Guten Tag Frau Anderer
Bei uns stellt sich die folgende Problematik:
Wenn Eltern die geS haben und ein Elternteil (der die faktische Obhut hat) fähig und in der Lage ist, die elterliche Sorge auszuüben, und ein Entscheid über einen Aufenthaltswechsel ansteht:
kann dann gemäss Art. 310 ZGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem anderen Elternteil entzogen werden, und welche Folgen würde das haben:
Hätte dann die KESB zusammen mit einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht, oder nur der (fähige) Elternteil alleine?
Oder müsste in einem solchen Fall nach Art. 301a Abs. 2 lit. b ZGB entschieden werden, wonach die KESB anstelle des Elternteiles die Zustimmung zum Aufenthaltswechsel gibt?
Besten Dank für Ihre Antwort!
N. Giger
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Frau Giger
Art. 301a Abs. 1 ZGB bestimmt, dass die elterliche Sorge das Recht einschliesst, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht kommt grundsätzlich beiden Eltern gleichermassen zu, wenn sie die gemeinsame elterliche Sorge innehaben (zum Inhalt des Aufenthaltsbestimmungsrechts, vgl. Berner Kommentar, Affolter Kurt/Vogel Urs, Die elterliche Sorge / der Kindesschutz, das Kindesvermögen, Minderjährige unter Vormundschaft, Bern 2016, Art. 301 ZGB N 71 ff.). Unter dem Begriff Obhut ist das faktische Zusammensein mit dem Kind, auch faktische Obhut genannt, zu verstehen (BK Affolter/Vogel, Art. 298 ZGB N 44).
Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so bedarf dies nach Art. 301a Abs. 2 ZGB der Zustimmung des andern Elternteils, wenn: a. der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt, oder b. der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den andern Elternteil hat. Bei Uneinigkeit der Eltern entscheidet das Gericht oder die KESB.
Art. 301a ZGB schafft also die Möglichkeit, das fehlende Einverständnis durch die KESB oder das Gerichts zu ersetzen. Faktisch führt das zu einem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts für einen Elternteil. Art. 301a ZGB ist somit gegenüber den Regeln der Ausübung der elterlichen Sorge als lex specialis zu qualifizieren (vgl. dazu ausführlich BK Affolter/Vogel, Art. 301a ZGB N 4 ff.).
Somit hat die KESB oder das Gericht gestützt auf Art. 301a Abs. 2 ZGB zu entscheiden, wenn sich die Eltern nicht einigen können (vgl. zu der konkreten Vorgehensweise bei Uneinigkeit der Eltern, BK Affolter/Vogel, Art. 301a ZGB N 23 ff.).
Ich hoffe, die Angaben sind Ihnen nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 24.3.2017
Karin Anderer