Sehr geehrte Damen und Herren
In der Ausbildungsvereinbarung steht, dass die Ausbildung am 23. August 2021 beginnt und am 05.07.2022 endet, was korrekt ist. Bezüglich Verpflichtung steht folgendes:
Punkt 8: Die Verpflichtunssumme ergibt sich aus den durch den Arbeitgeber übernommen Kosten und beträgt ingesamt CHF ... . Für diese Kosten verpflichtet sich die Arbeitnehmerin für die Dauer von zwei Jahren in der Firma tätig zu sein. Als Berechnungsgrundlage gilt das vertraglich vereinbarte Pensum nach der Ausbildung.
Punkt 9: Wird das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Verpflichtungszeit durch die Mitarbeiterin selbst gekündigt, oder muss aufgrund eindeutigen Verschuldens durch die Mitarbeiterin seitens AG gekündigt werden, so ist für die verbliebene Verpflichtungszeit des Restbetrag bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurück bezahlen.
Es ist jedoch in der Vereinbarung nicht erwähnt, ab welchem Zeitpunkt die Verpflichtungszeit zu Laufen beginnt.
Der Vereinbarung liegt eine Berechnung der Weiterbildungsbeteiligung bei. Die Berechnung ergibt eine Verpflichtung von zwei Jahren. Die aufgeführte Verpflichtungszeit lautet 09.11.2021 - 09.11.2023.
Die Arbeitnehmerin hat nun gekündigt. Sie ist davon ausgegangen, dass also fast ein Jahr der Verpflichtungszeit bereits vergangen ist und die Rückzahlung entsprechend tiefer ist. Der AG meint nun jedoch, dass die Verpflichtungszeit erst mit Beendigung der Weiterbildung am 05.07.2022 begonnen hat zu Laufen. Es sei ja klar, dass es sich beim aufgeführten Zeitraum auf dem Berechnungsblatt offensichtlich um einen Fehler handelt.
Wie ist das rechtlich? Beginnt die Verpflichtungszeit immer nach Abschluss der Weiterbildung zu laufen (was ja schon Norm ist) oder können auch anderen Vereinbarungen getroffen werden? Hat die Arbeitnehmerin eine Chance, dass dieses Jahr bereits bei der Rückzahlung angerechnet wird oder ist dies aussichtlos, wenn es sich "offensichtlich" um einen Fehler handelt?
(Es ist davon auszugehen, dass das HR die Excel-Berechnung von jemanden anderen übernommen hat und die Verpflichtungszeit nicht angepasst hat, denn im November beginnen in der Regel die HF Studium, um was es sich hier aber nicht handelt)
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung, damit wir wissen, ob es sich allenfalls lohnt hier hartnäckig zu bleiben.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Guten Tag
Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
I) Vorbemerkungen
Vorab ist zu klären, ob es sich vorliegend um eine privatrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Anstellung handelt. Ist letzteres der Fall, müsste ich wissen, bei welchem Gemeinwesen (Kanton, Gemeinde) die Person angestellt ist. Entsprechend wäre dann das anwendbare Personalrecht zu konsultieren. Allenfalls finden sich dort spezifische Regelungen zur Rückzahlung von Beiträgen der Arbeitgeberin an die Aus- und Weiterbildung..
Falls es sich um eine Anstellung in einer privatrechtlichen Organisation handelt, gelten die Bestimmungen des Obligationenrechts (OR), konkret relevant sind die Art. 319 ff OR zum Arbeitsvertrag, wobei je nach Fragestellung auch die allgemeinen Regeln des OR (Art. 1 ff OR) zu Anwendung gelangen.
Vielfach enthält das öffentliche Personalrecht jedoch gerade keine einschlägigen Bestimmungen. Im Streitfall orientieren sich die Gerichte deshalb an den privatrechtlichen Regelungen
II) Allgemeines zur Kostentragungsverteilung im Arbeitsverhältnis
Gemäss Art. 327a OR hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer alle durch die Ausführung der Arbeit notwendig entstehenden Auslagen zu ersetzen. Daraus folgt: Wurden dem Arbeitnehmer Ausbildungskosten ersetzt, so können sie in keinem Fall zurückverlangt werden, wenn sie im Rahmen einer normalen Einarbeitung anfielen und damit als notwendige Auslagen erscheinen. Im Gegensatz zur Weiterbildung ist die Einarbeitung auf einen bestimmten Arbeitgeber oder ein bestimmtes Produkt beschränkt.
Die Zulässigkeit von Rückzahlungsverpflichtungen wird jedoch bejaht, soweit die entsprechende Aus- oder Weiterbildung dem Arbeitnehmer einen dauerhaften Vorteil auf dem Arbeitsmarkt bietet.
Der Arbeitgeber kann sich freiwillig verpflichten, eine bestimmte allgemeine Ausbildung des Arbeitnehmers ganz oder teilweise zu finanzieren bzw. es kann eine vertragliche Vereinbarung über die Finanzierung und Rückzahlung getroffen werden. Eine solche Verpflichtung kann an die Bedingung geknüpft werden, dass das Arbeitsverhältnis bis zu einem bestimmten Zeitpunkt dauert. Grundsätzlich zulässig ist eine vertragliche Vereinbarung, worin der Arbeitnehmer sich verpflichtet, die Kosten der vorerst vom Arbeitgeber finanzierten Weiterbildung demselben ganz oder teilweise zu erstatten, wenn er vor Ablauf einer bestimmten Mindestdauer das Arbeitsverhältnis kündigt oder Grund für dessen Auflösung setzt.
Weil Rückzahlungsklauseln das Gebot gleich langer Kündigungsfristen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemäss Art. 335a OR verletzen können, muss ein Rückzahlungsvorbehalt zudem zeitlich und betragsmässig definiert werden. Die Höhe des Rückzahlungsbetrags muss in sachgerechter Relation zum Nutzen der Ausbildung für die Parteien ausgestaltet sein. Daraus wird in der Praxis das Erfordernis abgeleitet, dass die Rückzahlungsverpflichtung degressiv ausgestaltet sein muss, das heisst, je nach ein Arbeitnehmer im Betrieb ist, desto geringer wird seine Rückzahlungsverpflichtung.
Eine Rückzahlungsvereinbarung muss vor Beginn der entsprechenden Ausbildung abgeschlossen werden und den zurückzuvergütenden Betrag wie auch den Zeitraum bestimmen, innert welchem eine Kündigung die Rückzahlungspflicht auslöst.
III) Bedeutung für den vorliegenden Fall
Soweit aufgrund der vorliegenden Unterlagen ersichtlich, ist die Rückzahlungsvereinbarung grundsätzlich rechtens. Es liegt eine vertragliche Vereinbarung vor, sowohl der Beitrag der Rückzahlung als auch der Zeitpunkt bzw. die Periode sind grundsätzlich erwähnt.
Fraglich ist der Beginn der zweijährigen Periode. Unter Punkt 8 steht "Die Verpflichtunssumme ergibt sich aus den durch den Arbeitgeber übernommen Kosten und beträgt ingesamt CHF ... . Für diese Kosten verpflichtet sich die Arbeitnehmerin für die Dauer von zwei Jahren in der Firma tätig zu sein. Als Berechnungsgrundlage gilt das vertraglich vereinbarte Pensum nach der Ausbildung
Diese Aussage lässt den Schluss zu, die zweijährige Rückzahlungsphase beginne erst nach Abschluss der Ausbildung, also am 6.7. 2022 (und dauert damit bis 5.7.2024)
Demgegenüber steht am Ende von Punkt 9: Die aufgeführte Verpflichtungszeit lautet 09.11.2021 - 09.11.2023..
Es liegt hier in der vertraglichen Vereinbarung offensichtlich ein Widerspruch vor. Es stellt sich jetzt die Frage, ob die Arbeitnehmerin nach Treu und Glauben davon ausgehen konnte, dass die für sie günstigere Version richtig ist. Wie ein Gericht dies beurteilen würde, kann schwerlich vorausgesagt werden. Zu beachten sind folgende Aspekte:
- Gehört die zweijährige Frist nach Ende der Ausbildung zum "Standard" im Betrieb, wissen dies eigentlich alle – falls ja, spricht dies gegen ihre Klientin
- Hat die Klientin den Kündigungsentscheid unter der Annahme gefällt, die Frist beginne – wie es im ausdrücklich steht – bereits am 9.11.2021? Wenn sie sich auf dies verlassen hat und keine anderen Umstände vorliegen, die ihre Klientin hätten zweifeln müssen am Zeitpunkt 9.11.21, so spricht dies für Ihre Klientin und gegen die Arbeitgeberin.
Aufgrund der vorliegenden Ausgangslage würde ich beiden Parteien empfehlen, im Gespräch eine einvernehmlich Lösung, z.B. "Halbe/Halbe" zu suchen. Der Ausgang eines Gerichtsverfahrens wäre für beide Parteien ungewiss.
Genügen Ihnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli