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Erstausbildung trotz laufendem Arbeitsverhältnis

Veröffentlicht:
07.06.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

Meine Klientin hat keine berufliche Erstausbildung.
Sie ist seit einiger Zeit leicht schwerhörig, seit ca. 3 Jahren wirkt es sich störend auf ihr berufliches und soziales Umfeld aus.

Ihr jetziger Arbeitsplatz in der Produktion von Heizungselementen ist für ihren Hörstatus zunehmend ungeeignet. Sie steht unter hoher Lärmbelastung von konstant ca. 60 bis 80 dB, mit zusätzlichen Lärmspitzen bei gewissen Tätigkeiten. Dies ist einerseits mit einer bereits bestehenden Schwerhörigkeit und Tinnitus sehr unangenehm (viele Schwerhörige werden zunehmend lärmempfindlich), andererseits besteht die Gefahr, dass sich ihr Hörstatus unter diesen Bedingungen zusätzlich verschlechtert.

Abklärungen durch die IV haben jedoch ergeben, dass die Klientin mit Gehörschutz an diesem Arbeitsplatz verbleiben kann. Dies, obwohl das Tragen des Hörschutzes mit den Hörgeräten sehr unangenehm ist. Ihr wurde zudem eine Kostenpauschale für einseitige Hörgeräte-Versorgung zugesprochen, obwohl HNO und Akustiker beidseitige Versorgung empfehlen. Die nötigen Schwellwerte der IV für beidseitige Versorgung erreicht sie jedoch nicht. 

Als 35-jährige Frau arbeitet sie nun schon seit mehr als zehn Jahren bei der gleichen Firma in der gleichen Position, die ihr nicht gefällt und hat aufgrund fehlender Qualifikationen keine beruflichen Perspektiven. Die Position hatte sie als junge alleinerziehende Mutter ohne Ausbildung in der Not angenommen und kam seither nicht mehr davon los. Trotz ihres Unglücks sieht sie sich als alleinerziehende Mutter finanziell nicht in der Lage, berufliche Risiken einzugehen.

Sehr gerne würde sie eine Erstausbildung absolvieren, um sich einerseits eine neue Perspektive zu eröffnen und andererseits bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Die Produktionsbranche in der Schweiz ist in einer prekären Lage und die Chance auf Jobverlust gross. 

Die IV lehnt den Anspruch auf Ausbildung, Umschulung oder berufliche Erstausbildung ab, da die fehlende Qualifikation nicht behinderungsbedingt sei. 

Gibt es beim RAV oder bei den Gemeinden eine Chance auf Existenzsicherung während einer beruflichen Erstausbildung, wenn meine Klientin ihren jetzigen Job verlässt? 

Vielen Dank für Ihre Rückmeldung

Freundliche Grüsse
 

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Frau Hedinger

Wie Sie den Fall schildern ist die die Auskunft der IV korrekt, dass hier wohl eine Erstausbildung nicht invaliditätsbedingt fehlt.

Soweit die Betroffenen den bestehenden Job hat und nicht gekündigt wird, sehen auch die RAV keine Möglichkeit des Nachholens der Erstausbildung vor. Falls die Betroffene aber ihre Arbeitstelle verlieren sollte, und soweit es für die Arbeitsmarktfähigkeit notwendig erscheint, können gemäss Art. 66a AVIG für mind. 30jährige Personen ohne Erstausbildung Ausbildungszuschüsse seitens des RAV gesprochen werden.

Ähnliche Leistungen können unter Umständen seitens der Sozialhilfe gewährt werden, wenn keine Möglichkeit besteht mit den bestehenden zumutbaren Anstrengungen und Bemühungen keine Arbeit gefunden werden kann. Die Übernahme für solche Ausbildungskosten wird je nach Kanton und Sozialdienst unterschiedlich gehandhabt. Die Praxis ist eher streng. 

In der bestehenden Situation, wo die Stelle noch besteht, sehe ich keine unmittelbaren Leistungen aus dem System der Sozialhilfe oder der Sozialversicherungen, welche gesprochen werden könnten. Nicht ganz ausgeschlossen ist, dass eine Mit-Finanzierung über eine Stiftung oder einen Fonds, etwa im Umfeld eines Verbandes für Gehörbeeinträchtigte.

Ich hoffe, das dient Ihnen.

Prof. Peter Mösch Payot