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Freizügigkeitsguthaben bezogen, nun möchte die Sozialhilfe das Geld mit alten WSH Schulden verrechnen

Veröffentlicht:
30.04.2021
Kanton:
Uri
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Herr X 62j. hat sein Freizügigkeitsguthaben bezogen und damit Schulden im Heimatland, Betreibungen und Steuern bezahlt. Gem. Herr X. sei noch Fr. 55'000.- vorhanden. Das Geld wurde nun mit einer Arresturkunde durch den Sozialdienst gesperrt. Der Sozialdienst möchte die Gelder mit dem bisherigen Sozialhilfebezug verrechnen. Frau X. erhält seit Januar die AHV-Rente. Die EL wird voraussichtlich abgelehnt, aufgrund des Vermögensverzichts und der Einrechnung des hyp. Einkommens. Beim Ehepaar wurde die WSH eingestellt wegen Rechtsmissbrauch. Herr und Frau X. erhalten nur noch Nothilfe.

Frage: Ist es zulässig, dass der Sozialdienst das Restguthaben aus der Pensionskasse für die Rückerstattung der Sozialhilfe einsetzt? Wenn ja, wäre es da nicht verhältnismässiger, wenn das Ehepaar weiterhin WSH erhält einfach mit einer Sanktion? Wie sehen etwa die Chancen aus, wenn das Ehepaar einen Anwalt beizieht?

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Frau Egli

Gerne beantworte ich Ihre Anfrage und danke Ihnen für Ihre Geduld angesichts der arbeitsbedingt verzögerten Beantwortung Ihrer Frage.

Zulässigkeit der Rückerstattung von Freizügigkeitsguthaben

Wenn es sich um rechtmässig bezogene wirtschaftliche Hilfe handelt, ist es nach den SKOS-RL D.3.3 (nach Art. 28 SHG UR orientiert sich der Kanton Uri an den SKOS-RL) nicht zulässig, eine Rückerstattung zu verlangen. Freizügigkeitsguthaben sollen grundsätzlich erst im Rahmen des AHV-Vorbezugs oder Bezug einer ganzen IV-Rente ausgelöst werden und dienen dann der Deckung des aktuellen und künftigen Lebensunterhalts (vgl. SKOS-RL D.3.3 Abs. 3 und 5). D.h. im Regelfall gibt es keine Rückerstattung, aber die unterstützte Person wird mit dem Guthaben und der Alters- oder IV-Rente abgelöst (ggf. auch mit EL).

Anders verhält es sich, wenn die unterstützte Person bei der Auslösung des Freizügigkeitsguthabens eine Verletzung der Meldepflicht gemäss Art. 30 Abs. 2 SHG UR gegenüber der Sozialhilfe beging und parallel dazu weiterhin wirtschaftliche Hilfe bezog. Insofern besteht ab dem Zeitpunkt der Auslösung des Freizügigkeitsguthabens ein unrechtmässiger Bezug und berechtigt die Sozialhilfe zur Rückerstattung der wirtschaftlichen Hilfe für den Zeitraum ab Meldepflichtverletzung, da die unterstützte Person aufgrund von unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben wirtschaftliche Hilfe erwirkt hat (Art. 34 Abs. 1 SHG UR). Generell sollte der unterstützten Person ihre Pflicht zur Meldung gemäss Art. 30 SHG UR bekannt gewesen sein.

Für die genaue Rechtslage verweise ich auf meine Antwort vom 26.3.21 betreffend Vorbezug Pensionskasse bei Sozialhilfebezug.

Fazit: Nur unter dem Titel des unrechtmässigen Bezugs – und nur für diese Dauer - kann meiner Meinung nach eine Rückforderung gestützt auf die Auslösung eines Freizügigkeitsguthabens gestellt werden. Rechtmässig bezogene wirtschaftliche Hilfe darf nicht zurückgefordert werden.

Im Urner Sozialhilfegesetz ist der Erlass einer Rückerstattungsschuld bei unrechtmässigem Bezug nicht geregelt. Dennoch könnte ein solcher geltend gemacht werden, falls Ihre Klientschaft den unrechtmässigen Bezug nicht erkennen konnten, d.h. währenddessen gutgläubig war. Die grosse Härte der Rückerstattung wäre aber wohl dennoch zu verneinen, da das Ehepaar aktuell noch über eine hohe Summe des Freizügigkeitsguthabens verfügt.

Frage des verhältnismässigeren Vorgehens

Falls ein unrechtmässiger Bezug vorliegt, hat der Sozialdienst keinen Ermessensspielraum: Nach Art. 34 Abs. 1 SHG UR ist die betreffende Person zur Rückerstattung verpflichtet. Wie gesagt, der vorerwähnte Erlass ist gesetzlich nicht geregelt, zudem wären die Voraussetzungen dafür womöglich nicht erfüllt. Für die Geltendmachung des Erlasses braucht es keine Anfechtung der Rückerstattungsverfügung. 

Chancen anwaltlicher Beizug

Von der Ferne kann ich dies schlecht beurteilen, da durchaus rechtliche Grundlagen dafür bestehen, dass eine Rückerstattung geltend gemacht werden kann. Falls Sie aufgrund meiner Ausführungen Potential für eine Anfechtung sehen, könnte der Klient eine Anwältin oder ein Anwalt kontaktieren, dieser hätte dann die Möglichkeit der unentgeltlichen Prozessführung zu klären. Im Übrigen stellt sich vorliegend auch die Frage, ob die Verweigerung der wirtschaftlichen Hilfe wegen Rechtsmissbrauch zulässig und korrekt erfolgt ist.

Ich hoffe, Ihnen mit den Ausführungen Ihre Fragen beantwortet zu haben.

Freundliche Grüsse

Ruth Schnyder