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Genugtuung gemäss OHG und Entschädigung

Veröffentlicht:
24.05.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Klient X wurde  vor Jahren in eine Schlägerei verwickelt und erlitte einen dauernden Gesundheitsschaden. Seither (nach einem Wartejahr bei der IV) ist er IV Rentner und lebt in einem Heim.

Während dem Wartejahr musste Klient X mit wirtschaftlicher Sozialhilfe unterstützt werden in Umfang von Fr. 38'000.00.  Diese Sozialhilfeschuld besteht nach wie vor.

Im Jahr 2018 hat Herr X eine Genugtuung von Fr. 54'000.00 erhalten. Im Jahr 2019 wird er noch eine Entschädigung von Fr. 35'000.00 erhalten. Die Entschädigung reslutiert insbesondere aus einer Differenz zwischen dem Bruttoeinkommen und den hypothetischen Leistungen der Arbeitslosenversicherung, da Klient X zum Zeitpunkt der Schädigung nicht in einem Arbeitsverhältnis war.

Wie verhält es sich mit der Rückerstattungspflicht im Kanton Bern? Ist Klient X zur Rückerstattung verpflichtet und gilt hier auch die Vermögensfreigrenze der EL von Fr. 25'000.00. Wenn ja, werden Genugtuung und Entschädigung gleich gewertet oder gibt es eine unterschiedliche Wertung der beiden Beträge?

Die Entschädigung von Fr. 35'000.00 stellt ja eine Art Erwerbsersatz dar, muss nur von diesem Betrag eine Rückerstattung an die Sozialhilfe geprüft werden?

Für Ihre Rückmeldung danke ich Ihnen bestens.

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Bauer

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Nach Art. 40 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (SHG BE) ist zur Rückerstattung verpflichtet, wer wirtschaftliche Hilfe bezogen hat und dessen wirtschaftliche Verhältnisse sich nun wesentlich gebessert haben. Nach Art. 11b der Sozialhilfeverordnung des Kantons Bern (SHV BE) liegt eine wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne von Art. 40 Abs. 1 Lit. a SHG BE vor, wenn das Vermögen über dem Betrag von Kapitel E.3.1 der SKOS-Richtlinien liegt. Gemäss dieser Bestimmung der SKOS ist Personen, die infolge eines erheblichen Vermögensanfalls rückerstattungspflichtig werden, bei Einzelpersonen ein Vermögensfreibetrag von CHF 25'000.--, bei Ehepaaren von CHF 40'000.-- und pro minderjähriges Kind von CHF 15'000.-- zu gewähren. In Kapitel E.2.1 der SKOS-Richtlinien wird zudem festgehalten, dass Leistungen aus Genugtuung nur soweit zu berücksichtigen sind, als bei Einzelpersonen ein Betrag von CHF 25'000.-- (Ehegatten CHF 40'000.-- und minderjährige Kinder CHF 15'000.--) überstiegen wird.

Sowohl die von Ihnen erwähnte Genugtuung wie auch die Entschädigung sind nach meiner rechtlichen Einschätzung Leistungen, die aufgrund des Opferhilfegesetzes geschuldet sind (Art. 19 und 22 Opferhilfegesetz, OHG). Die Höhe der Entschädigung bemisst sich nach Art. 19 Abs. 2 OHG nach Art. 46 des Obligationenrechts (OR), die Höhe der Genugtuung nach Art. 22 OHG nach Art. 47 und 49 OR. Nach Art. 46 Abs. 1 OR gibt eine Körperverletzung dem Verletzten Anspruch auf Ersatz der Kosten, sowie auf Entschädigung für die Nachteile gänzlicher oder teilweiser Arbeitsunfähigkeit.

Vorliegend ist der von der Sozialhilfe vorübergehend Unterstützte mit der Überweisung einer Genugtuung in der Höhe von CHF 55'000.-- nach Art. 40 Abs. 1 SHG vermögend geworden und die Leistungen der Sozialhilfe können im Umfang des (ich vermute aufgrund Ihrer Sachverhaltsschilderung eine Einzelperson) CHF 25'000.-- übersteigenden Betrages zurückgefordert werden. Dies bedeutet, dass die Sozialhilfe CHF 30'000.-- der Genugtuung zurückfordern kann. Sollte es sich nicht um eine Einzelperson handeln, sind die Beträge entsprechend anzupassen.

Wichtig ist vor Erlass einer Rückerstattungsverfügung aber immer auch die Prüfung eines Härtefalls nach Art. 11c SHV BE i.V.m. Art. 43 Abs. 3 SHG BE.

Wenn von der Genugtuung CHF 30'000.-- zurückgefordert werden, verbleiben noch CHF 8'000.-- an Sozialhilfeausgaben, die noch nicht durch eine allfällige Rückerstattung gedeckt sind (total CHF 38'000.-- Sozialhilfeleistungen). Diese werden von der Entschädigung von CHF 34'000.-- zurückverlangt werden können und zwar unbesehen davon, ob die Sozialhilfe für diese Leistung einen separaten Vermögensfreibetrag von erneut CHF 25'000.-- gewährt oder ob die beiden verschiedenen Leistungen aus Opferhilfe in Bezug auf den Vermögensfreibetrag zusammengerechnet werden, da aufgrund des kommenden Vermögensanfalls von CHF 34'000.-- ausreichend Mittel vorhanden sind, um die Unterstützungsleistungen in der verbleibenden Höhe von CHF 8'000.-- zurückzufordern, auch wenn nochmals ein Vermögensfreibetrag gewährt wird.

Auch hier gilt es vor Erlass einer Rückerstattungsverfügung an die obgenannte Härtefallregelung zu denken.

Ob man die Entschädigung gar als bevorschusste Leistung nach Art. 40 Abs. 3 SHG BE qualifizieren kann, bei der dann bei der Berechnung der Rückerstattungssumme kein Vermögensfreibetrag zu berücksichtigen ist, kann offen gelassen werden, da sämtliche Sozialhilfeleistungen zurückgefordert werden können. Ergänzend sei aber dennoch ausgeführt, dass es sich nur dann um bevorschusste Leistungen handelt, wenn die Periode für die Leistung deckungsgleich ist. Dies würde bedeuten, dass man berechnen müsste, für welche Periode die Entschädigung entrichtet wird und ob die Sozialhilfeleistungen für dieselbe Periode ausgerichtet wurden.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach