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Erbverzichtsvertrag vor Sozialhilfebezug

Veröffentlicht:
13.05.2025
Kanton:
Thurgau
Status:
Neu
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Damen und Herren

Wir haben hier (Kanton Thurgau) eine Frau, welche seit 2021 mit sozialhilferechtlichen Leistungen unterstützt wird. Sie lebt im Haushalt der Mutter. Der Vater ist vor 1.5 Jahren verstorben. Im 2015 haben die 4 Kinder alle einen Erbverzichtsvertrag zu Gunsten des überlebenden Elternteils unterzeichnet - vermutlich, damit der überlebende Elternteil in der gemeinsamen Liegenschaft verbleiben kann.
Nun hat die Mutter die Liegenschaft verkauft und zieht in eine Mietwohnung. Die Tochter möchte nun eine eigene Wohnung mieten. Der Verkauf der Liegenschaft wird vermutlich (noch in Abklärung) einen relativ hohen Erlös erzielt haben, da viel Bauland an sehr guter Lage. 

Uns stellt sich natürlich die Frage, ob wir die Tochter nun wirklich noch weiter mit Sozialhilfe unterstützen müssen? Kann ein Erbverzicht (vor Sozialhilfebezug) angefochten werden? Unter Umständen müsste dann auch die Verwandtenunterstützung (Mutter) geprüft werden.

Herzlichen Dank für Ihre Antwort.

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne folgendermassen:

Nach § 8 des Sozialhilfegesetztes des Kantons Thurgau (SHG) ist von der Sozialhilfe finanziell zu unterstützen, wer nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für sich und seine Angehörigen mit gleichem Wohnsitz verfügt, sofern vom Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich die Mittel durch eigene Arbeit zu beschaffen, und keine andere Hilfe möglich ist. Damit ist die Unterstützung durch die Sozialhilfe subsidiär zu allen anderen Leistungen. Das Subsidiaritätsprinzip wird auch in Lit. A.4.1 der SKOS-Richtlinien festgehalten, die im Kanton Thurgau betreffend Bemessung der Unterstützung zur Anwendung gelangen (§ 2a Sozialhilfeverordnung). Demnach sind Leistungen der Sozialhilfe subsidiär zu allen anderen möglichen finanziellen Leistungen. Rechtsansprüche gegenüber Dritten sind somit durchzusetzen und jegliche finanzielle Leistungen Dritter ist erhältlich zu machen.

Vorliegend hat die Klientin im Jahr 2015 und damit 6 Jahre vor Unterstützungsbeginn auf die Erbschaft verzichtet. Das durfte sie ohne Weiteres tun, weil sie damals noch nicht bedürftig war. Sie (und ihre Geschwister) ist durch den Erbverzicht beim Erbgang als Erbin ausser Betracht gefallen (Art. 495 f. Zivilgesetzbuch [ZGB]). Damit ist sie durch den Tod des Vaters, der in den Zeitraum der Unterstützung fällt, nicht zu Vermögen gekommen und bleibt bedürftig.

Richtigerweise stellen Sie sich die Frage, ob der Erbverzicht im heutigen Zeitpunkt rückgängig gemacht werden kann und die Klientin damit allenfalls nicht mehr bedürftig ist. Diese Frage muss allerdings verneint werden. Dies hat folgenden Grund: Der Widerruf des Erbverzichts ist nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich. Der Erbverzicht kann deshalb jetzt nach dem Tod des Vaters nicht mehr rückgängig gemacht werden (Art. 513 ZGB). Die Sozialhilfe hätte den Widerruf des Erbverzichts zu Beginn der Unterstützung verlangen müssen, falls sie Kenntnis davon hatte. Im heutigen Zeitpunkt ist es zu spät. Die Klientin muss weiter unterstützt werden.

Es ist richtig, dass Sie gestützt auf § 18 SHG nun prüfen, ob die Voraussetzungen der Verwandtenunterstützung gegeben sind und die Mutter verwandtenunterstützungspflichtig ist. Sie können nach § 18 Abs. 1 SHG die Mutter auffordern, die Tochter finanziell zu unterstützen, wenn sie dazu finanziell in der Lage ist. Nötigenfalls ist die Verwandtenunterstützung bei den zuständigen Behörden geltend zu machen.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort helfen zu können.

Freundliche Grüsse