Es handelt sich um einen geschiedenen Mann, welcher seit mindestens 10 Jahren in der Schweiz wohnt und eine Aufenthaltsbewilligung C (Deutscher Staatsbürger) hat. Er hat eine minderjährige Tochter welche teilweise bei ihm wohnt.
Da seine Stelle an einer Universität in der Schweiz befristet war, wurde im Ende 2021 gekündigt. Seit Januar 2022 ist er beim RAV angemeldet und bezieht ALG. Nun kann er per 01.07.2022 eine Anstellung bei einer Hochschule in Deutschland als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem 100% Pensum antreten (befristet auf 3 Jahren). Mehrheitlich kann er im Homeoffice arbeiten. Wenn er vor Ort Arbeiten muss, hat er eine Anreise von mindestens 5 Stunden. Da sein Lohn in der Schweiz höher war, erhält er noch Gelder von der ALK (Zwischenverdienst). Familienzulagen für die Tochter erhält die Kindsmutter. Sein Lebensmittelpunkt wird weiterhin in der Schweiz bleiben. Er wird sich auch weiterhin auf andere Stellen in der Schweiz bewerben.
Nun wird er ja durch den Arbeitgeber in Deutschland krankenversichert. Kann er dann noch weiter Leistungen von Ärzten in der Schweiz beziehen (Hausarzt, Psychotherapie)? Also keine Notfallbehandlungen.
Kann er sich auch entscheiden, dass er in beiden Länder Krankenversichert ist?! Wenn ja, wann scheint dies als sinnvoll?
Besteht die Möglichkeit, dass er noch weiterhin in der Schweiz Zusatzversichert ist (Krankenkasse)?
Bin ich richtig in der Annahme, dass er sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz Steuern bezahlen muss.
Was muss sonst noch bezüglich Versicherungen (Krankheit, Unfall, Haftpflicht usw.) Steuern beachtet werden?
Wie sieht es mit den Pensionskassenbeiträgen in der Schweiz aus?
Wird diese Person überhaupt als Grenzgänger eingestuft?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage.
Ab dem 1.7.2022 wohnt ihr Klient mit einer C-Bewilligung in der Schweiz und arbeitet in Deutschland. Es handelt sich um einen Zwischenverdienst, da der Betroffene noch ALV bezieht für einen zuvor in der Schweiz erzielten höheren Lohn.
A) Als Grenzgänger im Sinne des FZA bzw. des Steuerrechts wird eine Person bezeichnet, die in einem Mitgliedstaat des Freizügigkeitsabkommens eine Beschäftigung (oder eine selbstständige Tätigkeit) ausübt und in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in den sie in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich zurückkehrt.
Wer in Deutschland arbeitet und seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, unterliegt der „Deutschen Sozialversicherungspflicht» bei der Krankenversicherung. Das bedeutet, dass eine nach deutschem Recht ausgerichtete Krankenversicherung abgeschlossen werden muss. Der Beitrag einer gesetzlichen Deutschen Krankenkasse erfolgt über Lohnabzüge. Der deutsche Arbeitgeber bezahlt davon fast die Hälfte.
Die Leistungen hierfür stehen dann im Prinzip nur in Deutschland zu. In der Schweiz haben sie keinen Anspruch auf die Leistungen der Deutschen Krankenkasse.
Personen, die in Deutschland erwerbstätig und krankenversichert sind, und die in der Schweiz wohnen, werden durch die Gemeinsame Einrichtung KVG erfasst. Notwendig ist eine vom ausländischen Krankenversicherer ausgestellte, gültige Anspruchsbescheinigung, um die Eintragung vornehmen zu können. Dann wird eine Schweizer Vorleistungskasse beauftragt, ihnen die Schweizer Leistungen nach Schweizer Recht vorzustrecken. Diese Vorleistungskasse bekommt das Geld von der Deutschen Kasse erstattet. Für weitere Informationen ist hier die Gemeinsame Einrichtung KVG in Olten einzubeziehen. Siehe www.kvg.org. Insb. auch: Versicherungspflicht Schweiz | Gemeinsame Einrichtung KVG
Grundsätzlich ist vorliegend während dem Zeitraum, wo noch in der Schweiz im Rahmen der ALV eine Stelle gesucht wird oder werden könnte, noch von einer Versicherungsunterstellung in der Schweiz auszugehen.
Allerdings sollte bald bei der Gemeinsamen Einrichtung KVG (www.kvg.org) nachgefragt werden, in welchem Zeitpunkt in der hier relevanten Konstellation, wo die Tätigkeit im Ausland vorerst ein Zwischenverdienst darstellt, der Wechsel in die deutsche Krankenversicherung erfolgen muss. Dies sollte auf jeden Fall rechtzeitig vor der Aussteuerung erfolgen.
