Guten Tag Frau Anderer
Guten Tag Herr Vogel
Meine Anfrage bezieht sich auf Ehegatten, wobei nur die Ehefrau verbeiständet (Art. 394 Abs. 1 i.V.m. Art. 395 Abs. 1) ist. Die Ehegatten lehnen die Beistandschaft ab und die Zusammenarbeit ist belastet. Das Mandat wurde infolge Umzugs von einer anderen Gemeinde zur Weiterführung übernommen.
Bisher wurden sämtliche gemeinsame Ausgaben wie Miete, Strom, Steuern etc. mit dem Einkommen und Vermögen der Ehefrau beglichen. Dem Ehemann wurden zusätzlich vom Konto der Ehefrau CHF 200.00 monatlich überwiesen.
Wir haben keinerlei aktuelle Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Ehemanns. Bei der Steuererklärung wurde das Einkommen und Vermögen des Ehemanns jeweils basierend auf veralteten Angaben der Vorjahre beziffert. Gemäss Auskunft der ehemaligen Beiständin erhalte der Ehemann eine IV-Rente und habe keinerlei Vermögen.
Spielt es in Hinblick auf Art. 163 ZGB überhaupt eine Rolle, wer welche Rechnungen mit welchem Geld bezahlt?
Wie ist mit dieser Situation korrekt umzugehen?
Mit bestem Dank für Ihre Bemühungen.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Guten Tag
Nachdem die neu zuständige KESB den Übernahmeentscheid mit Ernennung der neuen Beistandsperson gefällt hat, wird die ehemalige Beistandsperson von der abgebenden KESB aufgefordert, per festgelegtem Übertragungsdatum den Schlussbericht und die Schlussrechnung zu erstellen. Die abgebende KESB prüft und genehmigt den Schlussbericht und die Schlussrechnung. Diese werden Ihnen als neue Beiständin zugestellt.
Somit sollten Ihnen die Vermögensverhältnisse vorliegen, einerseits durch die Übergaberechnung, andererseits durch die genehmigte Schlussrechnung.
Zumindest im Zeitpunkt des Inventars müssen die Vermögensverhältnisse des Ehemanns einmal erhoben worden sein.
Es gehört zu den Aufgaben einer Beistandsperson, die für nur einen Ehegatten die Vermögensverwaltung führt, sich über den Beitrag der Ehegatten an den Unterhalt der Familie sowie über ausserordentliche Beiträge nach Art. 163 Abs. 2, 164 und 165 ZGB zu verständigen Auch sind sozialversicherungsrechtliche Ansprüche zu klären, ggf. Sozialhilfe geltend zu machen und gegenüber den Steuerbehörden sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten zu deklarieren. Die verbeiständete Person haftet für die Steuerschulden solidarisch. Ohne Kenntnisse über die Vermögensverhältnisse des Ehemanns kann keine sorgfältige Vermögensverwaltung erfolgen (vgl. BSK ZGB I-Affolter, Art. 405 N 25).
Fragen Sie bei der ehemaligen Beiständin nach, wie sie die Steurerklärungen gemacht hat und welche Daten Sie beim Ehemann erhoben hat und verlangen Sie Kopien der letzten Steuererklärungen. Es kann nicht sein, dass die Ehefrau höhere Steuern bezahlen muss, weil die Angaben vom Ehemann fehlen und das Steueramt Einschätzungen vornahm. Das wäre sorgfaltspflichtwidrig und haftungsrelevant. Art. 170 ZGB bietet nämlich die Möglichkeit, über das Eheschutzgericht die Auskunft über das Einkommen, Vermögen und die Schulden des Ehemanns zu verlangen.
Was die Bestimmung des Beitrage nach Art. 163 Abs. 2 ZGB betrifft, ist zunächst der Bedarf des Unterhalts zu ermitteln, den die Familienangehörigen zum Leben benötigen; das sind Haushaltskosten und Aufwendungen für persönliche Bedürfnisse. Der Bedarf ist anhand der Leistungsfähigkeit beider Ehegatten und dem von ihnen praktizierten Lebensstil individuell zu konkretisieren. Bedarf und Leistungsfähigkeit werden gegenübergestellt und wenn die Mittel reichlich sind, muss nur soviel eingesetzt werden, als zur Deckung des „familienangemessenen“ Unterhalts erforderlich ist. Das Unterhaltsrecht zielt nicht darauf ab, das Vermögen zu verteilen, weshalb die „überschiessenden“ Mittel jenem Gatten als Sparquote bleiben, der der sie erwirtschaftet hat (BSK ZGB I-Isenring/Kessler, Art. 163 N 5 ff.). Die Ehegatten haben sich über die Beiträge einvernehmlich zu verständigen, was durchaus „pragmatisch“ erfolgen kann. Hier war die ehemalige Beiständin involviert, weshalb Sie sich von ihr erläutern lassen, wie es zur Verständigung der Beiträge nach Art. 163 Abs. 2 ZGB kam. Es geht um die Interessenwahrung der Klientin, sie muss nicht mehr bezahlen als „familienangemessenen“ erscheint.
Bleiben die Vermögensverhältnisse unklar, weil die Rechnungsführung der ehemaligen Beiständin keine verlässliche Basis darstellt und auch nicht rekonstruiert werden kann, müssen Sie eine Nachinventarisierung machen (BSK ZGB I-Affolter, Art. 405 N 31). Nach Art. 405 Abs. 4 ZGB sind Dritte verpflichtet, alle für die Aufnahme des Inventars erforderlichen Auskünfte zu erteilen. So können Sie die Vermögensverhältnisse des Ehemanns erheben.
Ich hoffe, die Ausführungen sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 15.11.2021
Karin Anderer