Guten Tag,
Bei meinem KL handelt es sich um einen Aussendienstmitarbeiter mit einem hohen Lohnanteil an Provision (Fixum reicht nicht zur Deckung des Lebensunterhaltes, ca 20% des Einkommens ist fix, rest basiert auf Verkaufserfolg). Aufgrund der Corona Lage mit Home Office und wenig Kundenkontakten bricht sein Einkommen massiv ein. Es droht eine Überschuldung. Der Arbeitgeber verzichtet bewusst auf Kurzarbeit, stellt dem MA aber keine Mittel zur Verfügung. Ist der Arbeitgeber Lohnersatzpflichtig? Wie müsste diese aussehen, würde es genügen, dem MA Lohnvorschüsse zu gewähren?
Besten Dank für Ihre Antwort und freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Walser
Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Bei einem solchen Arbeitsverhältnis ist vorerst zu fragen, ob die Aufteilung Fixum / Provision überhaupt zulässig ist.
Nach der Rechtsprechung ist die Ausrichtung des Lohnes in der Form von Provisionen (Art. 322b OR) zulässig, soweit der Arbeitnehmer ein angemessenes Entgelt erhält. Die Rechtsprechung verweist hier auf die anaologe Anwendung von Art. 349a OR; diese Bestimmung sieht ein angemessenes Entgelt für Handelvertreter vor (Siehe BGE 139 III 214 E 5.1 = Pra 2013 Nr 114). Was gilt als angemessenes Entgelt? Ein solches liegt vor, wenn die Provision dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung seines Arbeitseinsatzes, seiner Ausbildung, seiner Dienstjahre, seines Alters und seiner sozialen Verpflichtungen erlaubt, die Lebenskosten auf zufriedenstellende Weise zu bestreiten. Als Richtlinie ist das branchenübliche Lohnniveau zu berücksichtigen (BGE 139 III 214 E 5.2 = Pra 2013 Nr 114; sa BGE 129 III 664 E 6.1 = Pra 2004 Nr 67). Abzustellen ist auf ein durchschnittliches Einkommen über längere Zeit abzustellen. Nach BGer-Entscheid 4A_68/2008 E 3.3.3 ist es zumutbar, dass vorübergehend ein unterdurchschnittlicher Lohn ausgerichtet wird, wenn mit Lohnschwankungen zu rechnen ist (was bei Aussendienstmitarbeitenden der Fall ist.
Im Lichte dieser Rechtsprechung müsste nun der konkret vorliegende Vertrag des Aussendienstmitarbeiters analysiert werden. Sie erwähnen, dass das Fixum nicht zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausreiche. Das ist ein Indiz dafür, dass die ursprüngliche vertragliche Regelung in diesem Punkt unzulässig ist. Für eine verlässliche Einschätzung müsste ich jedoch wie erwähnt den Vertrag und die genauen Zahlen kennen.
Nun zur Frage, wieweit die krisenbedingten Einbussen des Einkommens vom Arbeitnehmer oder von der Arbeitgeberin zu tragen sind. Die Arbeitgeberin schuldet den vereinbarten Lohn. Kann der ARbeitnehmer mangels Arbeit seine Arbeitsleistung nicht erbringen, so trifft der Arbeitgeberverzug nach ARt. 324 OR ein, das heisst, die Arbeitgeberin muss den Lohn ausrichten, selbst dann, wenn sie (die Arbeitgeberin) kein Verschulden am Ausbleiben der Arbeit hat. In Krisensituation hat die Arbeitgeberin die Möglichkeit, Kurzarbeit anzumelden, die ALV deckt dann 80% des versicherten Lohnes und die Arbeitgeberin muss für die Differenz zu 100% nicht aufkommen. Wenn die Arbeitgeberin auf diese Möglichkeit verzichtet, muss sie dennoch den Lohn nach ARt. 324 OR weiter ausrichten.
Fraglich ist im vorliegenden Fall aber, wie hoch der von der Arbeitgeberin geschuldete Lohn ist. Um dies zu wissen, bräuchte ich wie erwähnt konkrete Angaben.
Nun noch ein paar Worte zum Lohnvorschuss: Der Lohn wird ja üblicherweise am Monatsende für die zuvor geleistete Arbeit ausgerichtet. Nach Art. 324 Abs. 4 OR hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach Massgabe der geleisteten Arbeit den Vorschuss zu gewähren, dessen der Arbeitnehmer infolge einer Notlage bedarf und den der Arbeitgeber billigerweise zu gewähren vermag. Der Arbeitnehmer kann also vor Monatsende Lohnvorschuss für bereits geleistete Arbeit verlangen. Für noch nicht geleistete Arbeit besteht kein Recht auf Lohnvorschuss. Der Arbeitgeber darf jedoch dem Arbeitnehmer ein Darlehen geben und dieses mit späterem Lohn verrechnen, wobei das Existenzminimum des Arbeitnehmers bei der Verrechnung gewahrt werden muss.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit freundlichen Grüssen
Kurt Pärl
P.S. Hier noch der Auszug aus BGE 139 III 214 Erwägung 5 in der Übersetzung der Zeitschrift die Praxis:
"Es wurde festgestellt, dass der Beklagte einen Lohn erhielt, der gestützt auf ein Provisionssystem bezüglich der für Rechnung der Beschwerdeführerin abgeschlossenen Geschäfte festgelegt wurde. Mit anderen Worten bestand der Lohn des Beklagten ausschliesslich aus Provisionseinnahmen.