Im Übrigen gilt: alle in der Schweiz wohnenden (und nicht in Deutschland arbeitenden) Familienmitglieder müssen sich in einer „Schweizer Krankenversicherung“ versichern und eigene Beiträge bezahlen.
Die Frage der Gültigkeit von Zusatzversicherungen nach KVG ist bei den jeweiligen Versicherungen nachfragen und hängt u.a. vom Reglement ab.
B) Zu beachten sind Besonderheiten, wenn ein Teil der Tätigkeiten als Telearbeit im Wohnland wahrgenommen werden.
Eine Person (z.B. ein Grenzgänger im Homeoffice) unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit im Land der Erwerbstätigkeit, auch wenn sie einen erheblichen Teil ihrer Tätigkeit in Form von Telearbeit in ihrem Wohnland ausübt. Diese Sonderregel aus der Coronozeit wurde gerade eben bis Ende 2022 verlängert.
Zuvor galt, dass die Anknüpfung an die Sozialversicherungspflicht im Erwerbsland nur bei einer Tätigkeit im Homeoffice von unter 25% im Wohnsitzland vorgesehen war. Sonst wäre ein Sozialversicherungswechsel ins Wohnsitzland nötig geworden.
Nun bleibt also die Zuständigkeit im Bereich der sozialen Sicherheit unverändert, unabhängig davon, in welchem Umfang die Tätigkeit im Wohnstaat (EU/EFTA) ausgeübt wird.
Es ist vorgesehen, dass die Unterstellungsregeln sollen auch ab dem 1. Januar 2023 so ausgestaltet oder ausgelegt werden, dass ein bestimmtes Ausmass an Telearbeit im Wohnland geleistet werden kann, ohne dass die Zuständigkeit im Bereich der sozialen Sicherheit ändert.
Es ist ratsam regelmässig hierzu die Homepage des BSV zu konsultieren. Vgl. hierzu: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/int/grundlagen-und-abkommen/telearbeit.html.
C) So lange die Arbeitslosentaggelder aus der Schweiz noch fliessen, besteht auch ein entsprechender Versicherungsschutz und -abzug in der Schweiz. Es bestehen auf dem AL-Taggeld auch Abzüge für den Invaliditäts- und Todesfallschutz aus der Pensionskasse, wenn das Taggeld höher ist als CHF 82.60.
D) Hat der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz in der Schweiz, arbeitet aber in Deutschland, so ist er in Deutschland beschränkt steuerpflichtig. Da der Arbeitnehmer aber in der Schweiz seinen Wohnsitz hat, ist er dort ebenfalls steuerpflichtig. Durch das Doppelbesteuerungsabkommen (oder: Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung) zwischen der Schweiz und der EU soll eben diese doppelte Belastung aufgehoben werden. In diesem Forum kann ich keine umfassenden steuerrechtlichen Auskünfte geben.
Konkret gilt für Grenzgänger Folgendes: Die Einkünfte, die der Arbeitnehmer in Deutschland einnimmt, unterliegen der deutschen Einkommensteuer. Der deutsche Arbeitgeber ist grundsätzlich zum Lohnsteuerabzug von 4.5 % verpflichtet. Der Arbeitslohn wird zur Berücksichtigung der Abzugssteuer dann in der Schweiz lediglich zu 80 % der Besteuerung unterworfen.
Ins Gewicht fallen kann für die Frage des Steuerstatut aber auch, ob und in welchem Umfang in der Schweiz faktisch ein Teil der Erwerbstätigkeit wahrgenommen wird. Für die diesbezügliche aktuelle Regelung sind beim kantonalen Steueramt Auskünfte einzuholen.
Der deutsche Arbeitgeber darf von der Einbehaltung der vollen Lohnsteuer nur absehen, wenn ihm eine Ansässigkeitsbescheinigung des Schweizer Grenzgängers vorliegt. Diese ist vom Grenzgänger mit dem Vordruck Gre-1 in dreifacher Ausfertigung beim zuständigen kantonalen Steueramt zu beantragen. Das kantonale Steueramt bestätigt die Ansässigkeit und behält die dritte Ausfertigung des Vordrucks. Die beiden übrigen Bescheinigungen sendet es an den Grenzgänger zurück, der die erste Ausfertigung seinem Arbeitgeber übergibt und die andere behält.
Genauere Auskünfte über die Doppelbesteuerungsabkommen und seine Auswirkungen auf diese Konstellation erteilt die Eidgenössische Steuerverwaltung und das kantonale Steueramt. Die Steueranmeldung hat auf jeden Fall in Deutschland und in der Schweiz zu erfolgen.
Ich hoffe, diese Auskünfte dienen Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot