Sehr geehrte Damen und Herren,
Unsere Frage bezieht sich auf die Elternunterstützung ins Ausland. Die Ausgangslage:
Die Mutter eines in Basel lebenden und arbeitenden deutschen Staatsbürgers (Aufenthaltstitel C), lebt in D in einem Pflegeheim und steht unter Vormundschaft. Diese hat für die Mutter ein Sozialhilfegesuch gestellt, da die Kosten des Heims die Einnahmen aus Rente und Versicherung übersteigen und das Vermögen augebraucht ist. Die Sozialbehörde hat dem Sohn ein Formular geschickt, er soll seine Einkünfte eintragen, inkl. Kopien Arbeitsvertrag etc.
Es ist leider nicht ersichtlich, dass in irgendeiner Form berücksichtigt wird, dass es einen Kaufkraft unterschied zur CH gibt und hier die Beträge für die Verwandtenunterhalt einiges höher liegen. Wie soll man hier vorgehen?
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Darf ich kurz zurückfragen: Prüft die deutsche Sozialhilfe die Verwandtenunterstützung mit Blick auf den Sohn? Falls ja, prüft sie dies nach deutschem Standard?
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder
Sehr geehrte Frau Schnyder,
Ja, die Sozialhilfe prüft beim Sohn (wohnhaft in Basel, IT Manager, 4 Kinder) und hat dazu das deutsche Formular (wirtschaftlicher Erhebungsbogen, in Euro) geschickt, da sein Jahreseinkommen mutmasslich die "Jahreseinkommensgrenze von 100'000 Euro" übersteigt. Seine Sorge ist, dass weder differente in der CH geltende Einkommensgrenzen, noch Kaufkraftunterschiede etc. berücksichtigt werden sollen. Wie soll er diesbezüglich vorgehen?
Mit Dank und herzlichen Grüssen
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Vorausschicken muss ich, dass ich diese Frage nicht abschliessend beantworten kann.
Massgebend für die Frage der Durchsetzung der Verwandtenunterstützungspflicht im Verhältnis Deutschland / Schweiz und umgekehrt sind folgende Rechtsgrundlagen:
- Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (sog. UHPÜ; 0.211.213.01)
- UNO-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (sog. New Yorker Übereinkommen; 0.274.15)
- Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (0.211.221.432)
Für die Frage des amtlichen Rechtsverkehrs Deutschland / Schweiz:
- Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht vom 1.3.1954 (HUe54; SR 0.274.12)
- Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HZUe65; SR 0.274.131)2 und
- Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (HBewUe70, SR 0.274.132)
Für die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit:
- Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ, SR 0.275.12)
Wie Sie erwähnen, hat die deutsche Sozialhilfebehörde direkt mit dem in Basel lebenden Sohn Kontakt aufgenommen, um seine Leistungsfähigkeit abzuklären. Eine direkte Kontaktaufnahme der Behörden ist jedoch nach Grundsätzen der Territorialität des Staatsgebietes (staatliche Gebietshoheit) nicht zulässig. Vielmehr hat sie dafür den Amtsweg zu beschreiten. Sie finden dazu Ausführungen in der Wegleitung des Bundesamtes für Justiz, BJ, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 3. Auflage 2003, Stand 1.2013). Meines Erachtens stellen die von Ihnen erwähnten Abklärungen seitens der deutschen Sozialhilfebehörde Beweisaufnahmen dar, so dass das HBewUe70 (s.o.) massgebend ist, das sowohl für die Schweiz als Deutschland gilt. Nach Art. 2 hat sich die deutsche Sozialhilfebehörde an die für Rechtshilfeersuchen massgebende Zentrale Behörde zu halten. Für die betreffenden Zuständigkeiten, welche in der Schweiz kantonal geregelt sind, kann die hiesigen Orts- und Gerichtsdatenbank Schweiz konsultiert werden.
Für die rechtliche Frage der Verwandtenunterstützungspflicht bzw. des massgebenden Rechts ist zwischen der Schweiz und Deutschland das o.e. UHPÜ massgebend. Nach Art. 1 ist das Übereinkommen auf Unterhaltspflichten anzuwenden, die sich aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft ergeben, einschliesslich der Unterhaltspflicht gegenüber einem nichtehelichen Kind. Für das anwendbare Recht bestimmt Art. 4 UHPÜ: Für die in Artikel 1 genannten Unterhaltspflichten ist das am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltende innerstaatliche Recht massgebend. Da die Unterhaltsberechtigte bei vorliegender Fragestellung die Mutter ist, welche in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist deutsches Recht für die Beurteilung der Verwandtenunterstützungspflicht massgebend. Die Ausnahmebestimmung von Art. 7 des UHPÜ kommt meines Erachtens nicht zur Anwendung, da vorliegend die Pflicht im Verhältnis Mutter / Sohn geprüft wird. Fraglich ist, ob nach Rechtsprechung eine andere Sichtweise zum Zuge kommt - etwa die Anwendung des Rechts am Wohnsitz des Beklagten nach Art. 2 IPRG -, wenn das Gemeinwesen die klagende Partei ist und die Verwandtenunterstützungspflicht für sich geltend macht. Im Rahmen dieser doch bereits umfangreichen Kurzberatung konnte diese Frage nicht mehr geklärt werden.
