Guten Tag
Eine Sozialhilfebezhiende unserer Gemeinde, betreute eine demente Frau in einem Privathaushalt. Sie hat während der Arbeit mit der EC-Karte ihrer Klientin Fr. 3'000.- am Bankomaten bezogen und mit diesen Geld für ihr Auto Auslagen bezahlt, für welche sie von der Sozialhilfe mit einer Kilometerentschädigung entschädigt wird. Zudem habe sie laut ihren Angaben weitere Rechnungen bezahlt.
Ihr Arbeitgeber, der Ehemann der zu betreuenden Frau,hat sie nun fristlos entlassen.
Beim RAV wird sie voraussichtlich Sperrtage erhalten. Ob er sie anzeigen wird, ist noch nicht klar.
Wie sollen wir diese Einstelltage der Arbeitlosenkasse in der Sozialhilfe behandeln. Haben die aktuell keinen Einfluss auf ihre Unterstützung.
Besten Dank für eine Beratungsanwort.
Frage beantwortet am
Melanie Studer
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Ich werde mich Ihrer Frage gerne annehmen, muss Sie allerdings wegen meiner vergangenen Ferienabwesenheit und der entsprechenden Arbeitsbelastung, um etwas Geduld bitten.
Vielen Dank und beste Grüsse
Melanie Studer
Frage beantwortet am
Melanie Studer
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
So, nun noch die eigentliche Beantwortung Ihrer Frage; entschuldigen Sie die längere Wartezeit.
Aufgrund Ihrer Schilderung gehe ich davon aus, dass Sie die Klientin bereits mit Sozialhilfe unterstützen. Die Einstelltage werden dazu führen, dass der ungedeckte Bedarf Ihrer Klientin höher sein wird. Sie stellen nun die Frage, ob die Sozialhilfe diesen (höheren) Bedarf zu decken hat, oder ob aufgrund des erfolgten Fehlverhaltens im Arbeitsverhältnis eine Kürzung der Sozialhilfe erfolgen kann.
Anspruch auf Sozialhilfe hat jemand, wenn die eigenen Mittel und andere Hilfeleistungen nicht rechtzeitig erhältlich sind oder nicht ausreichen (§ 5 Abs. 1 SPG/AG); d.h. Ansprüche aus Sozialversicherungen gehen der Sozialhilfe grundsätzlich vor (vgl. § 4 Abs. 2 SPV/AG).
Kürzungen oder Einstellungen der Sozialhilfe setzen gem. SPG/AG voraus, dass eine Kürzung oder Einstellung angedroht wurde und sind gem. § 5a SPG/AG einerseits bei nicht nachgewiesener Bedürftigkeit oder wegen Verletzung der Subsidiarität möglich, also wenn aufgrund verletzter Mitwirkungs- oder Meldepflichten die Bedürftigkeit nicht nachgewiesen werden kann (§ 5 Abs. 1 lit. a SPG/AG) oder wenn sich jemand weigert eine zumutbare Arbeit anzunehmen oder einen Vermögenswert der über dem Freibetrag liegt zu verwerten (§ 5a Abs. 1 lit. b SPG/AG). Beides trifft vorliegend nicht zu.
Weiter ist eine Kürzung oder Einstellung bei einer Nichtbefolgung von Auflagen und Weisungen gem. §13b i.V.m. § 13 SPG/AG möglich. Diesbezüglich wäre abzuklären, ob eine klare Auflage oder Weisung bestanden hat, z.B. alles Zumutbare zum Erhalt der Arbeitsstelle und somit zur Verminderung der Bedürftigkeit zu tun. Da im SPG/AG keine dementsprechende gesetzliche Pflicht formuliert ist, hätte diese eben mittels Auflage eingefordert zu werden. Ebenfalls müsste sich aus der Auflage ergeben, welche Rechtsfolgen bei einer Verletzung drohen. Falls keine entsprechende, klare, Auflage formuliert wurde, fällt eine Kürzung m.E. vorliegend ausser Betracht.
Dass die Sozialhilfe gerade auch den durch Selbstverschulden und/oder Pflichtverletzungen in den vorgelagerten Sicherungssystemen verursachten Bedarf grundsätzlich zu decken hat, entspricht dem Finalprinzip, wonach die Ursache für eine Bedürftigkeit keine Rolle spielt sowie dem Tatsächlichkeits- und Gegenwärtigkeitsprinzip, wonach nur gegenwärtig verfügbare Eigenmittel bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt werden dürfen (vgl. Wizent Guido, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen 2022, N 399 & 408). Anders wäre es, wenn sich eine Klientin z.B. weigern würde, einen (klar bezifferbaren und durchsetzbaren) Anspruch auf Arbeitslosentaggelder geltend zu machen – dann wäre im Umfang der Taggelder, auf die sie verzichten würde, eine Teileinstellung wegen Verletzung der Subsidiarität möglich (vgl. dazu Wizent, a.a.O., Rz. 400 f., sowie die im Kanton Aargau nach wie vor massgebenden SKOS-RL 2005 in der 4. Aufl., Kap. A.8.3; vgl.§ 10 SPV/AG).
Abschliessend weise ich darauf hin, dass für den Fall, dass die Bedürftigkeit erst wegen der Einstelltage entsteht, im Kanton Aargau keine gesetzliche Grundlage für eine Kürzung der Leistungen von Beginn weg besteht. Im Kanton Bern und Thurgau wären entsprechende Grundlagen gegeben: Gem. Art. 36 Abs. 1 SHG/BE kann die Sozialhilfe bei selbstverschuldeter Bedürftigkeit gekürzt werden. Ein «Paradebeispiel» für eine Selbstverschuldete Bedürftigkeit im Sinne dieses Artikels ist die aufgrund von Einstelltagen in der Arbeitslosenversicherung entstandene Bedürftigkeit. Der Kanton Thurgau kennt mit §6a Abs. 1 SHV/TG eine explizite Grundlage, die die Kürzung der Sozialhilfe bei Einstelltagen in der ALV erlaubt: «Die Leistungen sind zu kürzen, wenn jemand durch eigenes Verschulden in der Anspruchsberechtigung für Taggelder gemäss Arbeitslosenversicherungsgesetz eingestellt worden ist. Diese Normen sind aber nicht ohne Kritik geblieben, da dadurch eben die Sozialhilferechtlichen Prinzipien der Finalität und Tatsächlichkeit durchbrochen werden (zur Kritik: Witzen Guido, Die Sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 222).
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Hinweisen weiterzuhelfen.
Beste Grüsse
Melanie Studer