Zum Inhalt oder zum Footer

Finanzierung soz. päd. Familienbegleitung bei IV Rente, EL und HE

Veröffentlicht:
20.03.2022
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Damen und Herren

Im führe im Kanton Aargau eine Massnahme im Kindesschutz nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB. Im Entscheid des Familiengerichtes wurde eine soz.päd. Familienbegleitung angeordnet. Mit meiner Mithilfe hat die Mutter einen Antrag auf Sozialhilfe bei der Gemeinde gestellt zur Finanzierung dieser Massnahme. Die Kosten belaufen sich auf etwa 1000-2000.- CHF monatlich. 

Die Familie lebt von einer IV Rente der Mutter, eine IV Rente der Tochter, von EL und HE. Zudem bezahlt der Vater des Kindes Unterhalt. Monatlich hat die Familie Einnahmen von 4432.- CHF. Die Mutter lebt mit ihrem aktuellen Partner und deren gemeinsamer Sohn und der Tochter, von der ich Beiständin bin, zusammen im Aargau. Es läuft ein Scheidungsverfahren vom ersten Ehemann von dem die Tochter stammt. 

Der Antrag auf Sozialhilfe wurde von der Gemeinde abgelehnt mit der Begründung, dass ein Überschuss bestehen würde. Bei einer Berechnung von 2 Personen in einem 3 Personenhaushalt besteht ein Überschuss von 2342.70 und bei 3 Personen in einem 4 Personenhaushalt einer von 1762.-. Die effektive Miete ist höher als die Mietzinsrichtline der Gemeinde. Die Gemeinde führt in ihrem Entscheid auch an, dass die Mutter mit dem neuen Lebenspartner in einer Wohn- und Lebensgemeinschaft lebe. Es sei davon auszugehen, dass er die Familie anteilsmässig finanziell unterstütze. Es bestünde somit die Möglichkeit, die Kosten der SPF grossmehrheitlich durch die Einnahmen der Mutter zu decken. Subsidär hat die Gemeinde die Kosten übernommen. 


Für mich stellen sich folgende Fragen:

1) Darf die Gemeinde die HE der Mutter als Einkommen dazu rechnen?

2) Müsste nicht mit dem erweiterten Budget nach SKOS gerechnet werden, wenn es um die Finanzierung von Kindesschutzmassnahmen geht? 

3) Die Gemeinde schreibt im Beschluss weiters, dass für den Fall, dass für die Rückerstattungsmodalitäten keine Einigung mit den Eltern erzielt werden könne, der Sozialdienst eine Zivilklage beim Familiengericht zwecks Unterstützungsbedarfes der Eltern einreichen werde. Ist das zulässig? 

Ich habe gegen den Entscheid Einsprache erhoben. Die Gemeinde hat mir bis zum 23.03. die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs gewährt. Daher wäre ich, wenn möglich, um eine rasche Rückmeldung sehr froh. 

Besten Dank für Ihre Unterstützung. 

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Trotz einem Blick in die Verfügung, kann ich Ihnen keine detaillierte Auskunft erteilen, zu viele Angaben zum Sachverhalt fehlen.

Ich gehe davon aus, dass die Mutter den Antrag auf Sozialhilfe gestellt hat und sie nicht durch Sie vertreten wird. Wenn keine solche Vollmacht vorliegt, lassen Sie das die Einspracheinstanz wissen. Ich rate Ihnen davon ab, sich ausserhalb des Kindesschutzmandates zu Vertretungen bevollmächtigen zu lassen. Wenn Sie der Mutter beim Antrag auf Sozialhilfe mithelfen, ist das noch keine Vertretung.

Die Sozialhilfebehörde hat eine subsidiäre Kostengutsprache zu leisten, da die ambulante Kindesschutzmassnahme von der KESB angeordnet wurde. Es benötigt nichteinmal eine Kostengutsprache, da der Entscheid der KESB für die Sozialhilfebehörde verbindlich ist (BGE BGE 135 V 134). Das Ausstellen einer subsidiären Kostengutsprache schadet aber nichts (vgl. Handbuch Soziales das Kantons Aargau Kapitel 15.2 Behördlich angeordnete Kindesschutzmassnahmen, abrufbar auf https://www.ag.ch/de/dgs/gesellschaft/soziales/handbuch_soziales/handbuch_soziales_1.jsp).

Die Eltern des Kindes haben für die Kosten der Kindesschutzmassnahme nach Art. 276 ZGB aufzukommen. Die Sozialhilfebehörde hat die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern zu prüfen. Der Vater bezahlt für die Tochter Unterhalt und ich gehe davon aus, dass ein Unterhaltstitel besteht. Zusätzlich leitet er die Familienzulage weiter. Die Mutter bezieht eine IV-Rente, eine Hilflosenentschädigung, eine Kinderzusatzrente zur IV und Ergänzungsleistungen. Ich gehe davon aus, dass der Lebenspartner nicht bedürftig ist. Da Mutter, Tochter, neugeborenes Geschwister und Lebenspartner zusammenleben, ist eine Berechnung auf der Basis drei Personen in einem Vierpersonenhaushalt korrekt; Mutter und Kinder bilden eine Unterstützungseinheit.

Die Berechnung der Sozialhilfe kann ich nicht nachvollziehen, wie sich die materielle Grundsicherung zusammensetzt, fehlt im Entscheid gänzlich. Die für den Unterhalt der Tochter bestimmten Leistungen (Alimente, Familienzulage, Kinderzusatzrente zur IV und Anteil Ergänzungsleistung) sind separat auszuweisen, d.h. in einem ersten Schritt ist ein Budget für die Tochter zu erstellen. Ggf. reichen die Einnahmen für den Anteil der materiellen Grundsicherung der Tochter und für Finanzierung der Kindesschutzmassnahme aus; in diesem Fall würde die Tochter aus der Berechnung fallen. Besteht ein Überschuss, können die für den Unterhalt der Tochter bestimmten Leistungen nicht zur Finanzierung für den Lebensunterhalt der Mutter und des Geschwister beigezogen werden.

Unklar ist des weiteren, von welchem Mietzins ausgegangen wird. Wenn die Wohnung über der Mietzinslimite der Gemeinde liegt, ist bei einem erstmaligem Bezug von materieller Hilfe der vorhandene Mietzins zu übernehmen. Erst nach einem Auflagen- und Weisungsverfahren kann ggf. der überhöhte Mietzins angepasst werden (vgl. Handbuch Soziales Kapitel 7.2.3 Überhöhte Wohnungskosten)

Die Berechnung eines Konkubinatsbeitrages ist zulässig, da die Mutter mit dem Lebenspartner ein gemeinsames Kind hat und somit in einer stabilen, eheähnliche Beziehung lebt (§ 12 Abs. 2 lit. b der Sozialhilfe- und Präventionsverordnung des Kantons Aargau, SPV). Was nicht geht ist, einfach anzunehmen, dass der Lebenspartner etwas zum Unterhalt beitragen wird. Die Sozialhilfebehörde hat den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären (Untersuchungsmaxime). Sie hat aber den Lebenspartner und die Mutter aufzufordern, Unterlagen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen einzureichen, damit der Konkubinatsbeitrag berechnet werden kann (Mitwirkungspflichten). Es kann angedroht werden, dass im Säumnisfall aufgrund der Akten entschieden wird (siehe Handbuch Soziales Kapitel 10.9 Konkubinatsbeitrag).

Der Lebenspartner ist gegenüber seinem Kind unterhaltspflichtig, für den Abschluss eines Unterhaltsvertrages muss aber zuerst die Vaterschaft des (Noch)Ehemanns (Ehelichkeitsvermutung Art. 252 ZGB ) beseitigt werden. Nichts spricht dagegen, dass er bereits jetzt schon seinen Unterhaltspflichten nachkommt.

Die Hilflosentschädigung der Mutter dient ihr dazu, sich Hilfe für die Einschränkungen in den alltäglichen Lebensverrichtungen zu holen. Werden ihr diese Leistungen im Budget als SIL anerkannt, so ist die HE als Einnahme anzurechnen. Sie kann aber auch dazu angehalten werden, diese Kosten aus der Hilflosenentschädigung zu tragen, dann ist die HE aber im Unterstützungsbudget nicht als Einkommen anzurechnen.

Ich empfehle der Mutter, die Verletzung des rechtlichen Gehörs zu monieren, der Entscheid ist nicht nachvollziehbar, die genaue Berechnung (Einnahmen und materielle Grundsicherung also Budgetberechnung; Ausscheidung Kindesunterhalt Tochter fehlen, angerechneter Mietzins). Diese Berechnung muss vorliegen, damit der Entscheid nachvollzogen werden kann. Ein Konkubinatsbeitrag darf ohne Sachverhaltsabklärung nicht angenommen werden, hier ist die Verletzung der Untersuchungsmaxime zu monieren.

Die Behörde kann mit den Eltern sogenannte Elternbeiträge vereinbaren. Ob hier auf die SKOS RL abgestellt wird oder auf die Berechnung nach dem ZGB kann ich nicht abschliessend beurteilen, das Aargauer Handbuch scheint in Kapitel 10.6 Elterliche Unterhaltspflichten auf das ZGB abzustellen. Hinweis: Das Bundesgericht hat in BGer 5A_75/2020 vom 12. Januar 2022, zur Publikation vorgesehen seine Rechtsprechung geändert. Nur die tatsächlich bevorschussten einzelnen Unterhaltsbeiträge gehen auf das Gemeinwesen über, nicht aber das Stammrecht und/oder zukünftige periodische Einzelforderungen. Es kann den Unterhaltsschuldner nur auf Bezahlung dieser einzelnen Unterhaltsbeiträge einklagen. Bleiben das Kind oder sein gesetzlicher Vertreter untätig und reichen keine Unterhaltsklage oder Abänderungsklage ein, kann das Gemeinwesen dem Kind einen Beistand im Sinn von Art. 308 Abs. 2 ZGB ernennen, welcher dessen Rechte einklagt mit der Folge, dass das Stammrecht als solches zum Streitgegenstand wird (E.6.5. f.). Die Sozialhilfebehörde kann also keine Unterhaltsklage mehr einreichen, es muss eine Beistandschaft errichtet werden. Der Passus über die Elternbeiträge (Rückerstattungsmodalitäten) gehört nicht in ein Dispositiv, da er nicht vollstreckt werden kann. Können sich die Sozialhilfebehörde und die Eltern nicht einvernehmlich einigen, ist das Zivilgericht zuständig.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 21.3.2022

Karin Anderer

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Nachtrag: Die SPF könnte allenfalls über das Betreuungsgesetz (SAR 428.500 - Gesetz über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen (Betreuungsgesetz, BeG) finanziert werden; siehe zu den Voraussetzungen und der Finanzierung die Website des Departements Bildung, Kultur und Sport des Kantons Aargau, Abteilung Sonderschulung, Heime und Werkstätten, Sektion Ressourcen, Kapitel Aufsuchende Familienarbeit (AFAB) https://www.ag.ch/de/verwaltung/bks/sonderschulen_behindertenbetreuung/kinder_und_jugendliche/ambulante_angebote/ambulante_angebote.jsp?sectionId=2105409&accordId=1

In diesem Falle würde die SPF subventioniert und die Mutter müsste einen Elternbeitrag bezahlen.