Sehr geehrter Herr Pärli
Mein Klient wurde per saldo aller Ansprüche freigestellt. Er war dannzumal Teil-Arbeitsunfähig, die Sperrfrist wurde korrekt eingehalten. Mittlerweile ist der Klient wegen einer OP wieder 100% AUF. Er möchte wissen, ob dann die Freistellung per Saldo aller Ansprüche vorrangig ist (wie ihm das Geschäft sagt), oder ob er dann nicht doch Anspruch hätte auf die Auszahlung von Ferien (nach Ferienkürzung wg. krank) und angehäufter Überzeit? In der Zeit, wo er Teil-arbeitsunfähig war, habe er mit der Freistellung nicht sämtliche Mehrzeit "abgebaut". Nun sei er ja nicht freigestellt, sondern krank. Was gilt? Ist die ausgesprochene Freistellung per Saldo aller Ansprüche auch bei späterer Krankschreibung "gültig"?
Besten Dank für die Klärung.
Freundliche Grüsse
Katrin Schenker
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Schenker
Vielen Dank für Ihre Anfrage zu der arbeitsrechtlich spannenden Konstellation ihres Falles. Ich habe mich gleich an die Analyse und Lösung gemacht und kann folgende Antwort geben:
Vorab ist festzustellen, ob die Arbeitsunfähigkeit in die Kündigungsfrist fiel. Diesfalls würde sich auch während der Freistellung der Ablauf der Kündigungsfrist um die – ggf. noch nicht abgelaufene Sperrfrist – verlängern. Wenn indes die Kündigung erst nach Ablauf der Sperrfrist erfolgte, wird sich das Arbeitsverhältnis und damit auch der Lohnanspruch nicht verlängern.
Nun stellt sich die Frage, was genau zwischen ihrem Klienten und der Arbeitgeberin verabredet wurde. Sie erwähnen eine Freistellung mit der Klausal "per Saldo aller Ansprüche". In aller Regel liegt diesfalls keine Kündigung, sondern eine Aufhebungsvereinbarung vor, also ein "Vertrag über die Auflösung eines Vertrages". Ein solcher Aufhebungsvertrag ist arbeitsrechtlich grundsätzlich zulässig, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt sind. Zu diesen Bedingungen gehören:
- Es muss sich um einen wirklichen Vertrag handeln, das heisst, es darf keine einseitige Anordnung sein (andernfalls handelt es sich um eine Kündigung)
- Der Arbeitnehmer muss genügend Zeit haben, um ein Angebot des Arbeitgebers für einen Aufhebungsvertrag zu prüfen (also keine Entscheidung unter Druck)
- Es muss "ein Geben und Nehmen" vorhanden sein, ein Verzicht von gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüchen des Arbeitnehmers ist nur dann zulässig, wenn auch der Arbeitgeber auf ihm zustehende Anspruche verzichtet. Die Freistellung an sich ist noch kein Verzicht, denn nach Art. 324 OR muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Erfüllung des Vertrages durch Arbeit anbieten, ansonsten liegt Arbeitgeberverzug vor.
- Insgesamt soll der Arbeitnehmer durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht schlechter gestellt werden, als wenn ihm durch den Arbeitgeber gekündigt worden wäre.
Nun weiss ich nicht, was die Parteien im Zusammenhang mit der Saldo-Klausel alles vereinbart hatten. Denkbar wäre, dass sie auch den Fall der möglichen erneuten Arbeitsunfähigkeit antizipiert haben. Offensichtlich ist dies nicht der Fall, so müsste gefragt werden, wie die Parteien diese Frage geregelt hätten, wenn sie die Möglichkeit der erneuten Krankschreibung mitberücksichtigt hätten.
Zur Beurteilung der Frage ohne ausdrückliche Einigung ist zu fragen, wie lange die Freistellung, der der Ferienanspruch und die Arbeitsunfähigkeit dauert. Hätte ihr Klient noch einen grossen Ferienanspruch (Zur Erinnerung: Ferienzweck ist die Erholung) und würde dieser nun mit der Krankheit vereitelt (Krankheitsurlaub dient nicht der Erholung, sondern der Genesung), so spricht dies für einen Ferienanspruch des Arbeitnehmers. Dies hätte zur Folge, dass die Aufhebungsvereinbarung – sofern es eine war – um diesen Punkt ergänzt werden müsste.
