Sehr geehrte Experten
Herr X erhielt Anfang März unter Einhaltung der 3 monatigen Kündigungsfrist die Kündigung per 30.06.2020. Am 24.03.2020 wurde er von seinem behandelnden Psychiater zu 100% AUF geschrieben.
Herr X erhielt daraufhin ein KTG. Im Mai teilte ihm die KTG aufgrund der Vertrauensärztlichen Untersuchung mit, dass er auf seinem bisherigen Arbeitsort zu 100% AUF ist, jedoch per sofort zu 100% arbeitsfähig in der bisherigen Tätigkeit an jedem anderen Arbeitsort.
Die Arbeitslosenkasse hat festgestellt, dass sich die Kündigungsfrist auf den 30.09.2020 verlängert und verlangt, dass er seine Arbeitskraft beim bisherigen Arbeitgeber wieder anbietet. Er habe darum kein Anspruch auf ein TG.
Herr X. hat darauf hin mit dem Arbeitgeber ein Gespräch geführt und ihm mitgeteilt, dass er, gestützt auf den Vertrauensätzlichenbericht nicht wieder an den Arbeitsplatz zurück kehren wird. Daraufhin hat ihm der Arbeitgeber fristlos gekündigt. Begründung: er sein nicht am Arbeitsplatz erschienen.
Fragen:
Ist die fristlose Kündigung rechtens? Was muss Herr X unternehmen in Bezug auf die fristlose Kündigung?
Herr X teilt die Meinung der KTG Versicherung und fühlt sich für jeden anderen Arbeitsort 100% AF. Nun ist die Kündigungsfrist aber bis am 30.09.2020 verlängert, hat Herr X trotzdem Anspruch auf ALV oder muss er sich beim Sozialamt melden?
Besten Dank für die Beantwortung meiner Fragen.
Freundliche Grüsse
Luzia Schwegler
Frage beantwortet am
Andreas Petrik
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Schwegler
Fristlose Kündigung: Art. 337 Abs. 3 OR lautet: "Über das Vorhandensein solcher Umstände entscheidet der Richter nach seinem Ermessen, darf aber in keinem Fall die unverschuldete Verhinderung des Arbeitnehmers an der Arbeitsleistung als wichtigen Grund anerkennen." Da gemäss der Einschätzung des Vertrauensarztes in Bezug auf die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit eine Arbeitsunfähigkeit besteht, erweist sich die fristlose Kündigung damit als nicht gerechtfertigt.
Eine fristlose Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis unabhängig davon, ob die Kündigung gerechtfertigt ist oder nicht. Insbesondere kann auch während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit fristlos gekündigt werden. Im Falle einer nicht gerechtfertigten fristlosten Kündigung hat der Arbeitnehmer Anspruch auf den Betrag, den er verdient hätte, wenn ihm orderntlich gekündigt worden wäre. Darüber hinaus muss die Arbeitgeberin eine Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen ausrichten. Die Forderungen müssten zunächst im Schlichtungsverfahren und danach vor Gericht geltend gemacht werden.
Verlängerung des Arbeitsverhältnisses wegen Arbeitsunfähigkeit: Wird ein Arbeitnehmer nach ausgesprochener Kündigung arbeitsunfähig, verlängert sich die Kündigungsfrist um die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, längstens aber um 30 (1. Dienstjahr), 90 (2. bis 5. DJ) oder 180 Tage (ab dem 6. DJ). Ob eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit auch zu einer Verlängerung der Kündigungsfrist führt, ist weiterhin nicht restlos geklärt. Mittlerweile hat sich aber weitgehend die Meinung durchgesetzt, wonach eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit keine Verlängerung bewirkt. Anders wäre die Rechtslage zu beurteilen, wenn Ihr Klient in einer ersten Phase unabhängig vom Arbeitsplatz arbeitsunfähig gewesen sein sollte und erst ab einem späteren Zeitpunkt eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat.
Arbeitslosentaggelder: Davon ausgehend, dass eine arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit nicht zu einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses führt, erscheint die Auffassung der Arbeitslosenkasse als nicht zutreffend. Ein Arbeitsaufall ist zwar dann nicht anrechenbar, wenn der arbeitlosen Person Lohn- oder Entschädigungsansprüche zustehen. Da sich aber das Arbeitverhältnis nicht verlängert hat, besteht kein Lohnanspruch.
Ob Entschädigungsansprüche infolge der ungerechtfertigen fristlosen Kündigung bestehen, hängt im Wesentlichen davon ab, wann diese ausgesprochen wurde. Ohne Verlängerung der Kündigungsfrist endete das Arbeitsverhältnis Ende Juni. Wenn die fristlose Kündigung erst danach augesprochen wurde, bestehen keine Entschädigungsansprüche, weil ein nicht mehr bestehendes Arbeitsverhältnis kann gar nicht gekündet werden. Erfolgte die fristlose Kündigung jedoch vor Ende Juni, besteht ein Anspruch auf eine Entschädigung. Da das Arbeitsverhältnis ohnehin Ende Juni geendet hätte, würde diese Entschädigung entsprechend gering ausfallen.
Bestehen begründete Zweifel darüber, ob Lohn- oder Entschädigungsansprüche bestehen, richtet die Arbeitlosenkasse die Taggelder aus (Art. 29 AVIG, https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19820159/index.html). Die Ansprüche gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber gehen auf die Arbeitslosenkasse über und werden auch von dieser durchgesetzt.
Davon ausgehend, dass die Arbeitsunfähigkeit von Beginn an arbeitsplatzbezogen war und die fristlose Kündigung erst nach Ende Juni erfolgt ist, hat Ihr Klient Anspruch auf Arbeitlosentaggelder. Auch wenn sich die Arbeitslosenkasse eine andere Meinung vertritt, bestehen über die Ansprüche zumindest Zweifel, so dass dennoch Taggelder ausgerichtet werden müssen. Falls die Arbeitslosenkasse noch keine Verfügung erlassen hat, sollte eine verlangt werden. Gegen die Verfügung müsste dann Einsprache erhoben werden.
Freundliche Grüsse
Andreas Petrik
Sehr geehrter Herr Petrik
Vielen Dank für diese sehr ausführliche und hilfreiche Antwort. Eine Frage betreffend der fristlsoen Kündigung habe ich noch:
Gibt es eine Frist zu beachten innerhalb welcher Herr X. die Entschädigungsansprüche bei der Schlichtungsstelle einreichen muss?
Besten Dank.
Freundliche Grüsse
Luzia Schwegler
Frage beantwortet am
Andreas Petrik
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Schwegler
Bei der Geltendmachung von Ansprüchen aufgrund einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung bestehen keine Verfahrensvorschriften. Zu beachten ist lediglich die Verjährungsfrist von zehn Jahren.
Es empfiehlt sich jedoch, dem Arbeitgeber mitzuteilen, dass die fristlose Kündigung aus Sicht der Arbeitnehmerin ungerechtfertigt ist und dass eine Entschädigung gefordert wird. Von Seiten der Arbeitslosenkasse wird ausserdem gefordert, dass die Arbeitnehmerin ihre Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend macht. Die Intervention durch die Arbeitnehmerin kann folglich auch Auswirkungen auf den Anspruch auf Arbeitslosentaggelder haben.
Freundliche Grüsse
Andreas Petrik