Die Provision ist eine besondere Art der Entlöhnung des Arbeitnehmers.
Ist eine Provision des Arbeitnehmers auf bestimmten Geschäften verabredet, so entsteht gemäss Art. 322b Abs. 1 OR der Anspruch, wenn das Geschäft mit dem Dritten rechtsgültig abgeschlossen ist. Vorbehältlich einer abweichenden Vertragsabrede muss der Arbeitnehmer somit während des Vertragsverhältnisses ein konkretes Geschäft vermitteln oder einen Kunden finden, der bereit ist, einen Vertrag abzuschliessen; es muss ein Kausalzusammenhang zwischen der Tätigkeit des Arbeitnehmers und dem Vertragsabschluss bestehen (BGE 128 III 174, E.2b) .
Die neuere Lehre vertritt die Auffassung, dass der Lohn des Angestellten, der ausschliesslich oder vorwiegend aus Provisionen besteht, ein angemessenes Entgelt darstellen muss, wie es in Art. 349 Abs. 2 OR im Rahmen des Handelsreisendenvertrags vorgesehen ist (...). Diese Auffassung überzeugt. Um zu verhindern, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ausbeutet, indem er ihm Einnahmen unrealistischer Provisionen vorgaukelt (vgl. dazu BGE 129 III 664, E.6.1. = Pra 2004 Nr 67) , muss die Schutzwirkung von Art. 349 Abs. 2 OR analog auf alle Arbeitnehmer, die vorwiegend mit Provisionen entschädigt werden, Anwendung finden.
Folglich ist zu prüfen, ob das Entgelt, das der Beklagte in Form von Provisionen erhalten hat, im Sinne der oben genannten Bestimmung als angemessen beurteilt werden konnte, so wie es die Beschwerdeführerin behauptet.
5.2 Der Begriff des «angemessenen» Entgelts ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der dem Tatsachenrichter einen Ermessensspielraum belässt. So greift das Bundesgericht nur ein, wenn diese Behörde ihr Ermessen missbraucht hat, mit anderen Worten, wenn sie unangemessene Kriterien angewendet hat oder wenn der Entscheid zu einem offensichtlich ungerechten Ergebnis führt (BGE 135 III 121 E. 2 in fine mit Hinweisen = Pra 2009 Nr. 88).
Eine Provision ist angemessen, wenn sie dem Handelsreisenden einen Verdienst garantiert, mit dem er sein Leben gemäss seinem Arbeitseinsatz, seiner Ausbildung, seiner Dienstjahre, seinem Alter, seinen sozialen Verpflichtungen sowie auf branchenüblichem Niveau auf eine zufriedenstellende Weise finanzieren kann (BGE 129 III 664 = Pra 2004 Nr. 67).
Wenn die Beschwerdeführerin behauptet, der Beklagte habe «im Jahre 2008 und während eines nicht vernachlässigbaren Zeitraumes» Einnahmen von mehr als Fr. 4000.– pro Monat verdient, beruft sie sich auf nicht festgestellte Tatsachen, auf die nicht einzutreten ist (Art. 105 Abs. 1 BGG). Aus den gleichen Gründen ist es nicht möglich, in Betracht zu ziehen, der Kläger habe sich bei seiner Arbeit so wenig eingesetzt, weil er sein eigenes Import-Export-Unternehmen gegründet habe.
Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der Beklagte während des Arbeitsverhältnisses für eine Vollzeitstelle einen durchschnittlichen Monatslohn von netto Fr. 2074.– erzielte. Es ist nicht erstellt, dass die Dienstleistungen des Arbeitnehmers unzureichend waren. Unter solchen Umständen braucht es keine langen Erklärungen, um zum Schluss zu kommen, dass diese Entschädigung nicht angemessen ist, denn sie erlaubt es nach der allgemeinen Erfahrung nicht, in der Schweiz auf zufriedenstellende Weise zu leben, welches auch immer die persönliche Situation des Betroffenen ist.
Die Vorinstanz entschied, dass der zusätzliche vom Beklagten geforderte Bruttobetrag von Fr. 42 000.– einem monatlichen Zuschuss von Fr. 1800.25 während 22 1/3 Monaten (recte: 23 1/3 Monaten), solange wie das Arbeitsverhältnis dauerte, entsprach (Fr. 42 000.– / 23.33). Addiert man nun diesen Betrag zum durchschnittlichen tatsächlich erhaltenen Netto-Monatslohn, ergibt sich ein Bruttolohn von Fr. 3874.25 (Fr. 2074.– + Fr. 1800.25).
Mit dem Entscheid, dass dieser Brutto-Monatslohn von Fr. 3874.25 im Sinne von Art. 349a Abs. 2 OR «angemessen» sei, hat die Vorinstanz ihr Ermessen in keiner Weise missbraucht. In der Tat liegt dieser Lohn noch weit unterhalb des durchschnittlichen Brutto-Monatslohns im privaten und öffentlichen Sektor zusammen für einfache und repetitive Tätigkeiten in der Genferseeregion im Jahre 2010, der monatlich Fr. 4727.– betrug (http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/fr/index/themen/03/04/blank/key/lohnstruktur/nach_grossregion.html).