Welches Gericht sodann die Verwandtenunterstützungspflicht zu beurteilen hat, richtet sich nach dem LugÜ. Massgebend ist bei einer Klage durch das Gemeinwesen wie vorliegend die deutsche Sozialhilfebehörde der Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes nach Art. 2 LugÜ und nicht etwa der Gerichtsstand der unterhaltsberechtigten Person. Siehe dazu Sutter-Somm Thomas/Lötscher Cordula, in: Sutter-Somm Thomas/Hasenböhler Franz/Leuenberger Christoph (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl., Zürich - Basel - Genf 2016, Art. 26 Unterhalts- und Unterstützungsklagen N 15: «Art. 5 Ziff. 2 LugÜ findet Anwendung auf Unterhaltsklagen von Kindern gegenüber ihren Eltern (I. Schwander, LugÜ, S. 72 f.). Die Verwandtenunterstützungspflicht fällt auch unter den Terminus «Unterhaltssache» in Art. 5 Ziff. 2 LugÜ (K. Siehr/B. Graham-Siegenthaler, Basler Komm. GestG, Art. 17 N 16; Th. Koller, Basler Komm. ZGB I, Art. 328/329 N 35). Damit kann in LugÜ-Sachverhalten eine Klage am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten angehoben werden (Art. 5 Ziff. 2 Bst. a LugÜ). Keine Anwendung findet Art. 5 Ziff. 2 LugÜ auf Klagen des subrogierenden Gemeinwesens, weil sich das Gemeinwesen als Kläger hier nicht in einer unterlegenen Position und sich der Unterhaltsberechtigte zudem nicht mehr in einer schwierigen Lage befindet, zumal sein Bedarf durch die Leistungen des Gemeinwesens gedeckt worden ist (EuGH vom 15.1.2004, C-433/01 i.S. Freistaat Bayern gegen Jan Blijdenstein, insb. Rz. 22 ff., 30; vgl. auch K. Siehr/D. Bähler, Basler Komm. ZPO, Art. 26 N 16). Für solche Regressklagen steht nur der Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes nach Art. 2 LugÜ zur Verfügung.» Wenn die deutsche Sozialhlifehilfebehörde klagt, wäre somit der Gerichtsstand in Basel, da der Sohn Wohnsitz in Basel hat und die beklagte Partei darstellt.
Beim Vorgehen für die Einreichung der Klage muss die Behörde unter Umständen das Verfahren nach dem New Yorker Übereinkommen einhalten (s.o.). D.h. sie müsste zunächst an die in Deutschland massgebende Übermittlungsstelle gelangen, um eine Klage in Basel einreichen zu können.
Zu Ihrer Frage kann ich damit festhalten, dass der Sohn diese direkte Anfrage der deutschen Sozialhilfebehörde nicht akzeptieren muss. Die Behörde kann aber durchaus über dem ordentlichen Rechtshilfeweg an ihn gelangen. Zuständig für die Klage wäre sodann das Basler Zivilgericht, das massgebende Recht für die inhaltliche Beurteilung der Verwandtenunterstützungspflicht (Voraussetzungen, Höhe, Dauer, Verjährung etc.) wäre prima vista das deutsche Recht (siehe aber oben). Wie die Regeln und Rechtsprechung zur deutschen Verwandtenunterstützungspflicht sind, kann vorliegend nicht beantwortet werden. Bei der Recherche habe ich einen interessanten Online-Beitrag gelesen, der Ihnen bzw. Ihrem Klienten auch weiterhelfen könnte, wobei ich die inhaltliche Richtigkeit nicht überprüfen kann. Jedenfalls scheint mir sinnvoll, dass sich Ihr Klient anwaltlich beraten lässt. Vorab könnte er sich beim Zivilgericht Basel-Stadt kundig machen, so etwa zum anwendbaren Recht (siehe dazu oben). Das Gericht bietet Rechtsauskunft an.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Frage beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder