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Finanzierung betreutes Wohnen

Veröffentlicht:
12.07.2023
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Damen und Herren

Wir haben eine Frage zu einem Fall zur Finanzierung eines betreuten Wohnens.

Es geht um eine 18 jährige Person, die im Februar 2022 in ein betreutes Wohnen eingetreten ist. Damals hat sie in einer benachbarten Gemeinde gewohnt und ihr Vater hat dort beim Gemeinderat ein Gesuch um Kostengutsprache des betreuten Wohnens im Rahmen einer Kindesschutzmassnahme eingereicht aufgrund einer schweren depressiven Episode, Tourette-Syndrom und Selbstschädigung. Diese wurde der damals 17 jährigen Person vom dortigen Gemeinderat bis zum 31. Juli 2023 erteilt. Die betreffende Person ist nach wie vor im betreuten Wohnen, die Familie ist am 23. Juni 2023 nach Würenlos gezogen. Nun wurde dem Gemeinderat Würenlos von der jugendlichen Person zusammen mit den Eltern ein Antrag gestellt, fortan das betreute Wohnen der 18 jährigen Person zu übernehmen und das Dossier wurde uns überreicht. Uns ist nicht klar, ob die Zuständigkeit in diesem Fall wirklich zu unserer Gemeinde wechselt, oder ob nicht der Gemeinderat der Nachbarsgemeinde zuständig bleibt. In der Sozialhilfe bliebe ja der Unterstützungswohnsitz bestehen, aber wir sind uns unsicher, wie das bei Kindesschutzmassnahmen aussieht und wo das festgehalten ist. Können Sie uns in dieser Frage weiterhelfen?

Besten Dank im Voraus für Ihre Auskunft.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Ich habe Rückfragen.

Hat das BEWO eine Betriebsbewilligung oder einer Anerkennung des Departements Bildung, Kultur und Sport (Gesetz über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen (Betreuungsgesetz, BeG), SAR 428.500)? Und wenn ja ist es eine Einrichtung nach § 2 abis BeG oder § 2 c BeG?

Befindet sich die inzwischen junge Person in einer Ausbildung oder besucht sie eine Schule?

Freundliche Grüsse

Karin Anderer

Sehr geehrte Frau Anderer

Die Institution ist auf der Liste der interkantonalen Vereinbarung für soziale Einrichtungen A / B, es ist eine stationäre Einrichtung, also nach § 2 c. Die Person besucht extern eine Schule.

Wir hoffen, das hilft so weiter.

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Besten Dank, das hilft weiter. Eine Zusatzfrage habe ich noch betreffend des zivilrechtlichen Wohnsitzes (nicht Unterstützungswohnsitz und nicht registerechtlicher Eintrag): Wann wurde der junge Herr volljährig, vor oder nach dem Zuzug in ihre Gemeinde?

Freundliche Grüsse

Karin Anderer

Die betreffende Person wurde vor dem Umzug (der Familie) in unsere Gemeinde volljährig.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Besten Dank für die Anfrage und die zusätzlichen Informationen.

Sachverhalt

Die minderjährige Person trat im Februar 2022 in eine Einrichtung mit Betreutem Wohnen (BEWO) ein und es bestand eine Kindesschutzmassnahme (unklar, welche Massnahme).

Gemäss den zusätzlichen Angaben ist die Einrichtung von der IVSE im Bereich A und B anerkannt und es handelt sich um eine Einrichtung nach § 2 Abs. 1 lit. c des Gesetzes über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen des Kanton Aargau (Betreuungsgesetz, BeG) vom 02.05.2006, SAR 428.500, die die Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene beherbergt.

Ich gehe davon aus, dass die Einrichtung über eine BeG-Anerkennung verfügt.

§ 3 Abs. 1 der Verordnung über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen des Kantons Aargau (Betreuungsverordnung, BeV) vom 8.11.2006, SAR 428.511 definiert den Begriff «Stationäre Kinder- und Jugendeinrichtungen»: Als stationäre Einrichtungen, die Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene beherbergen, gelten alle Wohnangebote, die vier oder mehr Personen Unterkunft, Verpflegung und Betreuung anbieten, wenn diese aufgrund gravierender familiärer oder sozialer Problemsituationen oder aufgrund einer Behinderung einer stationären sozialpädagogischen Betreuung bedürfen. Zusätzlich können Pflege und berufliche Grundbildung angeboten werden. Und Abs. 3 der Bestimmung definiert den Begriff «Junge Erwachsene»: Als junge Erwachsene gelten volljährige Personen bis zum vollendeten 20. Altersjahr, sofern sie vor Erreichen der Volljährigkeit in eine Einrichtung eingetreten sind. Bei jugendstrafrechtlichen Massnahmen liegt die Altersgrenze unabhängig vom Eintrittsalter beim vollendeten 25. Altersjahr.

Die betroffene Person ist vor Erreichen der Volljährigkeit in das BEWO eingetreten.

Ich gehe davon aus, dass die minderjährige Person unter der gemeinsamen elterlichen Sorge stand und im Zeitpunkt des Heimeintritts mit ihren Eltern zusammen im Nachbardorf N. wohnte. Der Gemeinderat N. erteilte bis am 31. Juli 2023 eine Kostengutsprache für das BEWO. Die Person wurde volljährig. Die Eltern zogen später, am 23. Juni 2023 in die Gemeinde W., die inzwischen erwachsene Person verblieb im BEWO. Nun wurde dem Gemeinderat W., von der inzwischen volljährigen Person und ihren Eltern, ein Antrag auf Finanzierung des BEWO gestellt und das Dossier überreicht.

Kindesschutzmassnahmen

Kindesschutzmassnahmen enden von Gesetztes wegen mit Erreichen der Volljährigkeit, auch dann, wenn die KESB die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrecht nach Art. 310 ZGB angeordnet hätte. Es besteht somit keine Kindesschutzmassnahme mehr. Wenn die KESB inzwischen keine fürsorgerische Unterbringung angeordnet hat, dann befindet sich die erwachsene Person fortan freiwillig im BEWO.

Da mit Erreichen der Volljährigkeit die elterliche Sorge von Gesetzes wegen endet, sind die Eltern auch nicht mehr gesetzliche Vertreter ihres inzwischen volljährigen Kindes; einen Finanzierungsantrag können sie nur mit (mündlicher oder schriftlicher Vollmacht) ihres volljährigen Kindes stellen.

Zivilrechtlicher Wohnsitz

Art. 25 Abs. 1 ZGB regelt den zivilrechtlichen Wohnsitz Minderjähriger: Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.

Steht das Kind unter der elterlichen Sorge beider Eltern und haben diese einen gemeinsamen Wohnsitz, so befindet sich der Wohnsitz des Kindes am gemeinsamen Wohnsitz der Eltern, unabhängig davon, ob es mit den Eltern zusammenlebt oder von Dritten betreut wird, unabhängig auch davon, ob die Eltern verheiratet sind und unabhängig schliesslich auch davon, ob ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht. Das gilt auch dann, wenn die Eltern an verschiedenen Adressen am gleichen Ort wohnen (vgl. Anderer Karin, Der zivilrechtliche Wohnsitz Minderjähriger – de lege lata und de lege ferenda, in: Paul Eitel, Barbara Graham-Siegenthaler (Hrsg.), FS  Aebi-Müller, Zürich, Basel, Genf 2021, S. 4 f.; Berner Kommentar, Affolter-Fringeli Kurt/Vogel Urs, Die elterliche Sorge / der Kindesschutz, das Kindesvermögen, Minderjährige unter Vormundschaft, Bern 2016, Art. 315-315b ZGB, N 42). Die minderjährige Person lebte mit den gemeinsam sorgeberechtigten Eltern zusammen im Haushalt in N. Somit hatte sie ihren von den Eltern abgeleiteten zivilrechtlichen Wohnsitz in N.

Mit Erreichen der Volljährigkeit endet die elterliche Sorge von Gesetzes wegen und damit der nach Art. 25 Abs. 1 ZGB abgeleitete zivilrechtliche Wohnsitz (Vogel Urs, Der Wohnsitz des minderjährigen Kindes im Zivil- und Sozialhilferecht, in: Fankhauser/Reusser/Schwander (Hrsg.), FS Geiser, Zürich 2017, S. 583). Es stellt sich nun die Frage, ob die junge volljährige Person, nach Art. 23 ZGB, einen eigenen zivilrechtlichen Wohnsitz am Standort der Einrichtung begründet oder ob sich der von den Eltern abgeleitete zivilrechtliche Wohnsitz in N. gemäss Art. 24 Abs. 1 ZGB als selbständiger Wohnsitz perpetuiert hat. (vgl. dazu eingehend Vogel, S. 583 f.). In W. hat sie jedenfalls keinen zivilrechtlichen Wohnsitz begründet, da sie dort nie lebte.

Finanzierungszuständigkeit nach BEG

Die §§ 23 ff. BeG regeln die Finanzierung und Kostenverteilung für alle Leistungen, die anerkannte und kantonale Einrichtungen im Rahmen ihres Leistungsauftrags für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen mit zivilrechtlichem Wohnsitz erbringen. Ich gehe davon aus, dass die Einrichtung über eine Anerkennung verfügt.

Nach § 25 Abs. 2 BeG leisten die Gemeinden am zivilrechtlichen Wohnsitz der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in stationären Einrichtungen gemäss § 2 Abs. 1 lit. b und c sowie in Einrichtungen gemäss § 2 Abs. 1 lit. cbis diesen Einrichtungen eine vom Regierungsrat auf maximal Fr. 1'600.– pro Person und Monat festgesetzte Pauschale.

Nach § 53 Abs. 1 lit b. BeV macht der Gemeindebeitrag für anerkannte stationäre Kinder- und Jugendeinrichtungen Fr. 1'240.– pro Person und Kalendermonat aus. Und Abs. 5 der Bestimmung regelt Folgendes: Gilt bei einer Person in einer anerkannten stationären Einrichtung ihr Aufenthaltsort als zivilrechtlicher Wohnsitz, ist die Standortgemeinde der anerkannten Einrichtung von der Beitragspflicht befreit.

Der zivilrechtliche Wohnsitz von der volljährigen jungen Person befindet sich entweder am Standort der Einrichtung oder am bisherigen zivilrechtlichen Wohnsitz N. In der Gemeinde W. hat die volljährige junge Person keinen zivilrechtlichen Wohnsitz, weshalb sie für die Finanzierung nach dem BeG nicht zuständig ist. Auf das Gesuch ist deshalb nicht einzutreten.

Unterstützungswohnsitz

Der Unterstützungswohnsitz der Person bestimmt sich nach Eintritt der Volljährigkeit nicht mehr nach Art. 7 ZUG. Da sie aber dauernd von den Eltern getrennt lebte und der (freiwillige oder unfreiwillige) Aufenthalt im BEWO auch bei Eintritt der Volljährigkeit weiter andauert, findet Art. 4 Abs. 1 ZUG keine Anwendung. Die junge erwachsene Person behält, gemäss Art. 5 i.V.m. Art. 9 Abs. 3 ZUG ihren bisherigen Unterstützungswohnsitzes gestützt auf Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG bis zum Austritt aus dem BEWO (so genannter perpetuierter Wohnsitz; vgl. dazu das Merkblatt der SKOS, Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe von 2019, Ziffer 8.3. Perpetuierter Wohnsitz nach Eintritt der Volljährigkeit). Für allfällige Sozialhilfeleistungen ist somit der Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde N. zuständig.

Prüfen Sie nochmals genau, ob der Sachverhalt und meine Annahmen stimmen, es kommt auf jedes Detail an.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 19.7.2023

Karin Anderer