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gegenseitige Unterstützung bei Zusammenleben trotz vollzogener Scheidung

Veröffentlicht:
15.11.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag,
folgender Fall ist bei uns zur Zeit zur Abklärung:
Herr und Frau T. haben 2011 geheiratet und seither zusammen gelebt. Seit einigen Jahren bezieht Herr T eine Invalidenrente sowie eine PK-Rente und seit einiger Zeit auch eine Hilflosenentschädigung. Ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen wurde auf Grund der Einberechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens für Frau T., welche keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, abgelehnt. Auch auf wirtschaftliche Sozialhilfe bestand kein Anspruch, das Ehepaar hat diesen in den letzten Jahren mehrfach bei uns prüfen lassen. Die Einnahmen sind jedoch für einen 2-Personen-Haushalt ausreichend, lediglich die volle Prämienverbilligung wurde regelmässig beantragt.
Während eines Aufenthalts in der Türkei im Januar 2018 hat sich das Paar scheiden lassen. In der Folge beantragte Frau T. wirtschaftliche Sozialhilfe. Herr und Frau T. leben nach wie vor in der gemeinsamen Wohnung. Der Antrag wurde in einem ersten Schritt zurück gewiesen, die Klientin machte Beschwerde. Nun wird überlegt, eine Wiedererwägung zu machen, auf den Antrag einzutreten, dabei aber einen Unterstützungsbeitrag von Herrn T einzufordern.
Folgende Fragen sind dabei aufgetaucht:
1) handelt es sich in diesem Fall um getrennte Unterstützungseinheiten oder muss, solange Hr. und Fr. T zusammen leben, von einer Unterstützungseinheit ausgegangen werden?
2) Hr. T ist nicht erwerbstätig. Muss eine Entschädigung Haushaltsführung berechnet werden?
3) Hr. T. bezieht eine Hilflosenentschädigung. Kann erwartet werden, dass Fr. T. ihn in der Verrichtung alltäglicher Dinge im Haushalt unterstützt und hat sie dann Anrecht auf eine Entschädigung aus der Hilflosenentschädigung?
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung
Fr. Müller

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Müller
Vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
a) Handelt es sich in diesem Fall um getrennte Unterstützungseinheiten?
Weder im Sozialhilfegesetz des Kantons Nidwalden (NW) noch in der Sozialhilfeverordnung NW findet sich eine ausdrückliche Definition der Unterstützungseinheit. Auch die SKOS-Richtlinien, welche in § 8 der Sozialhilfeverordnung NW für die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe als Orientierung bezeichnet werden, formulieren keine ausdrückliche Regelung. In Art. 32 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes NW wird aber indirekt festgehalten, was eine Unterstützungseinheit ist, indem dort ausgeführt ist, dass derjenige Anspruch auf wirtschaftliche Unterstützung hat, der für seinen Lebensunterhalt und den seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nicht oder nicht rechtzeitig ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung hat. Das schweizerische Sozialhilferecht geht im Übrigen "stillschweigend" vom Bestehen von Unterstützungseinheiten aus (Guido Wizent. Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 458). Als Unterstützungseinheit gelten danach u.a. Ehepaare, die sich rechtlich zu Unterstützung verpflichtet sind (Art. 163 Abs. 1 ZGB, Art. 278 Abs. 2 ZGB) und zusammenleben (so, wie implizit auch in Art. 32 Abs. 1 SHG NW formuiert). Damit sind Konkubinatspaare keine Unterstützungseinheit (so auch Kap. F. 5.1 SKOS-RL). Einkommen und Vermögen werden nicht zusammengerechnet. Ein Beitrag der nichtunterstützten Person im Budget der unterstützten Person kann nur unter dem Titel Haushaltentschädigung oder Konkubinatsbeitrag berücksichtigt werden.
Das von Ihnen erwähnte Ehepaar T. ist geschieden und schuldet sich somit rechtlich keine Unterstützung mehr. Vielmehr stellt das immer noch zusammenlebende Paar ein Konkubinat dar, weshalb sie grundsätzlich keine gemeinsame Unterstützungseinheit sind, sondern jeder der Ehegatten für sich eine eigene Unterstützungsenheit bildet (es kann in diesem Fall dann auch nur einer der beiden bedürftig sein).
