Guten Tag
Der Partner meiner Klientin lebt im Heim und bezieht ergänzend zur IV-Rente und Ergänzungsleistung wirtschaftliche Sozialhilfe. Das unverheiratete Paar besitzt ein gemeinsames Haus. Die laufenden Kosten bezahlt meine Klientin vollständig.
Die Gemeind habe erwähnt, dass eine Grundpfandverschreibung für den hälftigen Miteigentumsanteil errichtet werden müsste. Ist dies zulässig? Besteht bei der Gemeinde einen Ermessensspielraum um darauf zu verzichten? Was wäre, wenn sich das Paar mit der Grundpfandverschreibung nicht einverstanden erklärt?
Besten Dank für Ihre Antwort.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Entschuldigen Sie vielmals für die arbeitsbedingt verzögerte Antwort.
Nach Art. 29 Abs. 1 SHG/UR wird die Gewährung der wirtschaftlichen Hilfe von der Unterzeichnung einer Rückerstattungsverpflichtung abhängig gemacht, besitzt die hilfesuchende Person Grundeigentum oder andere Vermögenswerte, deren Realisierung nicht möglich oder zumutbar ist. Mit dieser Verpflichtung verpflichtet sich die unterstützte Person, Leistungen ganz oder teilweise zurückzuerstatten, wenn die Vermögenswerte realisierbar werden. Diese Forderung kann zudem grundpfandrechtlich sichergestellt werden (Art. 29 Abs. 2 SHG/UR). Das Pfandrecht entsteht mit der Eintragung im Grundbauch und folgt den bereits eingetragenen Pfandrechten im Rang.
Aus der dargelegten Rechtslage ergibt sich, dass die Sozialhilfe durchaus eine Grundpfandverschreibung auf den Miteigentumsanteil der unterstützten Person errichten darf. Es handelt sich um eine sog. Kann-Vorschrift, was bedeutet, dass die Sozialhilfe nicht in jedem Fall, wo dies möglich ist, ein Grundpfand zu errichten hat. Sie hat also einen Ermessensspielraum über die Frage, ob ein Grundpfand zu errichten ist. Sie kann dieses Ermessen nicht beliebig ausüben. Vielmehr muss sich die Sozialhilfe an den verfassungsmässigen Grundprinzipien wie Rechtsgleichheit, Verhältnismässigkeit und den sozialhilferechtlichen Zielsetzungen orientieren. Sie dürfte beispielsweise in jenen Fällen davon absehen, wo es sich nur um eine vorübergehende Unterstützung handelt, somit Aufwand und Eingriff in die Eigentumsrechte nicht in einem Verhältnis stehen.
Im Gegensatz zur Rückforderungsverpflichtung steht bei der grundpfandrechtlichen Sicherstellung nicht geschrieben, welches die Folgen sind, wenn sich die unterstützte Person diesem Ansinnen verweigert.
Verweigert sie die Unterzeichnung der Rückforderungsverpflichtung, hätte sie keinen Anspruch auf wirtschaftliche Hilfe. Denn die Sozialhilfe darf nach Artikel 29 Abs. 1 SHG/UR die Zusprechung der wirtschaftlichen Hilfe von der Unterzeichnung der Rückforderungsverpflichtung abhängig machen.
Unterzeichnet sie die Rückforderungsverpflichtung, verweigert aber dann die grundpfandrechtliche Sicherstellung dieser Forderung, dann kann die grundpfandrechtliche Sicherstellung nicht umgesetzt werden, da dies die Zustimmung der unterstützen Person bzw. Miteigentümerin (im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts) voraussetzt. Zwar gibt es nach Art. 836 Abs. 1 ZGB die Möglichkeit von gesetzlichen Pfandrechten nach kantonalem Recht. Ich neige aber dazu, Art. 29 Abs. 2 SHG/UR nicht als gesetzliches Pfandrecht einzustufen, da dies meiner Meinung nach explizit im Wortlaut der Bestimmung erwähnt sein müsste. Auch im EG/ZGB des Kantons Uri habe ich keine ausdrückliche Regelung gefunden, wie dies z.B. im EG/ZGB des Kantons Bern (Art. 109b Abs. 1 Ziff. B EG/ZGB/BE) der Fall ist. Ein kantonales gesetzliches Pfandrecht zur Sicherung einer Rückerstattungsforderung über ausgerichtete wirtschaftliche Hilfe ist nur in Schranken zulässig (dazu Marc Häusler / Petra Hänni, Grundpfandrechtliche Sicherstellung von Sozialhilfeleistungen, in : Jusletter 827, auch auffindbar in der Sozialhilfedatenbank von Weblaw - kostenpflichtig).
Nach dem Gesagten braucht es die Zustimmung der unterstützten Person, damit eine grundpfandrechtliche Sicherstellung erfolgen kann.
Dabei ist aber zunächst darauf hinzuweisen, dass in der Sozialhilfe die Verwertung des Vermögens Priorität geniesst. Die öffentliche Sozialhilfe wird gewährt, wenn die hilfesuchende Person sich nicht selbst helfen kann oder Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist (Art. 3 SHG/UR). Nach Art. 28 SHG/UR erlässt der Regierungsrat Richtlinien, die sich an den Empfehlungen der SKOS orientieren (mit dem Regierungsratsbeschluss vom 31. August 2005, RRB Nr. 490, sind die SKOS-Richtlinien vom April 2005 grundsätzlich, mit einzelnen Anpassungen, als verbindlich erklärt worden – inwieweit die neuen SKOS-RL vom 1. Januar 2021 gelten, ist im Moment nicht einsehbar, da das Sozialhilfehandbuch in Überarbeitung ist – die aktuellen SKOS-RL unterscheiden sich in diesem Thema aber nicht wesentlich von den bisherigen). Nach SKOS-RL D.3.2 Abs. 1 besteht kein Anspruch auf Erhalt des Vermögens. In Abs. 2 von D.3.2 wird aufgeführt, wann auf die Verwertung verzichtet werden kann. Es sind Gründe der Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Verwertung (dazu auch das Merkblatt Liegenschaftsbesitz im In- und Ausland der SKOS), die auch bei Art. 29 Abs. 1 SHG/UR genannt werden. Es besteht daher ein erheblicher Ermessensspielraum der Sozialhilfe, wenn sie darüber entscheiden muss, ob eine Liegenschaft als Vermögenswert verwertet werden muss. Dabei kann eine Rolle spielen, dass in Ihrem Fall die Ergänzungsleistungen auf dem Liegenschaftswert ebenfalls einen Verzehr (Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG) einberechnet, falls der Freibetrag überschritten wird, und damit in Kauf nimmt, dass wegen nicht ausreichend vorhandener liquider Mittel die Liegenschaft bzw. in Ihrem Fall der Miteigentumsanteil über kurz oder lang verkauft werden muss. Auch kann die Situation des Partners eine Rolle spielen, der aus der Liegenschaft ziehen müsste, wenn er den Miteigentumsanteil nicht erwerben kann. Letztlich wird sicher auch die Verweigerung der Sicherstellung der Forderung mittels Grundpfandverschreibung ein zu berücksichtigender Aspekt sein.
Bei einer Weigerung der unterstützten Person könnte die Sozialhilfe demnach den Verkauf des Miteigentumsanteils verlangen, falls sie dies als zumutbar und möglich erachtet. Andernfalls könnte sie einfach verlangen, dass die unterstützte Person für die Errichtung der grundpfandrechtlichen Sicherstellung Hand bietet. Dafür kann die Sozialhilfe der unterstützten Person eine Auflage/Bedingung/Weisung gemäss Art. 28 Abs. 4 SHG/UR auferlegen. Bei Nichtbefolgung und erfolgloser Mahnung kann (ebenfalls ein Ermessensspielraum) die Sozialhilfe sanktionieren (Art. 31 SHG/UR), was eine Verweigerung, Kürzung oder Einstellung der wirtschaftlichen Hilfe bedeuten kann. Bei der Verweigerung oder Einstellung wäre zumindest zu prüfen, ob Nothilfe gewährt werden müsste (Art. 12 BV), da das Vermögen nicht liquid ist. Bei der Nothilfe wird das Subsidiaritätsprinzip streng gehandhabt, d.h. die Mittel müssen tatsächlich vorhanden und greifbar sein, wobei es auch fraglich wäre, wie Gerichte einen Nothilfeanspruch bei Liegenschaftsbesitzern beurteilen würden, wenn diese sich der gesetzlich vorgesehenen und auch zumutbaren Grundpfandverschreibung entziehen.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder