Im klinischen Alltag erhalten wir wiederholt Anfragen, ob Patient:innen während eines vollstationären Aufenthalts, bei dem eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit attestiert ist, einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder, falls sie sich in Ausbildung befinden, die reguläre Schule besuchen können. Bisher haben wir dies strikt untersagt, um die Kostentragung durch Kranken- oder Taggeldversicherung nicht zu gefährden.
Können Sie verbindlich erklären, ob und unter welchen Bedingungen Arbeit oder regulärer Schulbesuch während des stationären Aufenthalts erlaubt/möglich ist? Und aus welchen Gründen ist dies laut Schweizer Recht und Sozialversicherung (Krankenkassen, Krankentaggeldversicherung, Arbeits- und Unfallrecht) grundsätzlich ausgeschlossen?
Vielen Dank
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag!
Die Problematik liegt in den jeweiligen Voraussetzungen für Leistungen. Zu unterscheiden sind die Folgen eines Schulbesuchs oder einer Erwerbstätigkeit während eines stationären Aufenthalts für Leistungen der Unfallversicherung, der Krankentaggeldversicherung oder der Lohnfortzahlung der Arbeitgebers einerseits. Und die Folgen eines Schulbesuchs oder einer Erwerbstätigkeit für die Kostenübernahme der Krankenversicherung oder der Unfallversicherung, bzw. einer privaten Zusatzversicherung für den Klinikaufenthalt.
a) Für die Taggeldleistungen und die Lohnfortzahlung sind die Voraussetzung eine Arbeitsunfähigkeit.
Das bedeutet für die ersten Wochen, dass die bisherige Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden kann. Bei Taggeldzahlung, die länger dauern sollen, ist eine weitere Leistungspflicht der Versicherung davon abhängig, dass bei längerer Arbeitsunfähigkeit (bei Krankentaggeldversicherungen bereits nach ca. drei Monaten, wobei dafür auch reglementarsiche Bestimmungen bedeutsam sein können) neben der bisherigen auch zumutbare ähnliche, andere Tätigkeiten (ev. auch bei einem anderen Betrieb), so genannte Verweistätigkeiten (Art. 6 ATSG) gesundheitlich nicht mehr möglich sein müssen, damit die Leistungen weiter gewährt werden. Dabei ist aber nach der entsprechenden Ankündigung in der Krankentaggeldversicherung eine Übergangs- und Anpassungszeit von ca. drei bis fünf Monaten zu gewähren, in welcher die Leistungen zu gewähren sind. vgl. BGer 4A_73/2019 vom 29.7.2019). Wobei hier in der Praxis die Krankentaggeldversicherungen etwas strenger agieren als die Unfallversicherungen.
Wenn nun während eines Klinikaufenthaltes eine Person anderen Aktivitäten nachgeht, etwa eine Schule besucht oder Arbeitstätigkeit nachgeht oder einer Erwerbstätigkeit, so können daraus Zweifel bestehen, ob die Voraussetzung noch besteht, dass eine leistungsauslösende Arbeitsunfähigkeit besteht.
Die Antwort ist abhängig vom Einzelfall.
Sowohl von der gesundheitlichen Erkrankung als auch von der Art der Tätigkeit: In den ersten Monaten der Erkrankung kann eine externe Tätigkeit die Leistungen nur in Frage stellen, soweit durch das Absolvieren der Tätigkeit der Gegenbeweis erbracht wird (ev. auch nach anderen Abklärungen), dass die Person für die bisherigen Funktionen und Aufgaben arbeitsunfähig ist. Bei längeren Arbeitsunfähigkeiten, ab ca. drei Monaten, wäre dies schon dann der Fall, wenn die neue Tätigkeit belegt, dass auch eine zumutbare ähnliche Tätigkeit noch möglich ist.
Anders sieht es aus, wenn es sich etwa um einen therapeutischen Arbeitsversuch handelt, bei dem das Ziel der Tätigkeit gerade die Abklärung der Arbeitsunfähigkeit ist, bzw. das Eruieren von Möglichkeiten der Stabilisierung, bzw. des Wiederaufbaus von Fertigkeiten. Um dies so zu belegen, ist aber ein enge agogische und medizinische Begleitung und die entsprechende Dokumentation unabdingbar.
Bei Schulbesuchen oder dem Besuch von Weiterbildungen während des Klinkaufenthaltes hängt die Infragestellung der laufenden Leistungen davon ab, ob damit Fertigkeiten gezeigt werden, welche gemäss Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossen oder eingeschränkt sind (z.B. bzgl. Arbeitsweg etc.). Grundsätzlich muss auch in diesen Fällen also damit gerechnet werden, und ist es auch zulässig, dass bei Kenntnis die Versicherung oder der Arbeitgeber in diesen Fällen weitere Abklärungen vornimmt, etwa vertrauensärztlicher Art, zum Fortbestand der leistungsauslösenden Arbeitsunfähigkeit.
Auf jeden Fall sind entsprechende Tätigkeiten aufgrund der Mitwirkungspflicht der entsprechenden leistungspflichtigen Versicherung zu melden. Idealerweise wird der Bezug zur bestehenden Arbeitsunfähigkeit auch proaktiv medizinisch ausgewiesen.
b) Die Finanzierungspflicht des Klinikaufenthaltes durch die Kranken- oder Unfallversicherung ist davon abhängig, dass die Leistungen gemäss den Tarifvereinbarungen (etwa TarPsy) oder den spezifischen Verträgen (insb. bei den Zusatzversicherungen) mit den Versicherern erbracht werden.
Insoweit kann eine externe Tätigkeit oder ein externer Aufenthalt dazu führen, dass bestimmte Positionen (etwa bzgl. Hotellerie etc.) nicht im gleichen Masse verrechnet werden können, wenn die Patientin/der Patient nicht anwesend ist.
Soweit dies dazu führt, dass die Klinik Kosten, die nicht zu minimieren sind bei externen Aufenthalten, nicht verrechnen kann, kann dies zur Frage führen, ob dies in Fällen externer Tätigkeit oder eines externen Aufenthaltes den Patient:innen in Rechnung gestellt werden können. Die Antwort ist abhängig von den vertraglichen Vereinbarungen der Klinik mit den Patient:innen.
Folgerung: Externe Tätigkeiten und Schulbesuche können Folgen haben, sowohl für Taggelder oder Lohnforzahlung als auch für die Übernahme von Behandlungs- und Aufenthaltskosten.
Wichtig ist es in der Sozialberatung, die Patient:innen darüber zu informieren. Und insb. auch auf die Pflichten gegenüber den Versicherern zur Information hinzuweisen. Sowie allfällige Absprachen zu treffen. Soweit es um die Übernahme von Behandlungs- und Hotelleriekosten geht, trifft bei Abwesenheiten die Pflicht zur Information auch die Klinik selber.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot