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Geltend machen FamZG ohne Abtretungserklärung möglich?

Veröffentlicht:
22.06.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

In der Sozialhilfe habe ich eine junge Frau mit Jahrgang 2002. Sie absolvierte zurzeit eine EBA Ausbildung von 01.08.2019 bis 31.07.2021. Ich weiss, dass Sie Anspruch auf Ausbildungszulagen hat, im Kanton Bern belaufen diese auf monatlich CHF 290.-. Der Vater bezieht ebenfalls Sozialhilfe. Die Mutter war von August 2019 bis Juli 2020 erwerbstätig. Von September bis Oktober 2020 bezog sie Arbeitslosengeld, von November 2020 bis Januar 2021 war sie wieder erwerbstätig und seit dem 08.01.2021 bezieht sie wieder Arbeitslosengeld. Ich weiss, dass ich für die Zeit, in der sie erwerbstätig war, die Familienzulage über den Arbeitgeber geltend gemacht werden kann. Nach meiner Logik sollte dies auch über die Arbeitslosenkasse funktionieren. Nun ist es so, die Kindsmutter hat neben meiner Klientin vier weitere Kinder. Diese vier Kinder hat die Mutter immer beim Arbeitgeber und der Arbeitslosenkasse angemeldet und bezieht entsprechend Familienzulage. Für die fünfte und älteste Tochter machte sie dies nicht, da sie keinen Kontakt zu ihr hat und die Beziehung seit Geburt sehr schwierig ist. Sie wuchs beim Vater auf, und dieser hatte zudem das alleinige Sorgenrecht. Die Ausgleichkasse des Arbeitgebers und die Arbeitslosenkasse verweigern sich die Familienzulage zu berechnen oder zu verfügen ohne eine Abtretungserklärung. Ich habe die Mutter bereits beim Beantragen der Stipendien mehrmals schriftlich, auch per Einschreiben, diverse Unterlagen und Unterschrift eingefordert. Leider immer erfolgslos, die Mutter reagiert nicht. Nun habe ich nochmals eine Abtretungserklärung für die Familienzulagen der Mutter geschickt, mit der Hoffnung, dass Sie diesmal unterschreibt.

Meine Frage ist nun, wie könnte ein weiteres Vorgehen aussehe, damit ich die Familienzulage, die der jungen Erwachsener zustehen bzw. an die Sozialhilfe überwiesen muss geltend machen kann ohne diese Abtretungserklärung. Gibt es irgendeine gesetzliche Grundlage, wo evtl. auf eine soggenannte Abtretungserklärung verzichtet werden kann?

Besten Dank für Ihre Antwort 

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Liebe A.L.

a) Tatsächlich müssen Ausbildungszulagen primär von der berechtigten Person gemäss Art. 13 und Art. 7 FamZG geltend gemacht werden.

b) )Nach der Rechtsprechung kann aber Antrag auf Familienzulagen stellen, wer im Sinne von Art. 59 ATSG beschwerdeberechtigt ist. Dafür braucht es ein schutzwürdiges Interesse des Beschwerdeführenden. In diesem Fall werden die Familienzulagen direkt an diejenige Person ausgerichtet, welche den Antrag gestellt hat. Vgl. Wegleitung zum Bundesgesetz über die Familienzulagen (FamZWL, Stand 1.1.2021, Rz. 104). Zu finden unter: https://sozialversicherungen.admin.ch/de/d/6348/download)

Der andere Elternteil oder das volljährige Kind kann deshalb anstelle des Elternteils, der einen Anspruch geltend machen kann, dies aber nicht tut, einen Antrag stellen (Kieser Ueli, ATSG-Kommentar, 3. Auflage, 2015, Rz. 27 und 28 zu Art. 29 und Rz. 7 ff. zu Art. 59).

An Stelle des Elternteils könnte selbstverständlich auch ein Beistand mit einem entsprechenden Vertretungsrecht gemäss Art 308 Abs. 2 oder 3 ZGB diesen Antrag stellen.

c) Für die Beschwerdeberechtigung (und somit auch das Antragsrecht) von Sozialhilfebehörden ist die Rechtsprechung uneinheitlich. Hier wird gefragt, ob neben dem reinen finanziellen Interesse eine unmittelbare und konkrete Betroffenheit oder qualifizierte Beziehungsnähe des Dienstes zur Streitsache besteht (BGE 133 V 188 E. 4.5). Die Rechtsprechung ist uneinheitlich (siehe dazu Basler Kommentar ATSG, Art. 59, Rz. 22). Die Legitimation wurde auf dieser Basis aber etwa für eine Beschwerde etwa gegen eine EL-Verfügung bejaht in einem Bevorschussungsfall, bei welchem es um die Alimentenbevorschussung bei den anrechenbaren Einnahmen ging (EVG, 26.11.2004, P 37/04). Für die Familienzulagen fehlt soweit ersichtliche eine höchstrichterliche Rechtsprechung.

Gestützt auf diese Praxis könnte so ein Antrag auch vom bevorschussenden Gemeinwesen gestellt werden. Es ist aber zu erwarten, dass dies juristisch mit unsicheren Erfolgschancen gerichtlich durchgefochten werden müsste. Zur Entscheidung, ob sich dieser Weg lohnt, müssten zusätzliche juristische Recherchen angestellt werden.

d) Im Übrigen kann im Fall von Bevorschussungen, die dann zu Nachzahlungen der SVA führen, jene Nachzahlung auf der Basis einer Abtretung (Art. 22 ATSG) direkt von der bevorschussenden Stelle geltend gemacht werden. Eine Abtretung ist ein Rechtsgeschäft, mit welchem die Gläubigerin Ihren Anspruch per Rechtsgeschäft abtritt.

Wenn sich wie hier eine Sozialhilfeklientin weigert, einen solchen bezifferbaren Anspruch abzutreten, so kann sozialhilferechtlich im Sinne der SKoS-Richtlinien entsprechen wegen Verletzung der Subsidiarität, die Sozialhilfe entsprechend dem Betrag gekürzt werden. Vgl. SKoS-Richtlinien F 3 Abs. 3 lit. b ,zu finden unter rl.skos.ch.

Fazit:

Im vorliegenden Fall könnte der Anspruch wohl am einfachsten geltend gemacht werden, wenn für das minderjährige Kind der andere Elternteil mit (gemeinsamer) elterlicher Sorge oder das volljährige Kind selber den Anspruch geltend macht.

Ansonsten wäre eine Beistandschaft zu errichten mit einem entsprechenden Vertretungsrecht.

Abgesehen davon könnte der Sozialdienst versuchen gestützt auf die Praxis zu Art. 59 ATSG als besonders betroffene Dritte einen Anspruch geltend zu machen. Dafür wäre aber juristische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Die Chancen sind auf der Basis der geltenden Rechtsprechung ungewiss.

Ich hoffe, das dient.

Prof. Peter Mösch Payot

 

P.S: Zur Vollständigkeit hier noch Varianten der Drittzahlung bei BESTEHENDEN Ansprüchen:

aa) Werden Sozialversicherungsleistungen wie Familienzulagenansprüche bevorschusst, so darf der Sozialdienst beim Versicherer die Auszahlung der fälligen bevorschussten Leistungen an ihn verlangen (Art. 34 Abs. 3 SHG Bern; Art. 22 ATSG).

Im vorliegenden Fall bestehen gerade noch keine fälligen Leistungen, weil ja das Gesuch um Familienzulagen für das betreffende Kind gar noch nicht gestellt wurde. Deswegen kann auf der Basis dieser Norm im vorliegenden Fall kein Anspruch geltend gemacht werden.

bb) Werden die Familienzulagen nicht für die Bedürfnisse einer Person verwendet, für die sie bestimmt sind, so kann diese Person oder ihr gesetzlicher Vertreter gemäss Art. 9 Abs. 1 FamZG verlangen, dass ihr die Familienzulagen in Abweichung von Art. 20 Abs. 1 ATSG auch ohne Fürsorgeabhängigkeit ausgerichtet werden.

Auf begründetes Gesuch hin kann die Ausbildungszulage dabei in Abweichung von Art. 20 Abs. 1 ATSG direkt auch dem volljährigen Kind ausgerichtet werden (Art. 9 Abs. 2 FamZG).

Auch das betrifft aber wohl vom Wortlaut der Norm her nur fällige Leistungen, nicht solche – wie hier – die gar noch nicht entstanden sind.