Nun stellt sich aber die Frage, ob das Ehepaar sich nicht einzig und alleine aus dem Grund hat scheiden lassen, um in den Genuss von materieller Unterstützung durch die Sozialhilfe zu gelangen. In diesem Fall könnte argumentiert werden, dass ihr Verhalten - die Scheidung - rechtsmissbräuchlich ist und das Paar deshalb nach wie vor als Ehepaar und somit als Unterstützungseinheit zu behandeln ist. Von rechtsmissbräuchlichem Verhalten ist jedoch nur sehr zurückhaltend auszugehen. Steht nicht mit Sicherheit fest, dass das Ehepaar sich einzig und allein mit dem Zweck hat scheiden lassen, Unterstützungsleistungen (allenfalls für einen der beiden) zu erhalten, rate ich davon ab, Rechtsmissbrauch geltend zu machen.
b) Muss eine Haushaltentschädigung berücksichtigt werden?
So wie ich den Sachverhalt verstehe, leben Frau und Herr T. mindestens seit ihrer Heirat im Jahre 2011 zusammen. Bis heute scheinen sie ununterbrochen zusammengelebt zu haben. Es handelt sich somit um ein gefestigtes/stabiles Konkubinat (Zusammenleben von mind. 2 Jahren, Kapitel F.5.1 SKOS-RL). Dabei spielt es keine Rolle, ob die beiden sich noch als Paar bezeichnen. Wer nach dieser Ehedauer nach wie vor zusammenlebt, gilt nach Bundesgericht als Konkubinat. Damit ist zu berechnen, ob Herr T. in der Lage ist, einen Konkubinatsbeitrag zu bezahlen (Kapitel F.5.3 SKOS-RL). Nach Auskunft des kantonalen Sozialdienstes des Kantons Nidwalden kommen die SKOS-Richtlinien vollumfänglich zur Anwendung. Diese sehen als einzige Vorausetzung vor, dass der Partner leistungsfähig ist (Kapitel H.10 SKOS-RL, ZESO 3/2008). Daraus folgt, dass auch ein IV-Bezüger leistungspflichtig sein kann, wenn er leistungsfähig ist.
Demnach wird Herr T. seine finanziellen Verhältnisse offenlegen müssen, damit die Sozialhilfe berechnen kann, ob er finanziell in der Lage ist, einen Konkubinatsbeitrag zu bezahlen.
c) Kann erwartet werden, dass Frau T. Herrn T. unterstützt und sich die Tätigkeit sozusagen abgelten lässt und deshalb ein Teil der Hilflosenentschädigung von Herrn T. ihr als Einkommen angerechnet wird?
Die Hilflosenentschädigung wird ausgerichtet, damit die betroffene Person sich die notwendige Hilfe beschaffen kann. Sie ist demnach bei jener Person als Einnahme anzurechnen, die diese Leistung erbringt und nicht bei der hilflosen Person selbst (ZESO 2/2006). Werden Betreuung und Pflege bei Dritten eingekauft, so werden die dadurch entstandenen Kosten im Rahmen von krankheits- und behinderungsbedingten Spezialauslagen angemessen berücksichtigt (Kapitel C.1.1 SKOS-RL).
Dies bedeutet, dass die Hilflosentschädigung dann als Einnahmen von Frau T. anzurechnen sind, wenn sie Herrn T. pflegt und betreut. Tut sie dies nicht, wird sie wohl nachweisen müssen, dass die Leistungen von Dritten erbracht bzw. eingekauft werden. Von ihr verlangen, dass sie die Pflege erbringt, darf die Sozialhilfe meiner Ansicht nach allerdings nicht. Lediglich der Beweis, dass die Pflege eben von Dritten erbracht wird, darf gefordert werden. Allenfalls gilt es dann auf den Einnahmen eine Integrationszulage (IZU) zu berücksichtigen (Kapitel C. 2 SKOS-RL).
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach