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gemeinsame elterliche Sorge um Familiennachzug zu erleichtern?

Veröffentlicht:
21.10.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag Frau Anderer
Guten Tag Herr Vogel

Ein Vater lebt als EU/EFTA Bürger (Deutschland) seit zwei Jahren in unserem Einzugsgebiet. Nun möchte er seine Freundin und das gemeinsame Kind mittels Familiennachzug in die Schweiz bringen. Das Kind ist in Irland geboren. Mutter und Kind wohnen seit zwei Wochen hier.
Der Vater hat sämtliche Unterlagen für die Anmeldung bei der Einwohnerkontrolle abgegeben, dass Migrationsamt könne aber den Familiennachzug des Kindes nicht bearbeiten, solange der Vater nicht beweisen könne, dass er ebenfalls das Sorgerecht für das Kind habe. Deshalb wünscht der  Vater  von der KESB eine Bestätigung betreffend die gemeinsame elterliche Sorge. Er erklärte, dass es in Irland nie eine schriftliche Bestätigung der gemeinsamen elterlichen Sorge gebe. Es werde nur alles mündlich besprochen und danach eine Geburtsurkunde mit beiden Elternteilen darauf stehend, ausgestellt. Die Geburtsurkunde liegt vor.

Für uns stellt sich nun die Frage, ob wir die gemeinsame elterliche Sorge genehmigen können, da das Kind seinen Aufenthaltsort nun in der Schweiz bzw. in unserem Einzugsgebiet hat (örtliche Zuständigkeit?), aber noch keine Niederlassungsbewilligung hat? Wie würde sich die geS auf das Familiennachzugsverfahren auswirken? Welches Vorgehen würden Sie uns in dieser Situation empfehlen?

Vielen Dank für Ihre Bemühungen und freundliche Grüsse.

D. Meier & B. Gmünder

Frage beantwortet am

Urs Vogel

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Erwägungen

Das Entstehen, die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten kraft Gesetzes ohne Einschreiten eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde bestimmt sich nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes. (Art. 16 Abs. 1 HKsÜ). Das Kind ist in Irland geboren und hatte somit zum Zeitpunkt seiner Geburt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Irland. Gemäss irischem Recht (Sec. 6 Abs. 4 Guardianship of Infants Act 1964: http://www.irishstatutebook.ie/eli/1964/act/7/section/6/enacted/en/html ) steht die elterliche Sorge bei einem Kind nicht miteinanderverheirateter Eltern der Mutter zu (illegitimate infant: siehe dazu Sec. 2 Guardianship of Infants Act 1964 bezüglich Begriff «father» und «illegitimate infant»: https://www.irishstatutebook.ie/eli/1964/act/7/section/2/enacted/en/html ). Von Gesetzes wegen entsteht somit keine gemeinsame Sorge. Dass auf der Geburtsurkunde beide Eltern eingetragen sind, bedeutet nicht, dass gemeinsame Sorge entstanden ist, sondern regelt lediglich die rechtliche Vaterschaft. Dass mündlich die gemeinsame Sorge eingeräumt sein soll, lässt sich aus den irischen rechtlichen Grundlagen nicht herleiten.

Mutter und Kind befinden sich nun seit zwei Wochen in der Schweiz, jedoch ohne geregelten Aufenthaltsstatus, da der Familiennachzug nicht bewilligt wurde. Es stellt sich die Frage, ob damit das Kind bereits gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hat und dadurch gestützt auf Art. 5 i.V.m. 16 Abs. 2 HKsÜ eine gemeinsame Erklärung zum Erlangen der gemeinsamen Sorge (Art. 298a Abs. 1 ZGB) vor den schweizerischen Behörden abgegeben werden kann. Bei Minderjährigen manifestiert sich der gewöhnliche Aufenthalt in einer sozialen Eingliederung in familiärer, schulischer oder beruflicher Hinsicht (siehe ausführlich dazu BSK IPRG-Schwander, Art. 85 N 47). Der gewöhnliche Aufenthalt bedarf zudem eines Verweilens an einem bestimmten Ort während längerer Zeit, was nach den Verhältnissen im Einzelfall zu bestimmen ist (BSK IPRG-Westenberg, Art. 20 N 33). Der gewöhnliche Aufenthalt ist vom schlichten Aufenthalt, also der tatsächlichen Anwesenheit zu unterscheiden.

Der Aufenthalt des Kindes und der Mutter als alleinige Sorgerechtsinhaberin ist ohne Bewilligung des Familiennachzuges nur von temporärer Natur, es sei denn, dass eine Aufenthaltsbewilligung (Niederlassungsbewilligung nicht Voraussetzung) der Migrationsbehörden vorliegt, was aus dem Sachverhalt nicht hervorgeht. Nach meiner Ansicht handelt es sich somit vorliegend um einen schlichten Aufenthalt, der keine Zuständigkeit der schweizerischen Behörden begründet. Würde man etwas anderes annehmen würde dies dazu führen, dass über Entscheidungen der KESB Bewilligungsvoraussetzungen, die vor der Einreise in der Schweiz vorhanden sein müssen, damit der Familiennachzug gewährt wird, nachträglich geschaffen werden. Dies würde eine Umgehung der Bestimmungen des AIG zur Folge haben.

Wie sich eine allfällige gemeinsame Sorge auf den Familiennachzug des Kindes auswirkt, ist eine Frage des Migrationsrechts (siehe dazu Art. 42 ff AIG) sowie der Voraussetzungen für den Familiennachzug EU/EFTA, insbesondere das es sich ja nicht um ein Ehepaar, sondern um ein Konkubinatspaar mit Kind handelt, was bei den zuständigen Migrationsbehörden oder spezialisierten Beratungsstellen für Familiennachzug nachzufragen wäre.

Kulmerau, 21.10.2021

Urs Vogel