ein Kündigungsrecht im Schadenfall und es besteht keine Vertragspflicht.

Auch wenn der Vertrag vom Abschluss einer Privathaftpflichtversicherung abhängig war, sehe ich in diesem Fall keine «Pflichtwidrigkeit» die eine Haftung der Beistandsperson auslösen würde. Ein Abschluss eines neuen Privathaftpflichtversicherungsvertrages konnte unverschuldet nicht abgeschlossen werden. Ob sich Dritte überhaupt auf die Verantwortlichkeit und damit auf ein haftungsauslösendes Verhalten der Beistandsperson gestützt auf Art. 454 ZGB berufen können, wird in der Lehre kontrovers beurteilt, jedenfalls wäre dies im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben, da kein Verschulden und damit keine Sorgfaltspflichtverletzung der Beistandsperson vorliegt (siehe dazu BSK ZGB-Hausheer/Wey, Art. 454 N 34; FamKomm ESR-Geiser, Art. 454 N 19; auch ESR Komm-Mösch/Rosch, Art. 454 N 7). Die Vermieterin hätte das Mietverhältnis m.E. auch nicht kündigen können, das wäre in dieser Konstellation als missbräuchlich zu beurteilen gewesen. Die unterlassene Meldung über das Fehlen einer Versicherung bzw. über das gekündigte Versicherungsverhältnis hätte keine Auswirkungen auf den Mietvertrag gehabt.

Das Fehlen des Versicherungsschutzes führt einzig zu einer geringeren Solvenz, die Mieterin (und nicht die Berufsbeistandschaft) bleibt aber auch dann für von ihr verursachte Schäden haftbar; die mietrechtlichen Pflichten bestehen unabhängig von einer Privathaftpflichtversicherung. Die «unverschuldete» Vertragsverletzung kann nicht sanktioniert werden.

Hinweis: War die Klientin hinsichtlich der von ihr verursachten Schäden urteilsunfähig, dann kommt, nach Art. 19 Abs. 3 ZGB eine Haftung ohnehin nicht in Frage. Den Nachweis der Urteilsunfähigkeit der Klientin hat sie selbst oder die Beistandsperson zu erbringen.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 20.10.2023

Karin Anderer