Aufschlussreich ist ein Blick auf die Rechtsprechung. Das Bundesgericht muss ich Entscheid 4A_319/2019 vom 17. März 2020 sich mit Fragen des Ferienanspruches während der Kündigungsfrist auseinanderzusetzen. Im fraglichen Fall ging es um folgendes: Ein Arbeitnehmer war ab dem 1. August 2009 bei einen Arbeitgeber angestellt. Am 23. Mai 2016 wurde dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber mit Wirkung per 31. Juli 2016 gekündigt. Zugleich wurde der Arbeitnehmer freigestellt und aufgefordert seine Ferien währen der Restvertragsdauer zu beziehen. In der Folge erkrankte der Arbeitnehmer und war vom 1. Juni 2016 bis am 31. August 2016 arbeitsunfähig. Aufgrund der Arbeitsunfähigkeit verlängert sich das Arbeitsverhältnis aufgrund von Art. 336c Abs. 2 OR bis am 31. Oktober 2016 (siehe dazu meine obigen Ausführungen). Der Arbeitgeber machte nun geltend, dass der Arbeitnehmer während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit seine Ferien hätte nehmen können und sollen. Das stellte hierzu klar, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, insbesondere Zeiten der Krankheit, keine Ferien sind. Ausnahmen liegen nur dann vor, wenn eine Person zwar arbeitsunfähig, aber dennoch ferienfähig ist (dies ist abhängig von einer medizinischen Einschätzung).
Zur Frage des Ferienbezuges während der Freistellung hier das Bundesgericht fest: Gemäss Art. 329c Abs. 2 OR ist der Arbeitgeber grundsätzlich berechtigt, das Datum der Ferien. Kündigt der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag und entbindet den Arbeitnehmer gleichzeitig von seiner Arbeitspflicht (Freistellung), kann er verlangen, dass die dem Arbeitnehmer noch zustehende Ferien während der Freistellungszeit genommen werden; allerdings muss der Arbeitgeber gemäss Art. 329 Abs. 3 OR die Zeit berücksichtigen, die der Arbeitnehmer benötigt, um eine andere Arbeitsstelle zu finden. Es ist daher notwendig, dass das Verhältnis zwischen der Dauer der Freistellung und der Dauer der verbleibenden Ferien, die kürzer als die Dauer des Freistellung ist, ausreichend hoch ist; andernfalls müssen die Ferien ausbezahlt werden und gelten nicht als bezogen. Die verbleibenden Ferien gelten in der Regel als bezogen, wenn ihre Dauer etwa ein Viertel oder ein Drittel der Dauer der Freistellung nicht überschreitet; gegebenenfalls muss ein Teil davon als bezogen gelten und der Rest ausbezahlt werden. Die Restferien gelten zudem als vollständig bezogen (während der Kündigungsfrist), wenn der Arbeitnehmer aufgrund besonderer Umstände keine andere Beschäftigung suchen muss.
Zurück zu Ihrem Fall: Für eine nähere Beurteilung müsste ich die konkreten Vereinbarungen der Parteien im Zusammenhang mit der Saldo-Klausel kennen. So könnte ich beurteilen, ob überhaupt eine Aufhebungsvereinbarung oder nicht einfach eine Kündigung mit durch die Arbeitgeberin angeordneter Freistellung stattfindet. In letzterem Fall scheint auch mit Blick auf das erwähnte BGer-Urteil klar, dass Ihr Klient Anspruch auf die Ferienguthaben hat, soweit ihm wegen seiner Krankheit der Bezug der Ferien gar nicht möglich ist. Voraussetzung ist natürlich, dass Ihr Klient bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit überhaupt noch Anspruch auf Lohnfortzahlungsleistungen (OR 324a Abs. 1-2, Skalen) bzw. Krankenttaggeldleistungen (OR 324a Abs. 4) hat.
Ich hoffe, dass Ihnen diese Angaben vorerst weiterhelfen. Sollten Sie mehr wissen wollen, müssten Sie die Umstände der Saldo-Klausel noch näher in Erfahrung bringen.
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli