Meine Klientin, 18 Jahre alt, ist alleinerziehende Mutter (Kind ist im Juni 2021 geboren). Sie erhält den Grundbedarf für zwei Personen.
Seit mehreren Wochen ruft regelmässig die Mutter meiner Klientin (ebenfalls SH- Bezügerin in unserer Gemeinde), also Grossmutter des Kindes, an und berichtet, dass das Baby die ganze Zeit über bei ihr sei. Die Tochter hole schon für ein-zwei Tage ab, bringe es dann aber einfach wieder vorbei. Sie gebe ihr nichts vom GB, den sie für das Baby erhält, ab.
Für das Baby ist bereits eine Beistandschaft errichtet. Gemäss Aussage der Mutter der Klientin werde nun eine Pflegefamilie gesucht.
Die Mutter der Klientin bittet nun darum, dass die Gemeinde direkt ihr den Grundbedarf (oder zumindest einen Anteil davon) für das Baby überweist. Die Klientin selber streitet ab, dass ihre Mutter überhaupt für das Baby einkaufen müsse. Sie würde ihr Milchpulver etc. da lassen.
Meine Frage ist nun: Ist es korrekt, dass ich den Grundbedarf ohne handfeste Beweise, dass das Baby immer bei seiner Grossmutter ist, nicht einfach an diese überweisen darf?
Wie könnte man in dem Fall vorgehen? Kann man überhaupt etwas unternehmen?
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Jakob
Vielen Dank für Ihre Fragen. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Das Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG SR 851.1) vom 24. Juni 1977 (Stand 8. April 2017) hält in Art. 7 Abs. 1 fest, dass minderjährige Kinder unabhängig von ihrem Aufenthaltsort, den Unterstützungswohnsitz der Eltern teilen. Haben die Eltern keinen gemeinsamen zivilrechtlichen Wohnsitz, so hat das minderjährige Kind einen eigenständigen Unterstützungswohnsitz am Wohnsitz des Elternteils, bei dem es überwiegend wohnt (Abs. 2). Es hat zudem eigenen Unterstützungswohnsitz am Sitz der Kindesschutzbehörde, unter deren Vormundschaft es steht; am Ort nach Artikel 4 ZUG, wenn es erwerbstätig und in der Lage ist, für seinen Lebensunterhalt selber aufzukommen; am letzten Unterstützungswohnsitz nach den Absätzen 1 und 2, wenn es dauernd nicht bei den Eltern oder einem Elternteil wohnt; an seinem Aufenthaltsort in den übrigen Fällen. Voraussetzung für einen eigenen Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG ist, dass es sich um eine dauernde und nicht bloss vorübergehende Fremdplatzierung handelt. Eine dauernde Fremdplatzierung liegt nach Lehre und Rechtsprechung dann vor, wenn von den Kindesschutzbehörden eine Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts verfügt worden ist, wenn die Fremdplatzierung des Kindes auf unbestimmte Zeit erfolgt oder wenn diese ab der erstmaligen Platzierung länger als sechs Monate gedauert hat. Zudem ist der Zweck des Aufenthalts massgebend. Therapeutische und der Abklärung dienende Massnahmen sprechen gegen, Kindesschutzmassnahmen hingegen für eine dauernde Fremdplatzierung.
Vorliegend ist aufgrund der divergierenden Äusserungen der Mutter und der Grossmutter nicht restlos geklärt, wo das Baby seinen Unterstützungswohnsitz hat (entweder nach Art. 7 Abs. 2 ZUG bei der Mutter oder nach Art. 7 Abs. 3 an seinem Aufenthaltsort bei der Grossmutter). Da aber der Unterstützungswohnsitz am Aufenthaltsort nur subsidiär zur Anwendung gelangt, ist davon auszugehen, dass der Unterstützungswohnsitz bei der Mutter liegt (wie nachfolgend noch aufzuzeigen sein wird, spielt dies für das Ergebnis jedoch keine Rolle).
Es stellt sich nämlich die Frage, ob das Baby rechtlich überhaupt je dem Haushalt der Grossmutter zugerechnet werden kann und sie damit zumindest auf einen höheren Grundbedarf Anspruch hat.
In § 32 Abs. 3 der Sozialhilfeverordnung des Kantons Aargau (SPV, BG 851.211) steht, dass als Unterstützungseinheit Ehepaare sowie Familien im gleichen Haushalt gelten. Nicht zur Unterstützungseinheit würden dagegen insbesondere volljährige Kinder mit eigenem Unterstützungsbudget, Personen in einer Wohn- und Lebensgemeinschaft sowie Einzelpersonen im Haushalt einer Unterstützungseinheit gehören. Für die Bemessung der materiellen Hilfe sind nach § 10 SPV die SKOS-Richtlinien massgebend. Gemäss diesen (Kapitel C.2) ergibt sich die Höhe der materiellen Grundsicherung aus der Anzahl Personen einer Unterstützungseinheit, die zusammen in einem Haushalt lebt. Gemäss den Erläuterungen zu Kapitel C.2 umschreibt der Begriff der Unterstützungseinheit die mit einer um Unterstützung ersuchenden Person zusammenwohnenden Personen, für die sie unterhaltspflichtig ist, sei dies wegen elterlichem oder ehelichem Unterhaltsrecht oder wegen dem Unterhaltsrecht zwischen eingetragenen Partnern. Daraus kann geschlossen werden, dass mit dem in § 32 Abs. 3 genannten Begriff der Familie Personen gemeint sind, die unterhaltspflichtig gemäss Unterhaltsrecht sind. Die Mutter des Kindes ist nach Art. 276 ff des Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210) unterhaltspflichtig. Sie bildet demnach mit dem Kind eine Unterstützungseinheit, wenn das Kind bei ihr wohnt und hat Anspruch auf entsprechenden Grundbedarf. Aber auch wenn das Kind tatsächlich bei der Grossmutter wohnt oder sich mehrheitlich dort aufhält, hat diese keine Unterhaltspflicht nach ZGB und auch kein entsprechendes Recht und kann deshalb keine Unterstützungseinheit mit ihrem Enkelkind bilden bzw. keinen Anspruch auf Grundbedarf für 2 Personen geltend machen. Sogar wenn das Kind von der Kindesschutzbehörde fremdplatziert würde, bildet es meiner Ansicht nach mit der Grossmutter keinen Unterstützungswohnsitz und würde einen eigenen Anspruch und somit eine eigene Unterstützungseinheit bilden und als eine Person in einem 2-Personenhaushalt unterstützt werden (wie auch die Grossmutter). Die Kindesschutzbehörde würde allfällige Sozialhilfeleistungen (falls vorrangige Leistungen wie Kindesunterhalt nicht ausreichen) allerdings wohl an die Grossmutter ausbezahlen bzw. ausbezahlen lassen.
Fazit: Die Grossmutter hat keinen Anspruch auf die Erhöhung ihres Grundbedarfs, wenn ihr Grosskind sich mehrheitlich bei ihr aufhält. Ebenfalls ist es nicht möglich, einen Teil des Grundbedarfs der Tochters mit dem Baby an die Grossmutter zu überweisen.
Mögliches Vorgehen: Beharrt die Grossmutter bzw. Ihre Klientin darauf, dass ihr Grosskind mehrheitlich bei ihr wohnt und sie dafür finanziell mehr Mittel benötigt, müsste sie bei der Kindesschutzbehörde die Fremdplatzierung ihres Grosskindes bei sich beantragen. Damit sie sich gegen die NIchtauszahlung des Grundbedarfs ihres Enkelkindes an sie wehren kann, müsste die Sozialhilfe in diesem Fall zudem eine anfechtbare Verfügung erlassen. Selbstverständlich darf sie ihre Tochter auch jederzeit bitten, ihr einen Teil des Grundbedarfs für das Enkelkind freiwillig zu überweisen (wobei sich hier dann die Frage von anrechenbaren Dritteinnahmen stellen würde).
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach