Sehr geehrte Damen und Herren
Gerne gelange ich mit folgender Frage an Sie:
Eine Patientin befindet sich seit 21.09.2020 in der psychiatrischen Tagesklinik in teilstationärer Behandlung. Bei ihr besteht eine langjährige äusserst komplexe Vorgeschichte mit einem einerseits chronifiziertem Schmerzsyndrom seit einem Autounfall im Jahre 1993, andererseits mit einer chronischen psychiatrischen Erkrankung. Vor diesem Hintergrund fanden bereits mehrere stationäre Aufenthalte in Rehabilitationszentren und Psychiatrischen Kliniken statt. Sie Patientin bezieht seit Jahren eine ganze IV-Rente, Ergänzungsleistungen und eine Hilflosenentschädigung leichten Grades. Die ambulante Psychiatierin hat folgende Diagnosen gestellt:
Rezidivierende depressive Störung: gegenwärtig leichte Episode (ICD-10: F32)
Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gemischt (ICD-10: F42.2)
Vd. a. Kombinierte Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F61)
Panikstörung (ICD-10: F41.0)
Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.41)
Von unserer Seite wurde bei Eintritt die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode (F32.1) gestellt.
Die Patientin berichtet von ausgeprägten Ängsten bei anstehenden Zahnarztbesuchen: Die mit den Zahnarztbesuchen verbundene Angstsymptomatik ist pathologischen Ursprungs. Früher sei es so gewesen, dass sie vor einem Termin zur Beruhigung jeweils auf die Einnahme von Temesta 1mg angewiesen war. Bei ihrem letzten REHA-Aufenthalt in einer Klinik, welche 84km von ihrem Wohnort entfernt ist, musste sie sich notfallmässig einer zahnärztlichen Behandlung unterziehen, was ein Besuch bei einem dort ansässigen Zahnarzt notwendig machte. Die Patientin beschreibt, dass sie sich bei jenem Zahnarzt den Umständen und im Vergleich zu anderen Zahnarztterminen entsprechend wohl und aufgehoben gefühlt hatte, er aufgrund seiner Art zu behandeln ihr das nötige Vertrauen und Sicherheit vermitteln konnte, sie nicht so angespannt war und auch keine Panik mehr aufkam. In den Folgebehandlungen konnte die Patientin dann sogar auf die Einnahme von Temesta verzichten.
Dieser Umstand führte dazu, dass sich die Patientin bis heute in der hiesigen Zahnarztpraxis behandeln lässt, die weite Strecke (Wohnort zur Zahnarztpraxis) auf sich nimmt, was für sie trotz allem jeweils mit Stress und Anspannung verbunden ist. Die Patientin ist gesundheitsbedingt respektive bei längeren Fahrstrecken auf einen Fahrdienst angewiesen, konnte es sich bis jetzt (und bis auf Weiteres) so einrichten, dass ihr Lebenspartner sie zu den Terminen fuhr, sie ihm jedoch aus der Hilflosenentschädigung jeweils einen Geldbetrag für seine Fahrdienste zahlte. Es ist jedoch nicht Sinn und Zweck der Hilflosenentschädigung, die damit verbundenen Leistungen an private oder externe Fahrdienste auszurichten. Die Patientin hat sich bis dato jedoch nicht getraut, die Transportkosten bei den Ergänzungsleistungen rückzufordern da sie davon Kenntnis hat, dass nur jene Kosten zu einem nächstgelegenen medizinischen Behandlungsort vergütet werden.
Die Transportkosten haben wir nun bei den Ergänzungsleistungen und mit einem Erklärungsschreiben zur Rückforderung eingereicht. Diese haben mit Schreiben vom 29. Oktober 2020 verfügt, dass die Transportkosten im Rahmen der Ergänzungsleistungen nicht übernommen werden können und berufen sich dabei auf den Art. 14 Abs. 2 ELG welcher besagt, dass ausgewiesene Kosten für Transporte nur zum nächstgelegenen Behandlungsort vergütet werden. Ebenfalls wird darauf hingewiesen, dass es am Wohnort und in der Umgebung der Patientin genügend Zahnärzte geben würde.
Wir sind uns bewusst, dass die Patientin die Zahnarzttermine bei einem Zahnarzt wahrnimmt, welcher sich nicht am nächstgelegenen Behandlungsort befindet (entgegen Art. 14 Abs. 2 ELG). Dieser Umstand kann allerdings auf gesundheitlich und krankheitsbedingte Ursachen (wie oben beschrieben) zurückgeführt werden, was ebenfalls medizinisch bestätigt respektive untermauert werden kann.
Wie schätzen Sie die Chancen einer gegen die Verfügung erhobenen Einsprache ein? Kennen Sie ähnliche Fälle resp. sind Ihnen allenfalls Gerichtsentscheide über ähnliche Fälle bekannt?
Vor Jahren hatte ich einen Fall, in welchem eine Patientin vom Kanton Zürich in den Kanton St. Gallen zuzog, sie bis 4x pro Monat ihre Termine weiterhin bei ihrer langjährigen Psychologin, welche ebenfalls in Zürich ihre Praxis hatte, wahrnahm. Bei der EL hatten wir deshalb den Antrag auf Übernahme eines Jahres-Generalabonnements gestellt, welches damals bewilligt wurde.
Für Ihre Unterstützung danke ich bestens.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Huldi
Art. 14 Abs. 2 ELG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 lit. e ELG schafft einen Rahmen für die Übernahme von Krankheits- und Behinderungskosten, insb. auch Transportkosten. Die Konkretisierungen obliegen den Kantonen. Das heisst, auch in Ihrem Fall wäre es hilfreich, die kantonalen Normen ergänzend zu analysieren.
Vgl. für den Kanton St. Gallen die entsprechende Grundlage unter:
https://www.gesetzessammlung.sg.ch/app/de/texts_of_law/351.5/versions/1950¨
Art. 4bis des kantonalen ELG sieht vor, dass die Leistungen, u.a. die Transportkosten nur im Rahmen einer wirtschaftlichen und zweckmässigen Leistungserbringung erbracht werden.
In der Verordnung zum kantonalen ELG (sGS 351.53) des Kantons St Gallen wird zu Transportkosten ergänzt (siehe: https://www.gesetzessammlung.sg.ch/app/de/texts_of_law/351.53):
Art. 14 Transport
1
Ausgewiesene Transportkosten werden vergütet, soweit sie in der Schweiz durch einen Notfalltransport oder durch eine notwendige Verlegung entstanden sind.
2
Vergütet werden auch ausgewiesene Kosten für Transporte zum nächstgelegenen medizinischen Behandlungsort. Vergütet werden die Kosten, die den Preisen der öffentlichen Transportmittel (2. Klasse) für Fahrten auf dem direkten Weg entsprechen. Ist die versicherte Person wegen ihrer Behinderung auf die Benützung eines andern Transportmittels angewiesen, werden diese Kosten vergütet. Für private Personenwagen werden höchstens 70 Rappen je Kilometer erstattet.
3
Tagesstrukturen nach Art. 13 dieses Erlasses sind den medizinischen Behandlungsorten im Sinn von Abs. 2 dieser Bestimmung gleichgestellt.
4
Kosten für Fahrbegleitungen werden nicht vergütet.
Aus Art. 14 Abs. 2 der kantonalen Verordnung wird reduziert auf Transportkosten zum „nächstgelegenen medizinischen Behandlungsort“.
Die Chancen für eine Einsprache bestehen, eine klare eindeutige gerichtliche Rechtsprechung besteht aber nicht.
Die Chancen für die Einsprache sind um so besser, je eindeutiger medizinisch ausgewiesen wird und durch entsprechende fachärztliche Berichte eindeutig dargelegt wird, dass es für die Patientin medizinisch notwendig ist, diesen längeren Behandlungsweg auf sich zu nehmen. Bzw. nicht zumutbar ist und keine angemessene Behandlung möglich ist beim näheren Behandlungsort.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot