Sehr geehrter Herr Mösch und Herr Schilliger
eine KL (ganze IV und EL) lebte mehr als 1 Jahr in einer Institution für psychisch Erkrankte (wird als Heim anerkannt). Ziel war immer, dass sie eines Tages wieder austreten würde. Sie hat nach langem Suchen per Mitte Oktober eine zahlbare Wohnung gefunden. Das Heim konnte sie aber erst per ende November kündigen. Es fallen nun für 1.5 Monate doppelte Kosten an: Institution und Wohnung. Die EL ist nicht bereit, beide Kosten zu übernehmen.
Mir ist bekannt (WEL Rz 3390.02) dass bei einem Eintritt in ein Heim die Wohnung bis 3 Monate parallel finanziert wird. Die EL sagt, dass die umgekehrte Konstellation nicht geregelt sei und somit nicht als logischer Umkehrschluss der Variante Wohnung-Heim behandelt werden könne. Somit ist keine Berücksichtigung von Heimkosten und Miete möglich.
Ist die Aussage der EL korrekt? - Was könnten wir tun, um eine allfällige Praxisänderung zu bewirken? - Aus unser Sicht werden wohl in Zukunft vermehrt Leute aus den Institutionen in eigene Wohnungen ausziehen (Stichwort: Subjektfinanzierung). Es ist unrealistisch, dass bei diesem Wohnortswechsel keine Doppelkosten (Heim und Wohnung) anfallen.
Besten Dank für Ihre fachliche Unterstützung.
Beste Grüsse
Nachtrag (21.12.2022):
In der neuen WEL Nr 16 wurde meines Erachtens dieser Fall unter der RZ 3153.01 neu geregelt. Ist meine Vermutung korrekt? - Was bedeutet dies nun für den vorliegenden Fall?
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag!
1. Tatsächlich wurde mit Wirkung per 1.1.2022 die Frage der Übernahme von Doppelkosten bei einem Austritt aus einem Heim in eine Wohnung mit Rz. 3153.01 (gültig ab 1.1.2022) neu in den WEL geregelt:
"Kehrt eine Person nach einem länger dauernden Heim- oder Spitalaufenthalt nach Hause zurück, ist für den Monat, in welchem der Austritt erfolgt, bereits eine Berechnung für zu Hause lebende Personen vorzunehmen. Die Tagestaxe nach Kapitel 3.2.2 ist zusätzlich als Ausgabe zu berücksichtigen. Von der Tagestaxe sind die Kosten für Verpflegung (...) in Abzug zu bringen."
2. Die Norm bringt insoweit eine Klärung, dass für den Austrittsmonat neu eine Rechnung der Ausgaben gemäss Art. 10 Abs. 1 ELG (Person zu Hause) vorzunehmen ist und die HEimtaxen zusätzlich zu übernehmen sind (unter Abzug der Verpflegungskosten, da diese ja schon gemäss Art. 10 Abs. 1 ELG übernommen werden.
2. Für Ihre Konstellation würde ich auf jene Norm in der WEL verweisen und allenfalls in einer Einsprache argumentieren, dass aufgrund des Bedarfsprinzips diese nun explizit in der WEL aufgenommene Praxis auch schon für ihren Fall anzuwenden sei in Anwendung und korrekter Interpretation von Art. 14 Abs. 1 lit. b bis ELG.
Es wird Sache der Rechtsprechung sein, das definitiv festzulegen, zumal tatsächlich die Anzahl entsprechender Fälle zunehmen wird.
Inhaltlich kann dazu argumentiert werden, dass dann, wenn eine Wohnung zum selbständigen Wohnen gefunden wurde, der Heimaufenthalt immer zu einem vorübergehenden Heimaufenthalt wird, und deswegen die entsprechenden Kosten gemäss Art. 14 Abs. 1 lit b bis ELG als Krankheits- und Behinderungskosten zusätzlich zu übernehmen sind. Das reduziert schon mal das Defizit der nicht gedeckten Kosten.
Aus meiner Sicht müsste dies auch über den Austrittsmonat hinaus gelten, wenn eine eigene Wohnung besteht. Aber dies ist wie gesagt rechtlich noch nicht definitiv geklärt.
3. Überdies ist in einem Fall wie hier zu prüfen, ob die Institution auf der Basis der Analyse Heimvertrages zurecht trotz bestehender neuer Wohnung, die Selbständigkeit ermöglicht, weitere Heimkosten verrechnen darf. Eventuell kann ein Teilerlass der Kosten bewirkt werden oder zumindest eine Stundung. Hier wäre auch Treu und Glauben zu beachten, wenn der Austritt immer als Ziel bestand und somit auch dem Heim eine gewisse Pflicht zugekommen wäre, diesen Austritt ohne Hürden mitzuplanen. Eventuell kann eine Ombudsstelle für das Heimwesen vermitteln.
4. Über den konkreten Fall hinaus, ist bei Heimverträgen in solchen Fällen beim Vertragsabschluss darauf zu achten, dass Kündigungsfristen so ausgestaltet werden, dass beim Finden von Wohnungen zur Selbständigkeit (insb. wenn dies mit ein Ziel der Begleitung durch die Institution ist) die Kosten des Heimplatzes nicht voll verrechnet werden, sondern die Institution insoweit angepasste Dienstleistungen erbringt (Wohnbegleitung etc.) und abrechnen kann. Die Konstellation des Austritts ist also schon beim Eintritt mitzuplanen.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot