Seit November 2014 erhält eine Klientin, Mutter von zwei Kindern im Alter von 2 und 16 Jahren, Sozialhilfeleistungen.
Die Kindsmutter hat sich vom Kindsvater getrennt. Es besteht keine Unterhaltsvereinbarung und er leitet die Kinderzulagen nicht an die Kindsmutter weiter.
Um die zweckmässige Verwendung der Kinderzulagen sicherzustellen, wurde zwischen der Klientin und dem Sozialhilfezentrum (SMZ) vereinbart, die Kinderzulagen direkt auf die Klientin anzumelden und diese gemäss Subsidiaritätsprinzip an das SMZ abzutreten. Die Klientin unterschrieb hierzu die erforderliche Abtretungserklärung sowie eine entsprechende Vollmacht.
Im Anschluss wurde bei der zuständigen Familienausgleichskasse ein Antrag auf Drittauszahlung der Zulagen gestellt. Die Familienausgleichkasse hat uns mit einem Schreiben darüber informiert, dass gemäss Bundesgesetz über die Familienzulageneine Auszahlung an Dritte nur in Ausnahmefälle insbesondere dann wenn die Zulagen nicht zum Wohle des Kindes verwendet werden, erlaubt ist. Die Familienkasse fordert nun ein schriftliches Gesuch in dem wir nachweisen müssen, dass in den letzten 6 bis 12 Monaten die Zulagen nicht oder nicht rechtzeitig an die Klientin überwiesen wurden. Als zusätzliche Unterlagen werden die Kontoauszüge von der Klientin ein verlangt.
Dieses Vorgehen ist für uns neu.
Fragen zur Abtretung von Kinderzulagen im Kontext des Kindeswohls
Im Rahmen eines konkreten Falls stellen sich für uns folgende Fragen zur Abtretung von Kinderzulagen:
1. Bundesgesetzliche Grundlage: Könnte uns bitte der entsprechende Artikel im Bundesgesetz genannt werden, der das Kindeswohl und mögliche Abtretungen regelt?
2. Definition Kindeswohl: Wie wird der Begriff „zum Wohl des Kindes“ im geltenden Recht konkret ausgelegt? Welche Kriterien sind entscheidend, insbesondere im Hinblick auf Verfahren bei KESB, Beistandschaften oder Sozialdiensten?
3. Voraussetzungen und Verfahren der Abtretung:
- Wann ist eine Abtretung rechtlich zulässig – insbesondere durch KESB, Beistände oder den Sozialdienst?
- Reicht eine Abtretungserklärung des Sozialdienstes aus oder ist eine schriftliche Begründung gegenüber der Familienausgleichskasse erforderlich?
4. Belegpflicht und Nachweise gegenüber der Familienausgleichskasse: Müssen zusätzliche Dokumente oder Nachweise erbracht werden, damit eine Abtretung anerkannt und umgesetzt wird (Kontoauszüge der Familie etc.)
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag! Sehr gerne beantworte ich Eure Anfrage. Die konkreten Fragen werden untenstehend integriert beantwortet:
Zum Grundsätzlichen: Für die Frage der Drittauszahlungen von laufenden Leistungen wie Kinderzulagen sieht Art. 20 ATSG grundsätzlich vor, dass diese davon abhängig ist, dass die Leistungen zweckentfremdet werden (also namentlich Kinderzulagen nicht für den Zweck der Kinder verwendet werden, UND dass deswegen eine Person auf Sozialhilfe angewiesen ist.
Etwas davon abweichend regelt Art. 9 FamZG spezieller Folgendes:
1 Werden die Familienzulagen nicht für die Bedürfnisse einer Person verwendet, für die sie bestimmt sind, so kann diese Person oder ihr gesetzlicher Vertreter verlangen, dass ihr die Familienzulagen in Abweichung von Artikel 20 Absatz 1 ATSG20 auch ohne Fürsorgeabhängigkeit ausgerichtet werden.
2 Auf begründetes Gesuch hin kann die Ausbildungszulage in Abweichung von Artikel 20 Absatz 1 ATSG direkt dem mündigen Kind ausgerichtet werden.
Die Norm bedeutet, dass im Bereich der Kinderzulagen eine Drittauszahlung (also eine Zahlung nicht an den zulagenberechtigten Arbeitnehmer) auch dann möglich ist, wenn einzig nachgewiesen ist, dass die Kinderzulagen nicht zweckgemäss, also nicht für das Kind verwendet werden, ohne dass deswegen eine Sozialhilfeabhängigkeit des betroffenen Kindes nachgewiesen sein muss.
Bzgl. des Nachweises der zweckwidrigen Verwendung, bzw. der Voraussetzungen für eine Weiterleitung an den Elternteil, der die Obhut des Kindes ausrichtet, oder ev. an eine Beistandsperson an deren Stelle, ist die Praxis der Familienausgleichskassen unterschiedlich streng.
Als generelle Vorgabe besagt die Wegleitung über die Familienzulagen (https://sozialversicherungen.admin.ch/de/d/6348), Stand 1.1.2025 in Rz. 245 ff. Folgendes:
Die Person, welche die Drittauszahlung wünscht, muss ein Gesuch an die FAK stellen, welche die Familienzulagen ausrichtet. Im Gesuch muss der Grund der Drittauszahlung vermerkt sein. Die Drittauszahlung erfolgt i.d.R. durch die FAK und nicht durch den Arbeitgeber.
Das Vorliegen des Grundes für eine Drittauszahlung muss glaubhaft gemacht werden durch:
- eine Bestätigung der für die Inkassohilfe zuständigen Fachstelle, wonach die Unterhaltsbeiträge für das Kind nicht vollständig, nicht rechtzeitig, nicht regelmässig oder überhaupt nicht bezahlt werden, oder
- Kontoauszüge, aus denen hervorgeht, dass die Zahlungen nicht vollständig, nicht rechtzeitig, nicht regelmässig oder überhaupt nicht eingehen.
Die gemäss Inkasshilfeverordung für die Inkassohilfe zuständige Fachstelle bietet Unterstützung bei der Vorbereitung des Gesuchs um Drittauszahlung (Art. 12 Abs. 1 Bst. d InkHV). Ausserdem kann die Fachstelle Inkassohilfe für vor Einreichung des Gesuchs verfallene Familienzulagen leisten (Art. 3 Abs. 3 InkHV).
Wird die nicht korrekte Weiterleitung der Familienzulagen glaubhaft gemacht, so ist die Drittauszahlung zu bewilligen, sofern die anspruchsberechtigte Person nicht nachweist, dass sie die Zahlungen korrekt vorgenommen hat.
Der anspruchsberechtigten Person ist das rechtliche Gehör zu gewährleisten. Dabei genügt es, den Anspruchsberechtigten auf sein Anhörungsrecht hinzuweisen, eine effektive Stellungnahme ist hingegen nicht zwingend. Während der Dauer des Verfahrens ist die Auszahlung in der Regel zu sistieren.
Wichtig ist noch Folgendes, was ev. im hier relevanten Fall vorliegt:
Falls das Kind beim sorgeberechtigten Elternteil lebt und dieser nachweisen kann, dass die anspruchsberechtigte Person die Familienzulagen nicht gemäss dem Gerichtsentscheid oder einem Unterhaltsentscheid (vgl. Art. 8 FamZG) korrekt an ihn weiterleitet, ist die Drittauszahlung ohne weitere Abklärungen zu bewilligen. Die FAK braucht nicht im Voraus zu prüfen, ob der sorgeberechtigte, um die Drittauszahlung ersuchende Elternteil die Zulagen auch tatsächlich für die Bedürfnisse des Kindes verwendet. Diese Aufgabe ist der Kindesschutzbehörde vorbehalten (siehe BGer 8C_464/2017 vom 20. Dezember 2017, E. 5.3).
Fazit zu den Fragen bzgl. Drittauszahlung an den Elternteil, bei dem das Kind wohnt:
In Eurem Fall ist also vor allem entscheidend zu belegen, dass die Kinderzulagen an die obhutsberechtigte Person auszuzahlen sind gemäss den oben genannten Normen. Dazu ist glaubhaft zu machen, dass der Anspruchsberechtigte entgegen seiner Unterhaltsverpflichtung (Beweismittel etwa Scheidungsurteil, genehmigte Unterhaltsvereinbarung etc.) die Mittel nicht an den Elternteil weitergeleitet hat, bei dem das Kind wohnt. Dazu hat die FAK korrekterweise die entsprechenden Belege (Bankauszüge etc.) verlangt. Ev. lässt sie es auch begnügen mit einer Bestätigung einer Beistandsperson oder von Euch als SD (das liegt aber wohl im Ermessen der FAK), analog zum Fall, der in der Wegleitung genannt ist (Bestätigung der Inkassohilfestelle).
Falls ihr eine direkte Auszahlung an Euch wegen der Bevorschussung durch die obhutsberechtigte Person möchtet, kommt eine Sache dazu: Eine solche Auszahlung ist nur im Rahmen von Art. 20 ATSG möglich. Ihr müsstet also belegen, dass auch die Mutter, welche die Drittauszahlung zu Gute hat, die Leistungen nicht kindgerecht verwendet oder verwenden kann, und dass deswegen eine Auszahlung an Euch notwendig ist zum Schutz der Bedürftnisse der Kinder.
Ohne die entsprechenden Belege, dass die Kindesmutter die Mittel nicht für den Zweck des Kindes verwendet, ist eine Abtretung direkt an Euch nichtig (vgl. Art. 22 ATSG).
Pro Memoria: Anders ist die Sache, falls eine Beistandschaft bestehen würde, und die Beiständin das Einkommen bzw. Vermögen des Elternteils zu verwalten hätte.
Anders wäre es auch, wenn es um Nachzahlungen für Sozialhilfebevorschussungen geht (vgl. Art. 22 ATSG). Nur dies liegt bei laufenden Kinderzulagen nicht vor.
Ich hoffe, das dient Euch.
Prof. Peter Mösch Payot